Skispringen:Knapper Meter

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Derzeit auf einer kleinen Erfolgswelle: Andreas Wellinger, Markus Eisenbichler und Stephan Leyhe (von links) überzeugen beim Weltcup in Zakopane. (Foto: imago/Newspix)

Die deutschen Skispringer bejubeln ihre Erfolge und haben vor der bald anstehenden Weltmeisterschaft ein Luxusproblem.

Von Volker Kreisl, Zakopane/München

Werner Schuster hatte gezögert, dann hat er laut überlegt, er müsse nun aufpassen, wie er das formuliere, damit es nicht überheblich klinge. Schließlich hatte seine Mannschaft soeben, im Finale der Vierschanzentournee, überwiegend enttäuscht. Aber gut, ihm war die klare Frage gestellt worden, wer der nächste Siegspringer im deutschen Team sei, und Schuster sagte: "Ich bin guter Hoffnung, dass Andi Wellinger in dieser Saison noch ein Siegspringer wird."

Gewonnen hat Wellinger, 21, zwar noch nicht, sein letzter Einzelsieg liegt weiterhin drei Jahre zurück. Aber er hat in Zakopane in Polen, wie das gesamte deutsche Team, einen Aufwärtstrend bestätigt. Wellinger erreicht immer bessere Platzierungen, die Zahlen werden immer kleiner. In Wisla vor einer Woche wurde er Dritter. In Zakopane landete er nun auf Platz zwei. Und weil er dabei nur von Polens Vierschanzentournee-Sieger Kamil Stoch auf dessen Heimschanze geschlagen wurde, weil sein Rückstand 1,6 Punkte betrug, ihm also nach 133 überflogenen Metern weniger als ein Meter fehlte - deshalb kommt der Titel "Siegspringer" der Sache schon nahe.

Außerdem war Wellinger ja einen Tag zuvor in Zakopane ganz oben gestanden, nur eben zusammen mit seinen drei Teamgefährten. Die deutsche Mannschaft hatte ihren ersten Sieg nach mehr als einem Jahr errungen, vor der eigentlichen Mannschaft der Stunde, dem Team Polens. "Extrem wertvoll" nannte Schuster diesen Sieg. Als "Riesenspaß" bezeichnete ihn Freitag. "Extrem geil", sagte Markus Eisenbichler, der ebenso dabei war wie Stephan Leyhe ("Megastimmung"). Ähnlich mega waren die Kommentare nach dem Einzel am Sonntag, denn da war ja nicht nur Wellinger dabei, der Zweite, sondern auch Freitag als Dritter und Eisenbichler als Vierter, was im Ranking aussah wie ein leicht verrutschtes deutsches Podium.

Bei der Tournee waren derlei Gefühlsausschläge noch nicht zu vernehmen gewesen. Zehntausende Heimzuschauer hatten im Dezember vergeblich darauf gewartet, dass sich die Deutschen gegenseitig in die Höhe pushen, Zehntausende Polen haben es an diesem und am vergangenen Wochenende nun verfolgen dürfen. Kaum ist die Tournee vorbei, schon geht bei den deutschen Springern die Post ab, so wirkt das also, aber es ist tatsächlich komplizierter.

Schuster deutete ja schon vor Weihnachten an, dass man Außenseiter sei. Das hatte mehrere Gründe. Severin Freund, der Weltmeister, der zuletzt fast alle deutschen Erfolge beschaffte, war nach einer Hüftverletzung auf Formsuche. Freitag hatte nach einem Herstellerwechsel sein Skimaterial zweimal umstellen müssen und mühte sich wie Wellinger bis Anfang Januar - ohne äußerlich erkennbares Resultat. Außerdem hatte Schuster beim Trainingsaufbau die ganze Saison im Blick: Die Weltmeisterschaft in Lahti/Finnland beginnt spät, die drei Männerspringen sind am 25. Februar, am 2. und 3. März. Entsprechend waren Kraft- und dynamisches Training getaktet, und statt einer Vierschanzen-Simulation absolvierte das Team im September ein Trainingslager in Lahti.

Zu den nächsten Heimspringen kehrt auch Freund zurück

Dass der Bundestrainer zwischendurch zwar vier Springer unter den besten 15 der Welt hatte, aber keinen Siegspringer, das fiel kaum auf. "Das freut den Trainer, aber nicht den Zuschauer", erkannte er. Dennoch hat sich diese geduldige Arbeit offensichtlich gelohnt. Im Moment hat Schuster das mit Abstand kompletteste Springerteam, das sich von Weltcup zu Weltcup zu verbessern scheint. Alle wirken erleichtert und selbstbewusst und freuen sich auf die zweite Saisonhälfte, die gleich mit zwei Heimspringen beginnt: am kommenden Samstag und Sonntag in Willingen mit einem Team- und einem Einzelwettkampf, am Wochenende darauf mit dem ersten Skifliegen auf der modernisierten Flugschanze in Oberstdorf.

Und schon stellt sich das nächste Problem. Denn während sich die jüngeren Teamkollegen in Polen gegenseitig verzückten, macht auch Severin Freund Fortschritte. In Oberstdorf hatte er in Ruhe Trainingssprung an Trainingssprung gereiht, und offenbar bekommt er den neuralgischen Punkt, den Übergang zwischen Absprung und Flugstellung, immer besser hin. "Es tut sich was", sagt Freund. Er wird schon in Willingen wieder dabei sein.

Somit hat Schuster fünf starke Springer für eine Vierermannschaft. Wer ist also der nächste Ersatzspringer im deutschen Team? Für die Antwort wird der Bundestrainer lange brauchen.

© SZ vom 24.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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