Skispringen:Wind im Gesamtklassement

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Der Deutsche Karl Geiger bestätigt mit seinem Weltcup-Sieg in Engelberg den Trend des Skisprung-Winters: neue Namen dominieren.

Von Volker Kreisl, Engelberg

Am Ende ist es dann nur eine einzige Bewegung. Ein zentimetergenauer Absprung, der binnen eines Sekundenbruchteils übergeht in die ideale Fluglage. Das kann doch nicht so schwer sein, könnte man meinen, aber Karl Geiger aus Oberstdorf brauchte dazu sechs Jahre. So lange springt der 25-Jährige bereits im Weltcup, und nun erlebte er in Engelberg in der Schweiz eine Premiere: den perfekten Flug, der ihn weit nach unten trug, zu seinem ersten Weltcupsieg.

Geigers Coup bedeutet einen großen Satz für das eigene Selbstbewusstsein, im größeren Skisprung-Kontext ist es aber die nächste Bestätigung eines bizarren Trends in diesem Winter, in dem es unter den besten Zehn drunter und drüber geht. Weniger bekannte Springer wie Geiger oder der Willinger Stephan Leyhe erreichen plötzlich ihre Höchstform, vermeintlich schon Abgeschriebene wie etwa der Pole Piotr Zyla, 31, sind auf einmal wieder da, und ganz junge Talente erblühen früh, eines davon derartig, dass nun alle drüber reden: Ryoyu Kobayashi, der 20-jährige Japaner, gewann im zweiten Springen von Engelberg am Sonntag wieder auf überragende Weise. Und weil Engelberg mit seinem speziellen Schanzenradius und seinem lästigen Rückenwind für leichte Fliegertypen wie Kobayashi besonders schwer ist, fragt sich die Branche jetzt schon, wer den Japaner auf den kommenden weiteren Anlagen schlagen soll.

Angesichts der permanenten Bewegung unter den Top 15 in dieser Saison bleiben Prognosen für die Vierschanzentournee jedoch unsicher. Einer, der Kobayashi durchaus gefährlich werden kann, ist nun Geiger. Dessen Flug im zweiten Durchgang am Samstag kann Kräfte für die folgenden Aufgaben entfachen. Alles hatte da zusammengepasst, sagte er: "Ich bin überglücklich, dass das heute so gelungen ist."

Geiger blieb nur drei Meter unter dem Schanzenrekord

Man merke ja schon beim Absprung, dass man die entscheidende Bewegung diesmal erwischt habe, sagte er: "Du bist in der Luft und schnell und wirst immer höher, und dann denkst du: jetzt nur noch durchziehen, und einen Telemark landen."

Geiger stand die Landung, und dass er dann beim Abschwingen beide Fäuste ballte, in der Ahnung, dass es diesmal wirklich für ganz oben reichen könnte, das hat man von ihm auch noch nicht gesehen. 141 Meter weit war Geiger geflogen, und das bei starkem Rückenwind, nur drei Meter unter dem Schanzenrekord.

Wenn das bislang vertraute Gesamtklassement der Skispringer dieser Tage so wirkt, als hätte es ein kräftiger Wind einmal durchgepustet, dann gilt das im Detail auch für die Teamordnung des deutschen Bundestrainers Werner Schuster. Olympiasieger Andreas Wellinger aus Ruhpolding schaffte es am Sonntag gerade so in den zweiten Durchgang, Richard Freitag, der vor einem Jahr in Engelberg noch als Tournee-Favorit sprang, musste einen Rückschlag mit womöglich längeren Auswirkungen einstecken. Bei der Landung im Probedurchgang verriss er sich die linke Hüfte, eine Verletzung, die er sich bei seinem Tourneesturz in Innsbruck im Januar zugezogen hatte. Der Weltmeister von 2015, Severin Freund, ist nach seiner langen Verletzungspause ohnehin noch im Aufbau, und Markus Eisenbichler macht zwar Fortschritte, jedoch langsam.

Neuer Topspringer ist der junge Japaner Kobayashi

Das sähe alles ziemlich trübe aus, wären da nicht Leyhe und Geiger, jene beiden, die fünf Jahre lang nur als Ergänzungsspringer galten, als die Besten hinter den Besten, die man als Podest-Kräfte schon allmählich abgeschrieben hatte. Auch Bundestrainer Schuster gab nun zu, dass die Fortschritte zum Beispiel von Leyhe zuletzt doch eher Forttrippelschritte waren. Aber nun ist mit Leyhe zu rechnen, und ein bisschen mehr noch mit Geiger.

Der ist zwar schon 25, doch das ist noch kein zu hohes Alter für einen Skispringer. Und sein Sieg stellt mehr dar, als nur das Resultat eines einzelnen, glücklichen Tages in Engelberg. Zwar hatte der Oberstdorfer als bestes Ergebnis im Weltcup bislang nur einen zweiten Platz im Jahr 2016 errungen, und war nach erfreulichen Entwicklungen immer wieder in alte Muster zurückgefallen. Doch schon im vergangenen Winter begann er verlässlicher zu springen. Geiger zählte zum Silber-Quartett im Teamspringen der Winterspiele von Pyeongchang und belegte Rang sieben auf der Großschanze. Solche Einzel-Platzierungen jenseits des Podiums erregen beim medaillenfixierten Olympia aber oft kein großes Aufsehen. Anders ist das mit einem zweiten Gesamt-Platz in einem Skisprung-Sommer-Grand Prix. Den erreichte Geiger im September, und in den ersten Wochen der Wintersaison brach endgültig die Zeit der früheren deutschen Ergänzungsspringer an, mit verlässlichen Leistungen und nun den Plätzen vier (Geiger) und sechs (Leyhe) in der Weltcup-Gesamtwertung. Für Japans neuen Topspringer Kobayashi stellen die beiden vermutlich trotzdem nicht die größte Herausforderung dar. Gefährlicher dürften ihm in den kommenden Wochen die drei Polen Piotr Zyla, Olympiasieger Kamil Stoch und David Kubacki werden. Das deutsche Team des Bundestrainers Schuster wird die kommenden Tage noch nutzen, um einzelne Abläufe etwas nachzujustieren, vielleicht in Oberstdorf, vielleicht auch auf einer anderen Schanze in der Nähe. Und Kobayashi wird auch noch üben, aber etwas weiter weg, er fliegt vor der Tournee noch einmal in die Heimat.

© SZ vom 17.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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