Skispringen:Turbulenzen am Mühlenkopf

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Benommen: Skispringerin Selina Freitag nach ihrem Sturz in Willingen. (Foto: Socher/imago)

Ein Wind-Wettkampf, ein heftiger Sturz und ein Positivtest der besten Akteurin des Winters - im letzten Wettkampf vor Olympia erlebt das Frauen-Springen Rückschläge.

Von Volker Kreisl, Willingen/München

Die Fahnen flatterten waagerecht, der Wind blies derart stramm von vorne, dass zunächst an einen Wettkampf nicht zu denken war. Dennoch entschied sich die Rennleitung des Skisprung-Frauen-Weltcups, es "vorsichtig zu versuchen" und diesen Wettkampf in Willingen zu starten.

Schließlich hatten die Weltcup-Springerinnen gespannt auf diesen Tag gewartet. Es war ein weiteres Debüt für den noch jungen Schanzensport der Frauen, dessen Premieren allesamt nicht allzu lange zurückliegen. Weltcups, Weltmeisterschaften, Olympia, Großschanze, und nun also die Mühlenkopfschanze in Willingen, die weiteste Großschanze im Weltcup, die den Springerinnen vielleicht auch einen leichten Vorgeschmack auf das Skifliegen gibt.

Doch ein phänomenales Fluggefühl stellte sich bei den krassen Luftbewegungen am Samstag nur bei den Besten ein, der Rest erlebte einen Weltcup, der ernüchterte, an den Nerven zehrte, und bei dem sich zudem ein heftiger, aber wohl nicht folgenschwerer Sturz ereignete. Und schließlich erwischte eine heftige allgemeine Turbulenz das österreichische Team, das am Sonntagvormittag meldete, dass die Olympiateilnahme von Marita Kramer in Frage stehe. Ihr Coronatest war positiv, was indirekt den Wert des Olympiawettkampfs beeinträchtigen könnte: Kramer ist die überragende Springerin dieses Winters, sie hatte sechs Siege gesammelt, darunter nun auch den bei der Willingen-Einzelpremiere vor der Oberstdorferin Katharina Althaus und der Slowenin Ema Klinec.

Dann winkte Freitag kurz und feuerte ihre Handschuhe in den Schnee

Ein großer Schreck fuhr auch den Deutschen und mit ihnen der gesamten Konkurrenz bereits am Samstag in die Glieder. Selina Freitag, 20, war heftig gestürzt, sie ist eine der ambitionierten jungen Springerinnen im Team von Bundestrainer Maximilian Mechler. Freitag hatte einen passablen Absprung vorgeführt, war dann aber im unteren Teil der Flugbahn ins Trudeln geraten, der Oberkörper neigte sich leicht nach rechts, weshalb das Ende ihres rechten Skis vor der Landung den Schnee berührte. Das veränderte die Stellung des Skis, dieser schnalzte kurz vor der Landung noch nach links und geriet - bei grob 100 Stundenkilometern unter den anderen, den linken Ski.

Vorab - Freitag hatte letztlich großes Glück im Pech. Wer mit verkreuzten Skiern aufkommt, der bremst als System schlagartig. Freitag knallte mit entsprechender Wucht seitlich auf die Piste, überschlug sich, rutschte den Rest des Sturzes auf dem Bauch und blieb dann liegen. Sofort eilten Helfer herbei. Still war es im Stadion, und wer diese Bilder sieht, die entsetzten Gesichter von Katharina Althaus und der Österreicherin Eva Pinkelnig, oben gefilmt von der Standkamera im Warteraum, der bekommt den Eindruck, es sei noch stiller als pandemiestill gewesen, vermutlich hielt nur der Wind nicht den Atem an. Dann stand Freitag wieder auf, benommen und mit Schürfwunden und Schmerzen, aber eben auch heftig verärgert über den eigenen Lapsus. Sie winkte kurz, zeigte, sie sei soweit okay, und feuerte dann ihre Handschuhe in den Schnee.

Die Frage, wer an diesem Wochenende gewinnt, war in den Hintergrund gerückt. Und die allgemeine Diskussion, wieviel man Springerinnen bereits auf welchen Schanzen zutrauen darf, bekam neuen Stoff, dürfte aber nicht jene Dimensionen erreichen, wie einst in den Anfängen. Denn im Willinger Wind hatten auch die Männer ihre Probleme, und bei den Frauen sah man zwar viele sehr kurze Sprünge, aber keine weiteren schlimmen Stürze. Immer wieder waren sie am Tisch zu spät dran, womit das Drehmoment fehlte, und das System bremste. Dies hat mit großem Respekt vor der Aufgabe zu tun, vielleicht auch mit dem ungewohnten, riesigen Vorbau, der die Sicht beeinflusst. Dies gehört zum Lernprozess, die weitere Entwicklung des Frauenspringens auf größeren Schanzen dürfte deshalb nicht in Frage stehen.

Gewinner gab es dennoch, auch wenn mit Kramer auch das gesamte österreichische Team schon am Sonntagmorgen abgereist war, weil es keine weiteren internen Ansteckungen riskieren wollte. Kramer selber will die Hoffnung auf einen Olympiastart nicht aufgeben. Ihr CT-Wert war offenbar hoch, sodass die nun vorgeschriebenen vier PCR-Tests im Abstand von jeweils mindestens 24 Stunden durchaus negativ ausfallen können; Symptome hat sie nicht. Den zweiten Einzelweltcup am Sonntag gewann die Slowenin Nika Kriznar, Dritte wurde Alexandra Kustowa (Russland). Platz zwei aber ging wieder an Althaus, die sich wie am Vortag zufrieden zeigte, weil sie zu wissen scheint, welche Fehler noch abzustellen sind, um den Rückstand auf Rang eins noch aufzuholen. Gemessen an den Rückschlägen dieses verwehten Willinger Wochenendes scheint dies ein geringeres Problem darzustellen.

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