Skispringen:Basteln an den eigenen Tragflächen

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Für Dawid Kubacki war es ein Weg mit vielen Hindernissen bis zum Gewinn der Vierschanzentournee. Beflügelt wurde der Pole von seiner Leidenschaft für alles, was fliegen kann.

Von Volker Kreisl, Bischofshofen

Drohnen? Hat da einer im Publikum gerade "Drohnen" gesagt?

Natürlich, wenn jemand gerne selbstgebastelte Dinge in die Luft steigen lässt und diese mithilfe eines kleinen Kastens und Antenne leidenschaftlich gerne da oben herum manövriert, dann könnte das auch eine dieser modernen, mobilen Flugkameras sein. Aber Dawid Kubacki, der Skispringer aus Szaflary bei Zakopane, seit zirka einer Stunde Sieger der Vierschanzentournee und so aufgekratzt, wie man ihn selten sieht, dieser Kubacki greift sofort zum Mikrofon: "Drohnen niemals", sagt er und schaut in die Reporterrunde: "Drohnen sind zu einfach."

Er liebt eben den schwierigen Weg, den Pfad der Hindernisse und Rückschläge und tiefen Täler. Und das gilt für sein Hobby wie für seinen Beruf. "Alles, was mit Fliegen zu tun hat, begeistert mich", erklärte Kubacki gerade in der Sieger-Pressekonferenz. Es geht ihm aber nicht nur um den Genuss, den Kick, sondern offensichtlich um das Eindringen in diese Sphäre, und zwar auch geistig. Es geht ihm ums Verstehen der Schwerkraft und der Luft, um deren Anströmung an die Tragflächen, und um die Rotorblätter seiner kleinen Flieger oder Helikopter, die er selber bastelt und ständig optimiert.

Und auch um diese anderen Tragflächen, die ihn fortwährend beschäftigen: seine Sprungskier.

Mit denen hat er nun erstmals in seinem Sport einen ganz großen Gipfel erreicht. Zwar ist Kubacki vergangenes Jahr Weltmeister geworden auf der Kleinschanze von Seefeld in Österreich, dies aber größtenteils auch wegen der dicken Schneeflocken, die sich haufenweise nach ihm in die Anlaufspur setzten und die zwanzig Springer ausbremsten, die noch folgten. Kubacki würde wohl heimlich zugeben, dass jener Sieg von 2019 fast so leicht war wie eine Drohne zu fliegen. Anders als nun der Tournee-Triumph. Der war das Ergebnis von zehn Jahren Arbeit und Tüftelei.

Sieht nach Bruchlandung aus, ist aber die Jubelgeste: Dawid Kubacki bei der finalen Bodenübung nach dem Siegsprung in Bischofshofen. (Foto: Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)

Überhaupt war der gesamte Verlauf und die Zuspitzung dieser Vier-Schanzen-Serie etwas angenehm Anachronistisches. Schon lange nicht mehr hatte die Tournee bis zum Schluss ein Quartett von Siegkandidaten geboten, und diesmal waren zufällig zwei ältere und grüblerische Arbeitertypen dabei, nämlich Kubacki, 29, und der Deutsche Karl Geiger, 26 - zudem zwei junge, leicht aufspringende Großbegabungen: der Norweger Marius Lindvik, 21, und Vorjahressieger Ryoyu Kobayashi, 23. Meistens gewinnen im Sport die unbekümmerten Wunderkinder, womit die Medien oft auch viel mehr anfangen können. Diesmal aber lag die Fraktion der Gereiften vorne, auf Platz eins und drei.

Kubacki drehte erst in der zweiten Tourneehälfte groß auf, in der Geigers Höhenflug langsam nachließ, aber innerlich sind sich die beiden doch sehr ähnlich. Auch Geiger hat mit den Gesetzen der Naturwissenschaften zu tun, er studiert Energie- und Umwelttechnik, und er wirkt wie Kubacki immer ausgeglichen, immer abgeklärt, wie einer, der sich stets auf seine Vernunft verlassen kann. In Innsbruck hatte Geiger seinen ersten Sprung teils arg verpatzt, Gefühlsspringer hauen dann oft wie wild auf die Luft im Auslauf ein - Geiger und Kubacki starren in solchen Situationen nur geradeaus, als suchten sie bereits nach Erklärungen. Vielleicht liegt darin der Grund für ihre lange Zeit im Mittelmaß, die sie spätestens seit dieser Saison hinter sich haben.

Kubacki hätte ja auch als Fallschirmspringer die Lüfte erkunden können, aber er entschloss sich für etwas Schwierigeres, das Skispringen, bei dem es mit eigener Muskelkraft und nur einer Schanze und ein paar Latten an den Füßen als Hilfsmittel hinaufgeht. Gerade für Kubacki war dies ein langer Weg. Geiger sagte am Montag über den Polen: "Dawid ist wie ich auch nicht übermäßig mit Talent gesegnet, keiner, der mit 19 schon alles gewonnen hat." Auch er sei Stück für Stück besser geworden. Schon im Januar 2009 war Kubacki erstmals im Weltcup dabei, auf der Heimschanze in Zakopane, aber es dauerte zehn Jahre, mit Höhen und Tiefen und zwischendurch einer Versetzung in den zweitklassigen Continental Cup, bis er seinen ersten Weltcupsieg errang: am 13. Januar 2019.

Wer kein Genie ist, der muss arbeiten. Vor allem in einem Sport, der auch erfolgreiche Athleten wegen neuer Bindungen, modernerer Schuhe oder einem innovativen Anzugstoff permanent zum Nachdenken zwingt. Kubacki hat diese Arbeitsmoral derart verinnerlicht, dass er sogar direkt nach diesem Karrierehöhepunkt in Bischofshofen daran dachte, was noch zu tun wäre. Die wandelnde polnische Skisprung-Legende, der Tourneesieger und heutige Verbands-Sportdirektor Adam Malysz, hatte ihm gedankt, denn nun habe man nach ihm selber (2001) und nach dem Olympiasieger Kamil Stoch (2017/2018) einen dritten Tourneesieger hervorgebracht. Kubacki ist also offiziell aus Stochs Schatten hervorgetreten und nahm alle Glückwünsche höflich entgegen, sagte später aber auch: "Von guten Wünschen kann ich nicht weiter gut fliegen. Ich muss fokussiert bleiben und immer daran denken, dass ein Springen erst ganz am Ende, nach der Wettkampfkontrolle, endet."

Die Arbeit hört also nie auf. Aber wer so fanatisch nach dem Besten forscht, nach dem letzten Detail, das noch nicht stimmt, bei dem drängt sich der Verdacht auf, dass es vielleicht doch weniger Arbeit ist, die er da verrichten muss, sondern pure Leidenschaft, von der er nicht lassen kann.

Vermutlich hat der Flugzeugbastler Dawid Kubacki längst sein ultimatives, sein anspruchsvollstes Modell gefunden: den eigenen Körper. Der ist neuerdings stabil, der hält solch eine Tournee schon aus. Er ist aber auch stets anspruchsvoll zu steuern, also ganz bestimmt keine Drohne.

© SZ vom 08.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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