Ski alpin:Solo auf den letzten Metern bis zum Gipfel

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Siebte, Elfte und Zwölfte zum Auftakt: Kira Weidle wartet weiter auf den ganz großen Freudentag im Alpinbetrieb. (Foto: Frank Gunn/ZUMA Press/Imago)

Kira Weidle ist auch in diesem Winter die einzige deutsche Abfahrerin in der Weltspitze - und sehnt sich nach ihrem ersten Sieg. Wie schwer das ist , erfährt die 26-Jährige beim Saisonauftakt in Lake Louise.

Von Johannes Knuth

Ein schöner und recht praktischer Wesenszug der Skirennfahrerin Kira Weidle: Sie stellt dem Zuschauer, sobald sie das Ziel erreicht hat, umgehend eine Kurzrezension ihrer Fahrt parat. Flüche, Jubel, Kopfschütteln, Weidle hat kein Problem damit, ihre Gefühle nach außen zu kehren, und das ist immer auch ein schöner Kontrast, nachdem die Athletin knapp zwei Minuten auf einer Abfahrt ganz bei sich war, eingepackt in Helm, Skibrille und Overall.

Am Wochenende, nach der zweiten Abfahrt der Saison in Lake Louise, bot Weidle den Beobachtern sogar ein Upgrade. Diesmal rezensierte sie ihre Leistung schon während der Fahrt; ihr Fluch war nicht ganz zu verstehen, aber es ahnte jeder, was gemeint war. Kurz darauf mischte sie das Ganze im Ziel mit einem "So dumm!" ab. Das erzählte dann schon einiges über ihren Saisonauftakt.

Weidles neue Teamkollegin verletzte sich zuletzt schwer - wieder ein Rückschlag

Kira Weidle vom SC Starnberg ist die aktuelle WM-Silbermedaillengewinnerin auf der Abfahrt, sie stand im Weltcup bislang vier Mal auf dem Podest und verpasste dieses bei den Winterspielen in Peking nur knapp, als Vierte. Wer so nah dran ist, der will natürlich auch mal dorthin, wo Weidle noch nie war: ganz oben aufs Podium, an jene Sonnenplätze, die in Lake Louise der Italienerin Sofia Goggia (in beiden Abfahrten) und der Schweizerin Corinne Suter vorbehalten waren, mal wieder.

Weidle konnte ihre Darbietungen indes unter einer bekannten Kategorie abheften: wie man es besser nicht anlegt. Die erste Abfahrt im kanadischen Ski-Resort gelang ihr passabel, sie verlor nur etwas viel Zeit in den kurvigeren Passagen, die ihr seit einer Weile nicht so recht schmecken - Rang sieben. Für die zweite Abfahrt am Tag darauf hatte sie sich selbst mehr Risiko verordnet, doch die Dosis, die sie sich verabreichte, war zu hoch, ein Klassiker. Sie fuhr so direkt auf ein paar Tore zu, dass es sie weit von der Idealspur trieb und auf Platz elf. "Da habe ich zu viel gewollt", sagte Weidle, ehe sie ihre Manöverkritik mit einem positiven Ausblick auf den WM-Winter versah: "Wenn man solche blöden Fehler weglässt, kann es wieder sehr weit nach vorne gehen."

"Wenn man solche blöden Fehler weglässt, kann es wieder sehr weit nach vorne gehen": Kira Weidle zieht in Lake Louise ein "einigermaßen" versöhnliches Fazit zum Saisonauftakt. (Foto: Sergei Belski/USA Today Network/Imago)

Weidle hat einst mit 19 im Weltcup debütiert, sie ist noch immer erst 26 Jahre alt, das ist kein Alter für eine Abfahrerin. Aber wer so früh so schnell ist, der will eben auch früher nach ganz oben. Und daran hatte sie zuletzt, wie es ihre Art ist, sehr gewissenhaft gearbeitet. Sie hatte, auch auf eigenen Wunsch, in der Vorbereitung mit den Männern trainiert. "Die fahren einfach noch mal auf einem anderen Niveau", sagte Weidle zuletzt, da könne sie viel plagiieren: wie die Kollegen ihre Idealspur anlegen, wie sie Übergänge und Sprünge angehen, solche Sachen.

Ihre Vorgesetzten haben auch einen neuen Trainer ins Team geholt, der Weidles Riesenslalom-Schwung und damit ihre Kurventechnik festigen soll, vor allem mit Blick auf den wendigeren Super-G. Platz zwölf in dieser Disziplin am Sonntag - besser war Weidle erst ein Mal als Siebte - verschaffte ihr dann auch einen "einigermaßen versöhnlicher Abschluss" in Kanada. Letztlich, das konnte sie erneut festhalten, lässt sich eine der wichtigsten Kompetenzen für die Weltspitze nur schwer im Training einstudieren: die Kunst, das Risiko bei bis zu 130 Stundenkilometern jederzeit richtig abzumischen. Nicht wie Goggia, die ist beizeiten noch immer so unterwegs, dass es selbst dem Risiko zu riskant ist, aber auch eine Corinne Suter brauchte ein paar Jahre, ehe sie Goldmedaillen bei Olympia und Weltmeisterschaften umgehängt bekam.

Weidle ist längst selbst als Ausbilderin und Ratgeberin gefragt

Und während die Konkurrenz aus Italien, Österreich und der Schweiz in Mannschaftsstärke aufschlägt, musste Weidle zuletzt einen weiteren Rückschlag verkraften. Roni Remme, die vom kanadischen zum deutschen Verband gewechselt war, stürzte im Training in Lake Louise - Kreuz- und Innenbandriss im rechten Knie, Saison vorbei. Weidle wird also auch in diesem Winter nicht viel Gesellschaft von den Teamkolleginnen haben, ein Umstand, der bei den monatelangen Reisen im Winterbetrieb nicht gerade zuträglich ist. Kleiner Hoffnungsfunke: Emma Aicher erstand in Lake Louise als 21. in Abfahrt und Super-G erstmals Weltcup-Punkte in den schnellen Disziplinen. Aber Aicher wird im Winter vor allem im Slalom gefordert sein, dort startete sie in Levi zuletzt durchwachsen - wie das halt so ist bei 18-jährigen Begabungen.

Auch das gehört mittlerweile zu Weidles Rechten und Pflichten: Sie, die jahrelang von Viktoria Rebensburg lernte, ist längst selbst als Ausbilderin gefragt. "Klar kommen die Jungen zu mir, fragen mich bei Materialsachen oder Linienwahl", erzählte sie zuletzt. Und natürlich sei sie dabei so offen, wie es Rebensburg einst war, schon allein aus eigenem Interesse. "Es ist immer schade zu sehen, wo wir vor vier, fünf Jahren waren", sagt Weidle, mit rund einem halben Dutzend an Athletinnen im Speed-Resort, die bald darauf aufhörten.

Der neue Cheftrainer Andreas Puelacher will die Jüngeren zwar vermehrt in den Trainingsläufen der Weltcups einsetzen - auch, um deren Wissens- und Erfahrungslücken zu verringern. Aber die meisten, das hat auch Weidle beobachtet, haben noch einen "weiten Weg" vor sich. Einen Weg, auf dem auch Weidle immer wieder neue Tücken kennenlernt, auf den letzten Metern bis zum Gipfel.

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