Skispringen:5,5 Zentimeter zu kurz

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Richard Freitag, der Gesamtweltcupführende, hat als Zweiter in Engelberg seine Konstanz bewiesen. (Foto: Marcel Bieri/dpa)

Um eine Winzigkeit verpasst der Gesamtweltcupführende Richard Freitag den Sieg in Engelberg, wo sich vor allem eines zeigt: Die Gruppe der Siegkandidaten wird von Springen zu Springen größer.

Von Volker Kreisl, Engelberg

Es ist wie in jeder Sportart. Das Großereignis naht, und alle suchen fieberhaft nach dem Favoriten. Und wenn es den einen klaren Besten nicht gibt, dann suchen sie wenigstens nach den drei möglichen Podest-Kandidaten. So ist das normalerweise auch im Skispringen, nur, in diesem Winter bleiben alle Favoritensucher ratlos zurück.

Zum letzten Weltcup vor der Vierschanzentournee (ab 29. Dezember) treffen sich die Springer gerade wie immer in Engelberg in der Schweiz, um ihre nach den fünf bisherigen Saison-Wettkämpfen ausgereifte Form zu messen. Doch die Schanze hat ihre Tücken, das Wetter mit seinen vom 3238 Metern hohen Titlis herab wehenden Rückenwinden sowieso. Und so hat das erste der beiden Engelbergspringen das bisherige Favoritenbild dann am Samstag erst einmal aufgemischt.

Gewonnen hat der Norweger Anders Fannemel. Er gesellte sich damit zu den Sieg-Kandidaten der Tournee, und die Gruppe wird größer: Richard Freitag, der Gesamtweltcupführende, hat als Zweiter seine Konstanz bewiesen. Am Ende fehlten ihm umgerechnet nur 5,5 Zentimeter oder die Winzigkeit von einem Zehntelpunkt auf Fannemel. Ähnlich stark zeigte sich der Pole Kamil Stoch, der diesmal zwei gute Sprünge zeigte und Dritter wurde. Der Rest des Springerfeldes wurde von den Windumständen gebeutelt, auch die Deutschen. Andreas Wellinger verpasste eine Top-Platzierung schon um halb fünf in Durchgang eins, ähnlich wie der Österreicher Stefan Kraft, der Gesamtweltcupsieger von 2017.

Erneut hüpft Wellinger von ganz hinten weit nach vorne

Der Engelberger Samstag verdeutlichte so noch einmal die personelle Vielfalt an der Skisprungspitze. Allerdings sind die beteiligten Nationen an vier Fingern abzählbar: Norwegen, Polen, dank Kraft auch Österreich - und eben an vorderer Stelle nach wie vor Deutschland. Die Letztgenannten, weil Schusters Mannschaft sich im zweiten Durchgang steigerte. "Der", sagte Schuster, "hat noch mal etwas bewirkt." Nämlich Erfolgserlebnisse, die das Team weitertragen könnten: "Wir sollten das jetzt mitnehmen und morgen daran anschließen."

Einer der Hauptdarsteller dieses Durchgangs war Andreas Wellinger, der schon zum zweiten Mal in diesem Winter einen verpatzten ersten Sprung mit dem besten Satz von allen im Finale konterte. In Nischni Tagil in Russland war er bereits von Rang 21 auf Platz vier vorgesprungen, diesmal sprang er von Rang 21 auf den sechsten Platz und verteidigte seinen zweiten Platz im Gesamtranking hinter Freitag. Wellingers Auftritt im Schweizer Klosterdorf verdeutlichte - vielleicht noch mehr als Freitags Konstanz auf hohem Niveau - die Erfolgsmethode der beiden Deutschen: sich nicht beeindrucken lassen und sofort an die nächste Aufgabe denken. "Immer wieder umschalten", darum gehe es, sagt Schuster. Womöglich gelingt dies auch Markus Eisenbichler, dem dritten Deutschen unter den Top Ten, der in Engelberg Zwölfter wurde.

Auch der formschwache Peter Prevc bleibt auf dem Radar

Insgesamt hat das erstaunlich aufspringende deutsche Duo also in Engelberg bewiesen, dass es zum Favoritenkreis gehört, sogar zum engeren, in dem sich auch Olympiasieger und Tournee-2017-Gewinner Kamil Stoch befindet, der wie alle Sieganwärter betont, dass es im Skispringen eigentlich keine Sieganwärter gibt. Denn in diesem Sport lasse sich nichts seriös vorhersagen: "Wir Athleten können uns nur immer wieder auf das jeweils aktuelle Springen konzentrieren."

Deshalb wäre es auch unseriös, jetzt schon jene abzuschreiben, die vor Längerem oder vor Kurzem ganz vorne standen, aber auch in Engelberg am Samstag wieder zu kurz flogen: Der österreichische Rekord-Weltcupsieger Gregor Schlierenzauer etwa verpasste das Finale, der zweimalige Doppel-Olympiasieger Simon Ammann rutschte nach einer Vorführung wie zu alten Zeiten (Platz sechs im ersten Durchgang) doch wieder auf Rang 14 ab, und dann ist da noch das Rätsel um den formschwachen Peter Prevc aus Slowenien. Der Tourneesieger von 2016 blieb als Sechzehnter abermals nur Durchschnitt, weshalb ihn die aktuellen Favoriten aber keineswegs vom Radar nehmen. Schuster sagt, Prevc habe die Technik und die Erfahrung und derzeit nur eine Blockade: "Einer wie der kann plötzlich wieder da sein."

© SZ vom 17.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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