Skispringen:Auf dem Luftkissen

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Die grüne Linie im Blick und darüber hinweg: Eisenbichler setzt sich zunächst an die Spitze und wird von Ryoyu Kobayashi doch noch knapp geschlagen. (Foto: Hafner/imago/Nordphoto)

Platz zwei in Oberstdorf: Skispringer Markus Eisenbichler sorgt bei den Deutschen für Konstanz in turbulenten Zeiten.

Von Volker Kreisl, Oberstdorf

Es war einer der Momente, für die Markus Eisenbichler diesen Sport betreibt. Er lag in der Luft, und die trug ihn fort. Die Anfahrtshocke, der Winkel beim Absprung - alles war ihm gelungen. Eisenbichler schaute nach unten, tief im Talgrund der Stillach lag der Aufsprunghang der riesigen Heini-Klopfer-Schanze, dahinter standen 17 500 winzige Zuschauer. 238,5 Meter ist der Rekord beim Oberstdorfer Fliegen, und Eisenbichler ging es nun da oben so gut, dass er sich mit dem ihm eigenen Humor motivierte: "Sieg oder Sarg", habe er gedacht, wie er später erzählte. Volle Pulle also, das Luftkissen unter ihm streckte sich tatsächlich immer weiter, die grüne Linie für die Führung überflog er so selbstverständlich wie ein Jet den Zaun eines Flughafens, er landete schließlich bei 237,5 Metern.

Ein Traumsprung war das, die Menschen lärmten, Eisenbichler boxte in die Luft, sein erster Weltcupsieg war nah - nur: Oben wartete noch Ryoyu Kobayashi.

Der Tourneesieger aus Japan, der im ersten Saisondrittel nahezu jedes Springen beherrschte und im zweiten Drittel diese Überlegenheit verlor, war plötzlich zurück. Er hatte den ersten Durchgang gewonnen, als letzter Springer des Tages erwischte auch er prima Verhältnisse und setzte sich wieder vor den Deutschen. 427 Punkte hatte Kobayashi, 426,5 Eisenbichler.

Der schluckt solche Enttäuschungen mittlerweile routiniert runter, packt zusammen, freut sich über Platz zwei und denkt an die nächsten Aufgaben. Am Sonntag wurde Eisenbichler Zehnter beim Sieg des Olympiasiegers Kamil Stoch aus Polen, am Samstag stand seine Vorführung beispielhaft für das ganze deutsche Team in diesen Tagen. Hoffnung und Ärger wechseln ständig, entsprechend Optimismus und Niedergeschlagenheit, und in dieser Situation gilt es, ein stabiles Team für die Weltmeisterschaften in zwei Wochen in Seefeld/Tirol aufzubauen.

In Zakopane zog sich vor zwei Wochen David Siegel, 22, bei einem wegen starken Aufwindes riskanten und heftig kritisierten Teamspringen einen Kreuzbandriss zu. Die Mannschaft war gerade zurück gekommen aus einem Formtief und bestens in Stimmung, nun sank die Laune wieder in den Keller. Bei der Japan-Reise in der Woche drauf war ein achter Platz von Stephan Leyhe das beste Ergebnis. Und was viele schon ahnten, wurde dann kurz vor dem Skiflug-Triple von Oberstdorf offiziell: Werner Schuster hört als Bundestrainer zum Saisonende auf; wie es weitergeht, ist noch offen. Wie die Mannschaft den insgesamt turbulenten Januar bis zur WM nun verarbeitet, auch.

Bislang machen Schusters Springer abwechselnd einen Schritt vor und dann wieder einen zurück. Auch die in diesem Winter enttäuschenden Gewinner der Vorjahre haben sich zwischendurch verbessert, erlebten in Oberstdorf aber wieder einen Rückschlag. Richard Freitag, Skiflug-WM-Dritter von 2018, verpasste nach zwei mäßigen Tagen am Sonntag den zweiten Durchgang, Andreas Wellinger schied gleich zweimal vorzeitig aus. Etwas besser schnitt Stephan Leyhe (Willingen) ab, auch er verpasste mal Durchgang zwei, wurde am Sonntag aber Siebzehnter. Im Grunde bildet er in diesem Winter den soliden Mittelbau des Teams, zusammen mit Karl Geiger, der ja eher ein Springertyp ist, und nun nach beachtlichen Flügen seine Null-Punkte-Phase aus Japan vergessen könnte - wäre da nicht zum Abschluss wieder ein mäßiger 173,5-Meter-Sprung gewesen.

Sie sollten bei diesem Sport, in dem der Körper die Bewegungen steuert, sowieso alles aus dem Kopf streichen und an gar nichts denken. Also auch nicht daran, wie es wohl nach der Ära Schuster weitergeht. Beschlossen wird bis zur WM wohl nichts, dafür sickern über soziale oder klassische Medien stets die neuesten Interpretationen durch. Zum Beispiel die, dass Schusters ehemaliger Co-Trainer bei den Deutschen, der Österreicher Stefan Horngacher, angeblich sehr gerne zum Deutschen Skiverband (DSV) zurückkehren würde. In der ARD sagte er: "Lust hat man immer, für den DSV zu arbeiten, das ist eine große Ehre." Das Team dürfte die Option mit Horngacher, der mit den Polen viele Erfolge feierte, durchaus motivieren - solange jedenfalls, bis eine Enttäuschung kommt, etwa wenn es Polens Sportdirektor Adam Malysz gelänge, Horngacher zu halten. "Es ist wohl deutsche Meinung, dass Stefan schon mit einem Bein bei ihnen ist", sagte er beim polnischen Ableger des TV-Senders Eurosport, man werde aber kämpfen: "Wir möchten nicht, dass Stefan geht."

In so einer Situation kann eine Skisprung-Mannschaft jemanden gut gebrauchen, der sich nicht nur dazu zwingen muss, alles Störende zu überhören, sondern der mühelos ganz bei der Aufgabe bleibt, weil er die Form seines Lebens hat. Markus Eisenbichler hat lange von einem solchen Team-Vorspringer profitiert. Jetzt ist er es selber.

© SZ vom 04.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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