Ski-WM in Garmisch:Abgelehnt! Zu teuer!

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Die Arbeitsgruppe der Trainer hat während der Ski-WM einen Maßnahmenkatalog erarbeitet, wie den Gefahren im Skisport zu begegnen ist - ob die Pläne jedoch umgesetzt werden, ist fraglich.

Michael Neudecker

Markus Wasmeier sagt, er stellt sich das lustig vor: Wie der Airbag an einem Skirennfahrer im falschen Moment aufgeht, zu früh, "und dann fährt der runter wie ein Luftballon", Wasmeier lacht. Natürlich weiß Markus Wasmeier, der deutsche Skirennheld der Neunziger, dass die Sache mit den Airbags zu ernst ist, um darüber Witze zu machen, aber so ist derzeit die Stimmung in der Branche, wenn es um den Airbag geht: Man weiß nicht, wie ernst man das Thema nehmen soll.

Der Slowene Andrej Jerman stürzt im Zielraum beim Abfahrtsrennen in Garmisch. (Foto: dpa)

Der Weltverband Fis hat erst vor ein paar Wochen stolz verkündet, mit der Firma Dainese einen Vertrag unterzeichnet zu haben, und die Firma würde sich an die Entwicklung eines Airbags für Skirennfahrer machen. Seitdem debattiert die Szene, ob das zielführend ist, und die Debatte ist exemplarisch für die Suche nach Antworten auf die ständig präsente Frage nach Sicherheit: Die Suche ist mühsam, und das ist sie wohl auch, weil es niemanden gibt, der sie koordiniert.

Am Sonntagabend immerhin gab es einen ersten Versuch, die Ideen zu bündeln. Die Coaches' Working Group, eine Kommission aus ehemaligen Skirennfahrern und Trainern, traf sich erstmals in voller Besetzung: die Vorsitzende Pernilla Wiberg aus Schweden, der Liechtensteiner Marco Büchel, der Norweger Kjetil-Andre Aamodt, der Österreicher Toni Giger, der Schweizer Karl Frehsner und der deutsche Männer-Cheftrainer Karlheinz Waibel.

Die Gruppe hat keine Beschlussbefugnis, sie ist eine Art Brainstorming-Team, das über Entwicklungen reden soll und Möglichkeiten finden. Ebendies ist am Sonntag passiert: Es ist eine Liste ausgearbeitet worden, mit Vorschlägen und Forderungen an die Fis, die nun Bernhard Russi übergeben wird, dem Vorsitzenden des Alpinkomitees.

Im Idealfall prägt die Liste die Entwicklung der kommenden Jahre, und der Idealfall wäre: Die Fis nimmt sich der Vorschläge an. Ob das passieren wird, ist ungewiss, einzelne Personen bei der Fis, wie Russi oder die Rennleiter Günter Hujara und Atle Skaardal, investieren zwar viel Zeit in das Thema Sicherheit - aber sie sind eben nur Einzelpersonen innerhalb eines politisch geführten Verbandes. In Funktionärsbüros sind die Interessen manchmal andere als am Berg.

Entscheidend wäre eine Grundhaltung, sagt Waibel: "Wir dürfen nicht jedem Trend hinterherlaufen." Marco Büchel findet: "Wir dürfen uns nicht nur mit dem Ist-Zustand beschäftigen, wir wollen ja in die Zukunft schauen." Der Ist-Zustand besteht seit dem schweren Sturz des Österreichers Hans Grugger in Kitzbühel: Seitdem wird öffentlich über Kopfverletzungen und die Schutzfähigkeit der Helme diskutiert.

Genau das aber sei nicht das zentrale Thema, sagt Waibel. Es gibt eine Studie der Universität Oslo, die zeigt, dass der größte Teil der Verletzungen im Skirennsport das Knie betrifft, weshalb es auch die Aufgabe der Kommission ist, das Interesse der Forschung nachhaltig darauf zu lenken. Was nicht heißen soll, dass die Helme nicht diskussionswürdig sind, im Gegenteil: Auf der Liste stehen auch Vorschläge zum Thema Kopfverletzungen.

Was genau auf der Liste steht, will Waibel nicht sagen, das ist verständlich: Er will die Liste erst der Fis zeigen. Das Thema Sicherheit ist ein sensibles Thema, in dem auch Eitelkeiten eine Rolle spielen.

Umso erstaunlicher ist das, was vor ein paar Tagen in Garmisch passiert ist: Der Österreicher Toni Giger, beim Österreichischen Skiverband Leiter der Abteilung für Entwicklung, Forschung und Innovation, ist auf Peter Spitzenpfeil und dessen Team zugegangen mit dem Vorschlag, Daten auszutauschen. Spitzenpfeil ist als wissenschaftlicher Mitarbeiter der TU München verantwortlich für ein Projekt, das die TU mit dem Olympiastützpunkt im Auftrag des Deutschen Skiverbandes umsetzt: Bei den Rennen werden Vorläufer mit Sensoren bestückt, um Daten über die Geschwindigkeit, Beschleunigungen sowie die Achsenbewegungen zu erhalten. Dass Deutschland und Österreich im Skisport wissenschaftliche Daten austauschen, das wäre noch vor kurzem undenkbar gewesen.

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Giger, der mit der Uni Innsbruck zusammenarbeitet, verfolgt im Auftrag des ÖSV im Prinzip das gleiche Projekt wie Spitzenpfeil - nur die Messsysteme sind etwas anders. Die TUM stattet ihren Läufer mit einem Datenlogger am Rücken aus, der kaum größer ist als ein Handy und mit einer GPS-Antenne auf dem Helm verbunden ist; Gigers Team hat zusätzlich Beschleunigungsmesser an den Beinen des Läufers.

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Die Daten sind eine wichtige Grundlage für die Forschung, nicht nur die aus München und Innsbruck; auch die Daten der Uni Salzburg, die sich mit der Vermessung von Strecken beschäftigt, sowie die Forschungen der Uni Oslo, die sich auf die Verletzungsbilder konzentriert. Das Problem ist nur: Die Datensammlungen stehen noch am Anfang. "Es gibt verschiedene Thesen", sagt Waibel, "aber die Datenlage fehlt noch." Vieles scheiterte bislang am Geld.

"Es gibt keine Sportart, in der die Messung so schwierig ist wie im Skirennsport", sagt Peter Spitzenpfeil. Die Wetterbedingungen, die wechselnden Untergründe, dazu das Problem, dass die Tester keine erfahrenen Rennfahrer sind, sondern Nachwuchsfahrer, die mit Fehlern die Messung beeinflussen; um eine verlässliche Messung zu erhalten, müsste Geld investiert werden. Etwa um ein Team aus ehemaligen Rennfahrern testen zu lassen - oder gar die Rennläufer selbst mit Sensorik zu bestücken, wie es im Motorsport seit Jahren üblich ist.

Daher kommt nun die Skepsis in der Airbag-Debatte: Die Firma Dainese, so ist die Sorge, könnte den Entwicklungsprozess unterschätzen. Um ein System aus Definitionen und Algorithmen zu finden, das festlegt, wann ein Mechanismus in Gang gesetzt wird, ist ja eine gewaltige Menge an Daten nötig.

Im Januar gab es an der TU München ein Treffen zwischen Fis-Vertretern, der Coaches' Working Group und Dainese, danach erstellten Waibel und seine Kollegen einen Businessplan. Dainese lehnte ab: zu teuer. Die Firma versucht nun selbst, das Problem zu lösen. Wie und mit wem, das wissen Spitzenpfeil und Waibel nicht.

© SZ vom 15.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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