Ski-Nordisch-WM:Die Sehnsucht einer Sportnation

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Nicht alles Gold, was glänzt: Sara Takanashi bei der WM in Oberstdorf. (Foto: Thomas Bachun/GEPA/Imago)

60 Weltcupsiege: Japans Skispringerin Sara Takanashi zählt seit Jahren zu den Größten in ihrer Disziplin. Und doch scheitert sie immer wieder an ihrem Traum, einer Goldmedaille bei einem großen Wettbewerb - nun auch in Oberstdorf.

Von Volker Kreisl, Oberstdorf

Diesmal konnte es klappen. Kurz vor sieben Uhr abends, bei der Ski-Nordisch-WM in Oberstdorf. Einen selbstbewussten und wie immer eleganten zweiten Sprung hatte Sara Takanashi nach unten gebracht. Die Landung führte zwar zu starker Rücklage, aber die Haltungsnoten blieben akzeptabel.

Also: wenn nicht jetzt, wann dann? Takanashi ist zwar erst 24, sie fliegt aber schon eine halbe Karriere lang einem großen Sieg hinterher. Und nun stand sie unten, zwei im ersten Durchgang besser platzierte Springerinnen warteten noch oben, auch die Slowenin Nika Kriznar platzierte sich knapp hinter ihr, und auf einmal war Silber schon sicher. Näher war die Japanerin nie dran als in dem Moment, als Maren Lundby aus Norwegen vom Bakken sprang, weit flog, scheinbar schon landen musste, dann aber doch knapp über die grüne Linie der Führenden kam und Weltmeisterin wurde. Vor Takanashi, 8,7 Wertungspunkte voraus.

Manche Sportler sind erfolgreich und laufen dennoch eine Karriere lang dem Erfolg hinterher. Takanashi hat 60 Weltcupsiege errungen, weshalb sie immer wieder festgelegt ist als Top-Favoritin vor Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen. Sie kennt alle WM-Schanzen und deren Besonderheiten, und doch klappt es im entscheidenden Augenblick immer nur fast.

Die Trainer der Konkurrenz empfinden mittlerweile ein gewisses Bedauern. Der deutsche Coach Andreas Bauer sagte am Mittwoch, Takanashi sei für ihn auch "eine tragische Figur. Da habe ich ein weinendes Auge". Er hatte selber soeben eine deftige Niederlage wegstecken müssen, die beste seiner Springerinnen wurde Zehnte. Und es war doch - wenn auch nur mit Zuschauern aus Pappe - eine Art Fest am Mittwochabend an der Schattenbergschanze: Das Skispringen feierte das erste WM-Springen auf der Großschanze. Takanashi schien diesen Schwung mitzunehmen und scheiterte dennoch wieder.

Wie immer blieb sie gefasst und erklärte: "Für Gold muss eben alles stimmen." Was auch bedeutet: Der Weg geht weiter. Es ist ein langer Weg. Takanashi hat bereits mit 15 Jahren ihren ersten Weltcup gewonnen aufgrund ihrer herausragenden Technik, die sie schon als Heranwachsende instinktiv beherrschte. Es war die Zeit, in der von Japans großer Skisprunggeneration um Noriaki Kasai, Hideharu Miyahira und Kazuyoshi Funaki schon lange nur noch Kasai übrig war. Als dann auf einmal eine sehr junge Frau Weltcupsiege feierte, flogen ihr die Herzen der Wintersportfans zu. Klar, nach Siegen bei Junioren-Weltmeisterschaften begann Takanashi bei den Erwachsenen, WM-Podiumsplätze zu sammeln, und ganz zu Anfang, im Jahr 2013, war sogar eine Goldmedaille dabei, im Team. Dabei blieb es.

Nicht eingelöstes Versprechen auf Gold: Sara Takanashi mit Silbermedaille in Oberstdorf. (Foto: MIS/MIS/Imago)

Die Frage ist, warum sie nicht einfach so weitermachte. An ihren Fähigkeiten, die sie mit Rekorden im Weltcup bewies, konnte es nicht liegen. Der Erwartungsdruck von Zuschauern, Trainern, Direktoren und auch den unzähligen Fans wurde jedenfalls stärker. Zugleich kam im Verband Aufbruchsstimmung auf, bei Männern wie Frauen versprach das Beispiel Takanashi, dass Erfolg wieder möglich ist - für die Frauen, aber auch für die Männer, die nach neuer Gewichtsregelung anders trainieren mussten. Und Takanashi, von der man fast nie Klagen hörte, war eine der Spitzen dieses Teams und sich vermutlich ihrer Verantwortung bewusst: "Eine Medaille zu gewinnen, das ist das Wesentliche", sagte der Sport-Ökonom Munehiko Harada kurz vor den Spielen in Sotschi 2014 der New York Times, nur damit stehe eine brillante Zukunft bevor, mit einer Medaille würden die Springer vom Olympia-Komitee finanziert. Takanashi sollte also liefern, denn in Japan ist die Gemeinschaft ein wesentlicher Teil der Kultur. Das Team sei dort wichtiger als der Einzelne, erklärte einmal Markus Neitzel, Japankenner und Dolmetscher des Tourneesiegers Ryoyu Kobayashi.

Takanashi war 2014 noch 17 und im Aufschwung, zehn Weltcupsiege hatte sie vor Sotschi in der laufenden Saison gesammelt, aber es ist trotz ihrer damals grandiosen Form nicht auszuschließen, dass sie bei den Spielen den Druck mit auf die Schanze nahm. Vierte wurde sie und sagte: "Ich bin fürchterlich enttäuscht." Sie habe sich unsicher gefühlt, eine "mentale Schwäche" gespürt. Gut möglich, dass Takanashi, die seither dem großen Titel hinterherspringt, auch viel Pech hatte. Denkbar ist aber auch, dass sich dieser Druck immer bemerkbar macht, wenn es drauf ankommt. Der Druck, dass dies nun nicht nur ein eigener Sehnsuchtsmoment ist, sondern auch der einer ganzen Sportnation: Gold im Skispringen.

Aber mit 24 Jahren ist eine Sportkarriere gerade mal zur Hälfte vorbei, Takanashi verbessert sich ja, hat Silber und Bronze schon gewonnen, und Gelegenheiten ergeben sich noch genügend, um den letzten Schritt zu schaffen und auch diese 8,7 Punkte Rückstand auf Platz eins irgendwann zu tilgen.

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