Skispringen:Historischer Aufwind

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Sieger: Richard Freitag. (Foto: imago/Eibner Europa)
  • Richard Freitag führt vor Andreas Wellinger überraschend das Klassement im Gesamt-Weltcup der Skispringer an.
  • Der Aufschwung der deutschen Skispringer weckt Begehrlichkeiten wie zuletzt in Zeiten von Martin Schmitt und Sven Hannawald.
  • Hier geht es zu den Ergebnissen im Skispringen.

Von Matthias Schmid

Die Wege von Richard Freitag und Andreas Wellinger nach den Weltcup-Springen im russischen Nischni Tagil am Wochenende haben sich nicht getrennt. Gemeinsam mit Andreas Eisenbichler reisten die deutschen Skispringer heim nach Oberstdorf. Im Sommer hat Freitag seinen Lebensmittelpunkt nach Bayern ins Allgäu verlegt. Mitten im Zentrum fand der gebürtige Sachse von der SG Nickelhütte Aue eine Wohnung, von der er zu Fuß zur Schanze am Schattenberg gehen kann.

Die kurze Strecke und die neue Trainingsgruppe bei Christian Winkler, dem Assistenten von Bundestrainer Werner Schuster, haben sich für Freitag schon nach wenigen Monaten bezahlt gemacht. Der 26-Jährige führt nach seinem Sieg am Samstag und seinem zweiten Platz am Sonntag hinter Wellinger das Klassement des Gesamt-Weltcups an, vor seinem Landsmann.

"Das war fast schon historisch und unglaublich stark", schwärmte Schuster im ZDF nach dem großen Erfolg. Dass zwei deutsche Skispringer im Weltcup den ersten und zweiten Platz belegen, liegt lange zurück. Vor sechzehn Jahren siegte Stephan Hocke in Engelberg vor Sven Hannawald. In Nishni Tagil verhinderte am Sonntag Doppel-Weltmeister Stefan Kraft (Österreich) mit seinem dritten Rang ein Treppchen, das nur mit deutschen Sportlern besetzt war; Eisenbichler war auf dem vierten Rang gelandet. Nicht zu vergessen Karl Geiger, der sich mit den Rängen sechs und neun ebenfalls in starker Form präsentierte.

Der Aufwind im deutschen Skispringen ist nicht nur mit dem Wiedererstarken von Richard Freitag zu erklären. Es hat sich vielmehr eine Mannschaft entwickelt, die sich gegenseitig zu neuen Höhen verhilft. Der deutsche Überflieger der vergangenen Jahren, Severin Freund, schickt sich nach zwei Kreuzbandrissen gerade an wieder in den Sport zurückzufinden. In der Zwischenzeit haben Athleten wie Wellinger und Eisenbichler das Führungsvakuum genutzt, um selbst ins Rampenlicht der großen Bühne zu springen. "Diese Mannschaft ist hammergeil", stellte Wellinger fest, "Richard hat mich mit seiner Leistung noch einmal angespornt, einfach unglaublich."

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Vier Wochen vor Beginn der Vierschanzentournee haben sich die deutschen Skispringer in eine komfortable Situation gebracht, "die wir ausnutzen wollen", wie Schuster sagt. Aber der Österreicher mahnt und ahnt, dass er aufpassen muss, "dass die Jungs sich in Ruhe vorbereiten können, wenn das so weiter gehen sollte."

Die Favoritenbürde kann schnell zur Last werden

Schuster weiß, dass die Favoritenbürde auch schnell zur Last werden kann in einem Land, das Martin Schmitt und Sven Hannawald einst wie Popstars gefeiert und verehrt hat. Vor allem dem 22-jährigen Wellinger ist einiges zuzutrauen in diesem ereignisreichen Winter, in dem neben der Vierschanzentournee auch noch eine Skiflug-WM in Oberstdorf und die Winterspiele in Pyeongchang ausgelobt sind.

Es wird spannend werden, wie die Emporkömmlinge Wellinger, Freitag und Eisenbichler mit den neuen Begehrlichkeiten umgehen werden, die mit jedem Sieg weiter ansteigen werden. Aber es deutet Einiges darauf hin, dass Schuster im zehnten Jahr seines Schaffens und nach einer langen entbehrungssreichen Entwicklungsarbeit eine Mannschaft beisammen hat, die Substanz genug hat, um auch bei den Großereignissen Medaillen gewinnen zu können.

Dass im Skispringen zwischen Absturz und Aufschwung nur Nuancen liegen, weiß Wellinger selbst am besten. Der gebürtige Traunsteiner hat lange gebraucht, um den fürchterlichen Sturz im finnischen Kuusamo vor drei Jahren verarbeiten zu können. Aber die Erfahrungen haben ihn schneller reifen lassen, er hat gelernt, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. "Ich weiß jetzt, dass ich im Wettkampf zeigen kann, was ich drauf habe", sagte Wellinger nach seinem drittem Weltcupsieg.

Welch außergewöhnliche Fähigkeiten er aufzubringen vermag, hatte man schon im letzten Drittel der vergangenen Saison beobachten können, als er zwischen Mitte Januar und Ende März zwölfmal auf das Podium sprang und zwei Siege feierte. Dass sich Wellinger anschließend bei der Weltmeisterschaft auf der kleinen und großen Schanze als Zweiter nicht auch gleich noch zum Weltmeister gekürt hat, deutet Schuster inzwischen in einen Vorteil um: Wellingers Arbeitsethos und Ehrgeiz seien so noch weiter gewachsen. "Dadurch, dass er nicht gewonnen hat", hat Schuster erzählt, "ist die Energie noch höher, um Gold zu schaffen."

Auch Freitags Schwester zog nach Oberstdorf

Die nächste Gelegenheit auf vordere Platzierungen haben die deutschen Athleten beim Heim-Weltcup in Titisee-Neustadt am nächsten Wochenende. Freitag, Wellinger, Eisenbichler und Geiger, die Dominanz beeindruckt und verblüfft auch die erfolgsverwöhnte Konkurrenz. "Saustark" seien die Deutschen, sagte der Österreicher Stefan Kraft. "Es ist gerade unglaublich schwer, sie zu schlagen. Sie holen auch aus mir das Beste raus."

Richard Freitag freut sich über solche Komplimente. Er will das gelbe Trikot des Weltcup-Führenden noch ein wenig anbehalten. Mit ihm zog im Sommer auch seine 16 Jahre alte Schwester Selina nach Oberstdorf, sie gehört dem Junioren-Nationalteam an. Es kann also gut sein, dass Freitag und sein Vater Holger nicht die einzigen Weltcupgewinner in der Familie bleiben.

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