Skispringen:Dank dem Bergisel

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Mit dem souveränen Teamsieg bei der WM haben die Deutschen ein weiteres Trauma abgelegt - und alle Voraussetzungen für eine erfolgreiche Zukunft.

Von Volker Kreisl, Seefeld

Manche Berggipfel gelten als berüchtigt und klingen auch so. Das Matterhorn (4478 m), die Eiger-Nordwand (3967 m) oder im Himalaja der Kangchendzönga (8586 m), die "fünf Schatzkammern des großen Schnees" genannt, sind zum Beispiel sehr schwer zu bezwingen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Tiroler Bergisel (746 m).

Auch der stellt Jahr für Jahr eine Herausforderung dar. Allerdings deshalb, weil auf ihm eine Skisprungschanze steht und er sich nur auf Skisprunglatten besiegen lässt. Die Schanze ist höchst selektiv, manche lieben sie, manche hassen sie. Auch die meisten deutschen Skispringer warf der Bergisel in den vergangenen Jahren ab, bis zuletzt ging das so, doch nun könnte es mit den Niederlagen vorbei sein. Das Team von Bundestrainer Werner Schuster, das wie alle Springer zur Halbzeit der Ski-nordisch-Weltmeisterschaft weiterzieht auf die kleinere, weniger berüchtigte Toni- Seelos-Schanze am Gschwandtkopf (läppische 1495 m) nach Seefeld, hat seinen Frieden gemacht mit dem Bergisel.

Vielleicht wirken die Gold- und Silbermedaille von Markus Eisenbichler und Karl Geiger und der Team-Titel der Mannschaft einen Tag später sogar nachhaltiger, weit in die Zukunft. Zum einen, weil es binnen fünf Jahren nun auch der vierte und fünfte Springer von Schuster geschafft hat, im entscheidenden Moment allen davon zu springen, und der DSV somit die, wie es heißt, "auch in der Breite" erfolgreichste Mannschaft hat. Zum anderen, weil dieser Schritt nicht an irgendeiner Schanze gelang, sondern auf diesem speziellen Hügel südlich von Innsbruck.

Deutsche WM-Freuden: Schlussspringer Markus Eisenbichler jubelte schon kurz nach dem Landeanflug. (Foto: Matthias Hangst/Getty Images)

Der stellt die Springer vor besondere technische Schwierigkeiten beim Absprung, zugleich bläst der Wind manchmal sehr stark, wechselnd aus allen Richtungen, kürzlich zum Beispiel zu heftig für die einst berechnete Anlauflänge, weswegen neue Luken eingebaut wurden. Schafft es aber ein komplettes Team, seine Blockaden ausgerechnet hier zu lösen, dann kann dies einen entscheidenden Effekt fürs weitere Selbstvertrauen haben.

Seit 18 Jahren gewannen die Deutschen kein Teamspringen mehr bei einer Weltmeisterschaft, 2001 hatte die Mannschaft um Sven Hannawald und Martin Schmitt in Lahti in Finnland Gold geholt. Am Sonntag, einen Tag nach dem Eisenbichler-Sieg, gelang nun eine Demonstration. Schuster hatte Geiger an die Startposition gesetzt, damit dieser mit der Sicherheit von lauter gelungenen Trainings-, Qualifikations-, Probe- und Wettkampfsprüngen gleich mal Japaner und Österreicher unter Druck setzt. Es war wie in einem Staffelrennen: An Position zwei und drei folgten Richard Freitag und Stephan Leyhe, zurzeit eher durchschnittlich in Form, sie sollten die Position halten, ehe der neue Einzelweltmeister Eisenbichler dann abhebt und davonzieht.

Schusters Springer gingen dann in der ersten von acht Runden gleich in Führung, denn Geiger gelang auch hier auf Anhieb ein 129-Meter-Satz. Sie bauten ihren Vorsprung weiter aus, wobei sich Leyhe ebenfalls immer mehr an den tückischen Rhythmus, den steilen Anlauf und den kurzen Absprungpunkt gewöhnte und schließlich den Bergisel in den Griff bekam. Im ersten Satz 126 Meter, im zweiten 128 gelangen ihm, und als Eisenbichler als letzter des Nachmittags noch oben stand, als das Licht in der tief stehenden Nachmittagssonne schon wieder feierlich wirkte, da hatten die Deutschen einen derart hohen Vorsprung, dass Eisenbichler auf einmal Respekt vor der kleinen Aufgabe bekam: "Da war ich etwas nervös, ich musste ihn jetzt nur sauber runterbringen", sagte er später. Rund 95 Meter musste er mindestens noch überhüpfen, 128,5 wurden es dann aber doch, und insgesamt betrug der Abstand zu den zweitplatzierten Österreichern und Japanern dann 56,6 Punkte.

Neben Markus Eisenbichler jubeln (von links nach rechts) Stephan Leyhe, Richard Freitag und Karl Geiger. (Foto: Christian Walgram/imago)

Weil im Skispringen die Einflüsse des Wetters, des Körpergefühls, des Privatlebens oder auch nur eines plötzlich erzwungenen Ausrüsterwechsels schnell auf die Form drücken können, weil zudem ab diesem Sommer ein neuer Trainer kommen wird, bleiben die Deutschen vermutlich demütig. Andererseits sind gemeinsame Erfolge wie am Bergisel auch Faktoren, die ein Teamgefüge festigen und das Vertrauen darin stärken, dass man auch schwere Hindernisse überwinden kann. Eisenbichler jedenfalls sagte, sein Sieg über den Bergisel sei ganz logisch gewesen.

Dreimal hatten die Deutschen hier zuletzt den Kampf um den Sieg bei der Vierschanzentournee verloren, erst Severin Freund, dann Richard Freitag und zuletzt Eisenbichler. Weil das Innsbruck-Springen aber immer im Rahmen der sehr kurz getakteten Tournee stattfindet, war für ihn stets zu wenig Zeit, sich auf diese völlig andere Schanze einzustellen. Bei der WM bekam er nun ein paar Übungssprünge mehr, und man kann sagen, Eisenbichler hat den Bergisel erst jetzt so richtig kennengelernt. Trainer Schuster bemerkte noch leicht süffisant, seine Springer hätten diese Schanze durchaus schon immer beherrscht, "nur eben nicht bei der Tournee". Jetzt, nach der Bezwingung, ändert sich vielleicht auch das.

Korrekturhinweis: In einer früheren Version des Artikels hieß es fälschlicherweise, die deutschen Skispringer hätten seit 17 Jahren keinen großen Skisprungsieg im Mannschaftswettbewerb errungen. Tatsächlich haben sie im Jahr 2014 bei den Olympischen Spielen in Sotschi die Goldmedaille gewonnen. Wir haben die entsprechende Stelle korrigiert.

© SZ vom 26.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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