Skurriles Volleyball-Team:Ende der Münchner Tschechen

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Vaclav Orsuliak (vorne), 2003 im Trikot des Zweitliga-Aufsteigers Unterföhring. (Foto: lks)

Jedes Wochenende fuhren tschechische Veteranen mit dem Kleinbus nach München, um in Amateurklubs Volleyball zu spielen. Sie stiegen mehrmals auf, bald haftete ihnen ein zwielichtiger Ruf an.

Von Sebastian Winter, München

Dieser 6. Dezember muss ein feucht-fröhlicher, aber auch melancholischer Abend gewesen sein. Sollns Bayernliga-Volleyballer hatten sich, nachdem der Wirt sie zu später Stunde aus der TSV-Gaststätte hinausgebeten hatte, im Haus von Stefan Gular versammelt. Gular, Sollns langjähriger Volleyball-Abteilungsleiter, seit 40 Jahren im Verein, hatte noch zwei Kisten Bier besorgt, sie schoben Pizza in den Ofen, um den 3:2-Sieg vom Nachmittag gegen Unterhaching zu feiern. Sie übernachteten dort, tags darauf gingen sie in Friedberg etwas verkatert mit 0:3 unter. Es war ihnen egal.

Denn in jener Nacht hatten sie auch entschieden, sich aus der Bayernliga zurückzuziehen. Friedberg war ein Anstandsbesuch, danach war Winterpause. Mitte Januar, kurz vor dem Rückrundenspiel gegen den ASV Dachau III, erklärte der TSV Solln schriftlich beim Bayerischen Volleyball-Verband, dass das Team nicht mehr weiterspielen könne. "Die Spieler waren alle zwischen 30 und 40, viele hatten Wehwehchen, dazu der große Reiseaufwand", begründete Gular den Schritt.

Der TSV, zwischenzeitlich Tabellenzweiter, im Dezember aber auf einen Mittelfeldplatz abgerutscht, steht als erster Absteiger in die Landesliga fest. Damit endet zugleich eine der skurrilsten Geschichten im Volleyball-Amateursport. Denn die Mannschaft bestand einzig und allein aus tschechischen Spielern, die nicht einmal in Deutschland wohnten. An jedem Spieltag trafen sich die in die Jahre gekommenen Veteranen - viele mit Erstligaerfahrung - an der deutsch-tschechischen Grenze und fuhren mit einem Kleinbus 300 Kilometer nach München, um ein bisschen Volleyball zu spielen und "die Karriere gemeinsam ausklingen zu lassen". So erzählte es jedenfalls ihr Trainer Johannes Steuer im Herbst 2010 der SZ. In einer schriftlichen Stellungnahme versicherte Steuer zudem, die Spieler würden "für ihre Einsätze nicht bezahlt".

Letztes Projekt beim TSV Solln

Steuer, früher Bauunternehmer, der auf die 80 zugeht, startete bereits vor knapp 20 Jahren dieses Modell. Er reagierte damals auf die Anzeige eines tschechischen Spielers im Volleyball Magazin, der in Deutschland arbeiten und nebenbei spielen wollte. Steuers Modell sprach sich herum, das Team stieg mit Unterföhring bis in die zweite Liga auf. Wegen eines Formfehlers musste es zwangsabsteigen, ging zu anderen Klubs in und um München, wo die Tschechen aber nie lange blieben. Als sie mit dem VC Ottobrunn, mit dem sie ohne Niederlage in die Landesliga aufgestiegen waren, in die Bezirksklasse zwangsversetzt wurden - zwei Spieler waren verbotenerweise auch in Tschechien in der Liga aktiv - schien Steuers eigenwilliges Konzept gescheitert.

Doch da kam Stefan Gular ins Spiel. Sollns damaliger Abteilungsleiter nahm die Tschechen, denen mittlerweile ein recht zwielichtiger Ruf anhaftete, auf. Gular wollte nicht zuletzt seinen Sohn und andere TSV-Talente unter Anleitung erfahrener Spieler fördern. Doch gleich im ersten Jahr kam es in der Bezirksklasse zum Boykott, was in der Praxis so aussah: Die Gegner fingen die Sollner Aufschläge mit den Händen auf und rollten den Ball unter dem Netz hindurch zurück. Oder sie traten nur zu sechst an, und ganz zufällig verletzte sich kurz nach Anpfiff einer.

Sie misstrauten Solln schlichtweg, weil sie weitere Passvergehen vermuteten. Beweisen konnten sie das nicht. So stieg Solln fast kampflos in die Bezirksliga auf, dann in die Landesliga, wo manche Klubs wieder den Aufstand probten - wieder vergebens. Vergangene Saison stieg Solln dann in die Bayernliga auf, was Steuers Ziel gewesen war. Gulars Sohn war da längst nicht mehr Teil des Teams, er hatte wegen des Boykotts schnell die Lust am Volleyball verloren, wie auch Sollns andere Talente. "Mein Plan, Talente einzubauen, ist gescheitert", sagt Gular, der aktuell Jugendtrainer beim TSV ist, heute.

6000 Euro Fahrtkosten

Auch die Tschechen verloren im Lauf dieser Saison mit ihren 20 Spieltagen die Motivation. Obwohl Gular ihnen die Fahrtkosten zahlte. Obwohl Steuer ihnen, wie es heißt, wieder Prämien versprach. Immerhin muss Gular nun "nur" 400 Euro Strafe und 1500 Euro weitere Gebühren für die Mannschaft zahlen. Aus eigener Tasche, wie er sagt, denn der TSV hat keine Zuschüsse mehr gegeben. An Fahrtkosten hätte Gular, wie er sagt, bis Saisonende noch 6000 Euro berappen müssen.

Einige Tschechen des Teams um Petr Pondelicek und Peter Kovar haben Gular um ihre Spielerpässe gebeten, um bald in der Heimat antreten zu können. Gular steht vor der Frage, wie er nun ein Landesliga-Team ohne Spieler formen soll. Manch Bayernligist wirkt erleichtert. "Ein Retortenbaby ohne Nachwuchs, ohne Nachhaltigkeit, das funktioniert eben nicht", sagt Torsten Schulz vom ASV Dachau III. "Ich finde es okay, dass es das nicht mehr gibt."

© SZ vom 12.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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