Snowboard:Die Suche nach Unendlichkeit

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Das erste Snowboard mit 15, mit 18 zum ersten Mal im Park: Nadja Flemming hat sich auf ungewöhnlichem Weg in die Freestyle-Weltspitze aufgemacht - und sich bereits für die WM im Februar qualifiziert.

Von Johannes Knuth

Die größte Herausforderung bei ihrem neuen Trick, sagt die Snowboarderin Nadja Flemming, ist die Zeit: Sobald sie den Trick das erste Mal in freier Wildbahn gelandet hat, wenn sie sich nach vielen Anläufen endlich am Ziel wähnt, geht die Arbeit ja erst richtig los. Anspruchsvolle Tricks funktionieren nicht wie das Fahrradfahren, das man einmal einstudiert und beherrscht. Bei einem guten Trick "braucht man sehr lange, bis man ihn lernt - und sehr wenig Zeit, bis man ihn wieder verlernt", sagt Flemming. "Aber wenn man ihn dann wieder kann", fügt sie an, "kann man ihn eigentlich immer." Dann ist man ein wenig in der Unendlichkeit angekommen, zumindest in seiner Sportlerkarriere.

Der neue Trick, den Flemming sich gerade einverleibt, ist der "Backside 7": Sie dreht sich dabei zwei Mal rechtsherum, 720 Grad, wie eine doppelte Schraube. Flemming hat den Trick vor zwei Jahren das erste Mal gestanden, sie hat ihn dann verlernt und vor ein paar Wochen wieder im Wettkampf geschafft, gleich zum Auftakt der neuen Saison. "Das ist längst nicht das Schwierigste, Frauen springen mittlerweile schon 10er", sagt sie, also eine Drehung mehr. So gesehen wird die Arbeit, sobald Flemming ihren Backside 7 intus hat, bald wieder von vorne losgehen, mit einem neuen Trick. Nicht nur Nadja Flemming, 22, vom WSV Röhrmoos hat ja eine erstaunliche Entwicklung hinter sich - auch ihr Sport, das Freestyle-Snowboarden.

"Sie will halt schon die ganz großen Dinge anpacken": Nadja Flemming, hier beim Weltcup in Neuseeland. (Foto: Hannah Peters/Getty Images)

Die Freestyler sind mittlerweile mit drei Disziplinen bei Olympischen Spielen vertreten, in der Halfpipe, beim Slopestyle (ein Parcours mit Sprüngen und Rails) und im Big Air (einem Sprung von einer großen Schanze). Sie werden von Trainern betreut, üben das ganze Jahr über, in Trampolinhallen, im Kraftraum, im Schnee. Das Niveau wird immer besser, die Tricks immer waghalsiger, am besten zeigt das die Österreicherin Anna Gasser, die derzeit Weltbeste im Slopestyle und Big Air, wo auch Flemming startet. Gasser landete vor einer Woche einen Cab Triple Cork, einen dreieinhalbfachen Rückwärtssalto mit halber Drehung, als erste Frau überhaupt. Bis dahin ist es für Flemming noch weit - aber dass sie so weit gekommen ist, als eine der besten deutschen Freestyle-Snowboarderinnen, ist auch schon beachtlich.

Flemming erwarb ihr erstes Snowboard erst mit 15 Jahren, und das auch nur unter Protest des Familienrats. "Meine Eltern waren immer dagegen, weil sie Skifahrer sind und keinen Bock hatten, dass sie auf mich warten müssen", sagt sie und lacht. Sie wagte sich erst mit 18 Jahren in einen vollwertigen Snowboardpark; andere Fahrer werden in dem Alter mittlerweile Olympiasieger, aber Flemming störte das nicht. Sie fuhr fast jedes Wochenende mit Freunden, ohne Wettkampfdruck, so wie die Snowboarder ihren Sport lange Jahre ausübten. Flemming mochte freilich auch die Wettkämpfe, bald reiste sie auf eigene Kosten zu kleinen Contests. Der deutsche Verband Snowboard Germany, der die Freestyle-Sparte lange vernachlässigt hatte, wurde aufmerksam. Nur: "Eigentlich war ich da schon zu alt", erinnert sich Flemming.

Nadja Flemming, 22, ist bei der Landespolizei und in der Sportfördergruppe. Mittelfristig will sie ihren derzeit besten Ertrag im Weltcup verbessern (Platz zehn). (Foto: FrankHörmann/Imago)

Aber sie hatte auch etwas, das nicht alle vorweisen, die früh im Nachwuchs erfolgreich sind: Sie war nie zufrieden mit sich, ausgestattet mit großem Ehrgeiz, den verpassten Lehrstoff ihres Sports zügig aufzuholen. "Sie will halt schon die ganz großen Dinge anpacken", sagt Friedl May, der mittlerweile die deutsche Auswahl betreut. Und so reichte Flemming damals genug Ergebnisse im Europacup ein, dass der Verband sie in den Kader eingliedern konnte. Mittlerweile ist sie bei der Landespolizei und in der Sportfördergruppe, ihren Job als Verfahrensmechanikerin hat sie aufgegeben. Auch der Verband hat sich weiter professionalisiert, sie haben jetzt ein großes Landekissen samt Anlaufspur in Scharnitz, wo man auch im Sommer Tricks einstudieren kann. Wie den Backside 7. Es ist ein zäher Kampf um Beständigkeit, der nicht ohne Härtefälle auskommt - bei Silvia Mittermüller etwa, 35, der der Verband zuletzt die Förderung strich. Man müsse sich wegen der Spitzensportreform auf die jüngeren Athleten konzentrieren, rechtfertigte sich der Verband, sie dachten dabei an Annika Morgan aus Miesbach, Zweite bei der jüngsten Junioren-WM, an den aufstrebenden Leon Vockensperger vom SC Rosenheim und eben: an Flemming.

Flemming hat sich am Wochenende mit Platz 13 beim Big Air in Peking für die WM Anfang Februar in Park City qualifiziert, es ist ihre zweite Teilnahme nach 2017. Mittelfristig will sie ihren derzeit besten Ertrag im Weltcup verbessern (Platz zehn), dafür will sie an einem "Cab 9" arbeiten, einer zweieinhalbfachen Drehung. Sie hat nach zuletzt zwei intensiven Jahren im Sommer "mal etwas Pause gemacht" und festgestellt: "Lieber mal einen Tag Abstand, aber dafür kommt später mehr heraus." Garantien dafür gibt es wenige, auch im Freestyle-Sport, aber eines sei sicher, sagt Trainer May: "Sie will es auf jeden Fall wissen."

© SZ vom 27.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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