Snooker-WM:Gegen den Fluch

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Neil Robertson peilt bei der Snooker-WM in Sheffield nach einer mäßigen Saison die Titelverteidigung an, doch dafür müsste er eine kuriose Serie brechen.

Jürgen Schmieder

Wer durch die engen Gänge des Crucible Theatre in Sheffield wandert und sich nicht verläuft, der wird kurz vor dem Eingang in die Arena eine riesige goldene Tafel entdecken, auf der sämtliche Snooker-Weltmeister vermerkt sind. Der Platz für diese Ehrentafel wurde mit Bedacht gewählt - es heißt, dass nicht wenige Snookerspieler direkt nach dem Anblick mit Symptomen akuten Unwohlseins auf die direkt daneben befindliche Toilette flüchten.

Neil Robertson bei der WM im vergangenen Jahr: Er gewann den Titel überraschend - und will ihn nun überraschend verteidigen. (Foto: AFP)

Die Galerie der Weltmeister verdeutlicht eindrucksvoll, wie knifflig es ist, dieses Turnier überhaupt ein Mal zu gewinnen - der legendäre Jimmy White etwa ist trotz sechs Finalteilnahmen nicht auf der Tafel zu finden. Sie zeigt aber auch eine andere Besonderheit, die mittlerweile als Crucible Curse, als "Fluch des Crucible" bezeichnet wird: Kein Spieler konnte nach seinem ersten Sieg in Sheffield seinen Titel verteidigen. "Ich weiß nicht, warum es unmöglich ist - aber ich weiß, dass es unmöglich ist", sagt der dreimalige Weltmeister John Higgins.

Titelverteidiger Neil Robertson bestreitet am Samstag das Eröffnungsspiel der Weltmeisterschaft - und es besteht durchaus die Möglichkeit, dass es seine letzte Partie dieser Saison sein könnte. Das liegt weniger am Crucible Curse als vielmehr an der ungewöhnlichen Auslosung. Robertson trifft wie alle sechzehn gesetzten Spieler auf einen Qualifikanten, nur ist sein Gegner der 21-jährige Judd Trump.

Der konnte sich in dieser Saison auf Platz elf der Weltrangliste spielen und hat kürzlich die China Open gewinnen. "Das ist schon verrückt", sagt Robertson. "Normalerweise spielt man in der ersten Runde gegen die Nummer 30 oder 40 der Welt und nicht gegen den amtierenden Sieger eines der sieben großen Ranglisten-Turniere."

Robertson selbst hat eine durchwachsene Saison hinter sich. Er scheiterte häufig in der ersten oder zweiten Runde und kam nur einmal über das Halbfinale eines bedeutenden Turniers hinaus - als er die World Open in Glasgow gewann. Die Sorglosigkeit, mit der er im vergangenen Jahr überraschend die Weltmeisterschaft gewonnen hat, scheint ihm ebenso abhanden gekommen zu sein wie der Mut, riskante Stöße zu versuchen und die Sicherheit, Kontrahenten mit gut abgestimmten Ablagen vor schwere Aufgaben zu stellen. "In der vergangenen Saison lief es ähnlich: Ich habe die World Open gewonnen, danach nicht gut gespielt - und bin am Ende Weltmeister geworden", sagt der 29-jährige Australier.

Trump dagegen wirkt derzeit wie eine jüngere Version Robertsons. "Wir haben eine ähnlich Spielweise, wir sind beide aggressiv und mutig. Es sollte am Samstag eine interessante Partie werden", sagt der Engländer. In Peking gewann er gegen Shaun Murphy, Peter Ebdon und Mark Selby, er überzeugte dabei mit sicherem Lochspiel, aber auch mit souveränen und fehlerfreien Ablagen. "Er hat in China außergewöhnlich gut gespielt, auch der Druck hat ihm wenig ausgemacht", sagt Robertson über seinen Gegner. "Doch nun muss er bei der Weltmeisterschaft zeigen, was er wirklich kann. Er muss im Crucible überzeugen."

Dieses Crucible Theatre ist eine ungewöhnlichsten Sportstätten weltweit. Die besondere Atmosphäre entsteht nicht durch brüllende Fans mit Tröte, Trikot und Bierbecher, sondern dadurch, dass keiner der Zuschauer etwas tut, was Menschen in einer Sportarena gewöhnlich tun. Die 977 Menschen, mehr passen auch nach der Renovierung nicht hinein, sitzen still da und halten den Atem an, wenn einer der Spieler einen spektakulären Stoß versucht. Danach wird nicht gejubelt, sondern vorsichtig geklatscht. John Higgins rügte einmal einen Journalisten, weil der seinen Kopf drei Zentimeter nach links geneigt und damit die Konzentration des Spielers gestört hatte.

Das kleine Theater passt zu diesem Sport, der sich seit Jahren gegen die Kommerzialisierung wehrt und der lieber das Prädikat "langweilig" mit sich herumschleppt, als die Turniere zuschauerfreundlich zu gestalten und damit den sportlichen Reiz herabzusetzen. In Sheffield gibt es keine Vip-Logen, jeder Besucher muss gleich viel für ein Ticket bezahlen. Dafür kann, wer abends in ein nahe gelegenes Hotel geht, mit etlichen Spielern ein Bier an der Bar trinken.

Es ist gewöhnlich nicht einfach, vor der Weltmeisterschaft einen klaren Favoriten auszurufen. In dieser Saison ist es unmöglich. Stephen Maguire, Ding Junhui und Mark Selby konnten ansprechende Ergebnisse erzielen, doch scheint ihnen die Konstanz zu fehlen, die 17 Tage dauernde WM auf hohem Niveau zu spielen.

Deshalb gelten vor allem jene Spieler als aussichtsreiche Kandidaten, die bereits in Sheffield erfolgreich waren: John Higgins (drei WM-Titel) agierte nach dem Ablauf seiner Sperre wegen angeblicher Wett-Manipulationen formidabel, wirkte bei den vergangenen Turnieren jedoch fahrig und unkonzentriert. Ronnie O'Sullivan (drei Titel) spielte zuletzt schrecklich und verkündete zum mittlerweile 3895. Mal, keine Lust mehr auf Snooker zu haben. Die besten Chancen werden deshalb Mark Williams (zwei Titel) und Shaun Murphy (ein Titel) eingeräumt - und eben Neil Robertson.

Der sieht im Crucible Curse nämlich einen Vorteil: "Hätten andere den Titel verteidigt, würde nun Druck auf mir lasten, das auch zu schaffen. Weil es aber noch keinem gelungen ist, erwartet es auch niemand von mir. Ich kann locker in das Turnier gehen und es einfach genießen." Wenn Robertson also am Samstag vor seiner Partie gegen Trump die goldene Tafel betrachtet, wird er definitiv nicht auf die Toilette flüchten.

© SZ vom 14.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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