Skispringen:Sehnsucht nach der Großschanze

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Will bei den nächsten Winterspielen nicht mehr nur Olympiagast für einen einzigen Montag sein: Silbermedaillengewinnerin Katharina Althaus. (Foto: Andreas Rentz/Getty Images)

Die zweite Generation des Frauen-Skispringens kämpft nicht mehr nur darum, überhaupt mitmachen zu dürfen. Silber-Gewinnerin Katharina Althaus fordert mehr Wettbewerbe, nicht nur einen einzigen Tag.

Von Volker Kreisl

Früher war das noch so, und es ist gar nicht so lange her. Hat vor 20 Jahren eine Zwölfjährige den Sprungtrainer des nächsten Skiklubs gefragt, wie sie Skispringerin werden könne, bekam sie zu hören: "Lass mal, ist nichts für dich." Doch die Zeiten haben sich geändert, sagt Bundestrainer Andreas Bauer: "Kriegt ein Mädchen heute so 'ne Antwort, sagt sie: Nee, das hab ich im Fernsehen gesehen, Frauen können das auch!"

Das Vorurteil ist widerlegt. Und sollte noch jemand zweifeln, dann liegt seit Montag ein neues Beweisstück fürs Niveau der Besten vor: das olympische Frauenspringen auf der Schanze von Pyeongchang. Um den Bakken blies ein scharfer Wind, teilweise aus allen Richtungen, die Kälte kroch den wartenden Springerinnen unter die Anzüge, sie waren bei 15 Grad minus genauso exponiert wie die Männer zwei Tage zuvor. Auch jetzt sorgten sich die Trainer, dass kalte Sehnen und Muskeln zu Stürzen führen könnten, aber alles ging glatt, einschließlich eines spannenden Finales.

Mittendrin Katharina Althaus aus Oberstdorf, die Silber gewann. Alles war offen in diesen Minuten vor Mitternacht. Althaus hatte einen weiten Satz der japanischen Rekordspringerin Sara Takanashi gekontert, mit ihren 106 Metern war nun der Olympiasieg greifbar. Doch dann war Maren Lundby an der Reihe, und die Norwegerin erledigte den Rest recht routiniert, mit der Bestweite von 110 Metern. Die drei hatten ihr Ziel erreicht, nämlich nach überragenden Leistungen im Weltcup auch eine Olympiamedaille zu holen. Das war die eine Mission dieser Reise nach Korea, die andere lag darin, dafür zu sorgen, dass sie beim nächsten Mal nicht mehr nur Olympiagäste für einen einzigen Montag sind.

Wie schön wäre es jetzt, hätten sie den normalen Olympia-Alltag. Sie würden sich nach ihrem ersten Wettkampf etwas ausruhen und sich auf die Großschanze oder ein Teamspringen vorbereiten, würden weiter im olympischen Dorf wohnen und sportlich vielleicht noch eins drauf legen. Aber wenn es erst richtig losgeht, dann werden die Springerinnen zu Zuschauern, und das ist ärgerlich. "Schade, dass es kein zweites Frauenspringen gibt", sagt Althaus. Siegerin Lundby ist 23, Althaus und Takanashi sind 21. Die drei gehören schon zur zweiten Generation des Frauen-Skispringens, die nicht mehr nur darum kämpft, auch mitmachen zu dürfen, sondern auf komplette Gleichbehandlung pocht.

Die Vorbehalte der Altvorderen, verpackt in gespielte Fürsorge, mussten sie sich schon nicht mehr anhören. Katharina Althaus war eine passable Alpin-Skifahrerin, als sie sich entschloss, fliegen zu lernen. Sechs Jahre war sie alt, hatte ihren großen Bruder ins Sprung-Training begleitet, und blieb bis heute schwer beeindruckt. Wie ihre Altersgenossinnen in Europa, Nordamerika und Japan kam sie als Jugendliche bereits in den Genuss eines effektiven Ausbildungssystems.

Die Folge ist, dass die Generation Althaus technisch nahezu fliegen kann wie die Männer. Der Anstellwinkel der Ski in der Luft und das gesamte Flugsystem werden immer flacher. Um die Schanzen auszuspringen, brauchen die Frauen heute weniger Extrameter im Anlauf. In Pyeongchang sprangen sie von derselben Luke wie die Nordischen Kombinierer.

Beim Weltverband Fis wurde lange noch darauf hingewiesen, dass man den Frauen keinen Gefallen tue, wenn man sie in Wettkämpfe schicke, die mangels Teilnehmern keine Spannung böten. Für die Großschanze, die schon länger im Weltcup im Programm ist, bleibe es somit noch zu früh. Bauer glaubt, dass das Großschanzenspringen auch bei WM und Olympia bald kommen wird, genauso wie ein Teamwettkampf. Er hält den Einwand der mangelhaften Konkurrenz mittlerweile für vorgeschoben: "In Lillehammer sind wir auf der Großschanze geflogen, Althaus kam auf 140 Meter, die Letzte von 30 Finalistinnen auf 108 Meter, die Männer haben im Skifliegen eine ähnliche Streuung."

Silbermedaillen-Gewinnerin Katharina Althaus ist durch Niederlagen erwachsen geworden

Althaus hatte in Lillehammer mit diesen 140 Metern gewonnen. Es war so etwas wie der Schlussstrich unter ein schwieriges Jahr. Denn die zweite Generation der Springerinnen muss sich zwar nicht mehr alles erkämpfen, aber sie wird erst durch Niederlagen sportlich erwachsen. Althaus flog bei der Weltmeisterschaft in Lahti vergangenes Jahr aus dem Mixed-Team, ihre Form reichte zum Saisonhöhepunkt nicht mehr. Sie musste sich erstmals selber hinterfragen und einiges in ihrem Trainingsalltag umstellen. "Letztlich hat sie das erst stark gemacht", sagt Trainer Bauer.

Es war die letzte von vielen Etappen auf dem Weg zu ihrem Erfolg in Pyeongchang. Nachdem sich Althaus das Skispringen in den Kopf gesetzt hatte, machte sie derart schnell Fortschritte, dass sie schon mit 15 Jahren im Weltcup eingesetzt wurde, beim Debüt der Frauen-Serie. Ein Jahr später gewann sie Silber bei den Olympischen Jugendspielen in Innsbruck. Mit 18 wurde sie Weltmeisterin mit der Mixed-Mannschaft der Erwachsenen in Falun, mit 21 ist sie nun Olympia-Zweite.

Und mit 25 erlebt sie vielleicht das fällige Debüt. Wird bei den Winterspielen 2022 das Programm erweitert, dann werden die Skispringerinnen auch bei Olympia länger bleiben.

© SZ vom 14.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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