Skispringen:Bei den Windfischern der Rukatunturi

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Kälte, Schnee und Windschutz: Kurz vor dem Saisonstart sind in Kuusamo die wichtigsten Voraussetzungen des Skispringens vorhanden. (Foto: Markku Ulander/AFP)

Ein neues Netzsystem und eine moderne Anlaufspur sollen die Saisoneröffnung des nordischen Skisports in Kuusamo sicherstellen.

Von Volker Kreisl, Kuusamo/München

Deutlicher konnte die Natur die Schwächen dieses Sports nicht bloßlegen. Hoch ragt die Rukatunturi-Schanze unweit des Polarkreises hinauf in die finnische Nacht und in den Wind, der hier nicht meistens von einer Seite kommt, sondern von rechts oder von links, von vorne oder hinten, je nach Laune der Natur. Vergangenes Jahr blies er beim Weltcup in Kuusamo besonders kräftig, und nachdem das erste Springen schon nicht funktionierte und das zweite nach 43 Springern abgesagt wurde, brach statt arktischer Kälte auch noch maritime Wärme über die Gegend herein. Das Kühlsystem der Anlaufspur war überfordert, deren Eis schmolz, und damit ging nichts mehr auf der Rukatunturi. Springer, Nordische Kombinierer und ihre Funktionäre packten ihre Sachen, schimpften und reisten ab.

Ein paar Zentimeter fehlen in der Hocke: Severin Freund ist noch lange nicht in der alten Form

Kuusamo will ein Pilgerort für Sportfans sein, die Eröffnung des nordischen Winters mit den ersten Weltcups der Langläufer, Springer und Kombinierer fand hier lange statt, wurde dann ein paar Mal verlegt, doch ab Freitag (erstes Springen ab 17 Uhr MEZ) soll das Nordic Opening wieder im hohen und dunklen Norden steigen. Das hat zwei Gründe: Erstens bleibt der Standort wegen seiner Schneesicherheit attraktiv, zweitens haben die Finnen ihre Ankündigung, dass so ein Totalausfall nicht mehr vorkomme, in die Tat umgesetzt. Ein hochmodernes Windnetz flankiert jetzt den Bakken, die Anlaufspur ist nagelneu und wärmeresistent.

Das Thema Sicherheit beschäftigt diesen Sport permanent, es geht um die Gesundheit der Sportler und die Gerechtigkeit und Planbarkeit der Wettkämpfe. Kuusamo war zuletzt ein Symbol für die Unwägbarkeit des Skispringens, und das betraf auch die Deutschen, zuletzt speziell Andreas Wellinger. Für seinen kapitalen Sturz vor zwei Jahren konnten die Veranstalter nichts, es war ein persönlicher Fehler. Dennoch wird er wie alle Kollegen froh sein, dass der Windschutz der Anlage nun verbessert wurde.

Wellinger hat mit der Heilung seiner Schulterverletzung ja auch viel verarbeitet, der Ruhpoldinger ist jetzt 21, er wird immer stabiler. Die Team-Führung formuliert keine konkreten Erwartungen an ihn, weil das in einem psychologisch raffinierten Sport ohnehin nicht geht. Dennoch deutet die Entwicklung auf einen Aufschwung: Höchstleistungen hatte er schon als Jugendlicher gezeigt, dann diesen Rückschlag erwischt, nun arbeitet er als junger Erwachsener geduldig am Comeback. Im vergangenen Winter erreichte Wellinger sieben Top-Ten-Resultate, im Sommer-Grand-Prix wurde er nun Zweiter in der Gesamtwertung. "Andi", sagt Bundestrainer Werner Schuster, "könnte eine deutlich stabilere Saison hinlegen als zuletzt."

Wellinger könnte das Team leistungsmäßig also anführen, vielleicht auch Richard Freitag (Aue), womöglich glücken sogar Markus Eisenbichler (Siegsdorf) oder dem neuen deutschen Meister David Siegel aus Baiersbronn zunächst die besten Sprünge. Nur von einem wird es in diesem psychologisch komplizierten Sport, in dem der Kopf so schnell alle Abläufe blockieren kann, nicht erwartet: von Severin Freund, dem Weltmeister. Er hatte nach dem Sturz von Innsbruck bei der Vierschanzentournee noch anhaltende Beschwerden. Diese sind nach einer Hüft-Operation so weit beseitigt, was ihm aber noch fehlt, sind genügend Sprünge. Freund durfte ja erst im September wieder fliegen, und seine Hüfte ist noch nicht voll beweglich. Zurzeit fehlen noch ein paar Zentimeter im Hockwinkel beim Anlauf, was sich sofort auf die Flugposition auswirkt. Er sagt: "Es wird noch ein längerer Weg sein, bis ich wieder in der Weltspitze bin."

Der 28-Jährige ist in prominenter Gesellschaft. Mehr oder weniger vorangekommen auf ihrem langen Genesungsweg sind Weltcup-Rekordsieger Gregor Schlierenzauer (hat kürzlich nach Ermüdungsphase und Kreuzbandriss die ersten Sprünge absolviert), Olympiasieger Kamil Stoch (befindet sich nach Knieverletzung und Formtief in einem leichten Erfolgssog des polnischen Teams) und Norwegens Gesamtweltcup-Dritter Kenneth Gangnes (hat im Juni seinen dritten Kreuzbandriss erlitten). Weil aber der überragende Skispringer der vergangenen Jahre keinen derartigen Weg zurücklegen muss und fit ist, sind die Prognosen einfach. Der Vierschanzen- und Gesamtweltcupsieger Peter Prevc dürfte nach anfänglicher Testphase auf- und davonfliegen, nur der Kampf um die restlichen Podiumsplätze wird spannender.

Die Veranstalter von Kuusamo haben jedenfalls das Mögliche versucht, damit nicht wieder alle verfrüht abreisen. Die Windnetze reagieren automatisch auf eine gewisse Windstärke, sie werden in sieben aneinandergereihten und je 18 Meter hohen Rahmen aufgezogen, wo sie die Böen abfischen sollen. Standort-Chef Aarno Pätsi bleibt trotzdem lieber vorsichtig: "Sollte es zu windig werden, kann man auch mit dem besten Windnetz-System nicht springe", sagt er. Vorhergesagt wird für bislang aber nur ein leichteres Lüftchen.

© SZ vom 25.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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