Ski alpin:Elch im Ruhestand

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Besonderer Teamgeist: Aleksander Aamodt Kilde (links) und Rasmus Windingstad (rechts) schultern den Neu-Ruheständler Kjetil Jansrud. (Foto: Erik Johansen/AFP)

In Kjetil Jansrud verabschiedet sich einer der prägenden Alpinfahrer der vergangenen Jahre: Der Norweger gewann nicht nur Olympiatitel und WM-Medaillen, er stand auch für eine besondere Leistungskultur in der Szene.

Von Johannes Knuth, Kvitfjell/München

Der wahre Charakter eines Sportlers zeigt sich ja angeblich in der Niederlage, aber manchmal ist es auch spannend, wie ein Athlet den Erfolg verdaut. Kjetil Jansruds letzter funkelnder Moment kam vor drei Jahren, bei den alpinen Weltmeisterschaften in Are, viele Norweger waren in den schwedischen WM-Ort gekommen. Einige hielten das übergroße Konterfrei von Aksel Lund Svindal in die Höhe, Jansruds prominenter Teamkollege fuhr damals sein letztes Rennen. Es war dann allerdings Jansrud, der Svindal den Titel wegschnappte, um zwei mickrige Hundertstelsekunden. Na und?

Wer nach Siegesgeheul lauschte, wurde enttäuscht, wie immer bei Jansrud. Er habe auch viel Glück gehabt, sagte er später. Den ganzen Winter über habe er damals Skier und Bindung nie richtig so aufeinander abstimmen können, dass es zu seiner Fahrweise passte. Nun, in Are, hatten ihm Wind und Schnee traumhafte Bedingungen beschert. Das war oft so: Im Zweifel machte sich Jansrud ein bisschen kleiner, als man es in dieser Ego-Branche erwarten würde.

Es ist unmöglich, jemanden aufzutreiben, der etwas Schlechtes über Jansrud sagt

Da war es fast schon extravagant, wie sich der 36-Jährige jetzt in Kvitfjell verabschiedete, in seiner letzten Abfahrt, auf dem Hausberg der Norweger. Er streckte beide Arme zur Seite, fast wie Cristo Redentor in Rio. Das nahm ihm natürlich niemand krumm, alle applaudierten sie im Ziel, Aktive und Ehemalige wie Svindal. Jansrud beendete sein Skifahrerleben mit 23 Siegen in 358 Weltcup-Rennen, er zog vier kleine Gesamtwertungen auf seine Seite (eine in der Abfahrt, drei im Super-G), Olympiagold 2014 im Super-G war der Höhepunkt, das WM-Abfahrtsgold 2019 der goldene Abschluss. Das war das eine. Das andere war, dass es in all den Jahren fast unmöglich war, jemanden aufzutreiben, der etwas Schlechtes über Jansrud sagte. Und das lag auch daran, wie diese (meist) schrecklich heile norwegische Skifamilie durch den Winter zog.

Vor zwei Jahren, nach seinem Titel in Are, hatte Jansrud noch mal an die Anfänge erinnert: Wie er als 14-Jähriger ins Sportinternat kam und nur der drei Jahre ältere Svindal sich als Zimmerkollege anbot. "Wenn etwas unseren Mannschaftsgeist definiert", sagte Jansrud, "muss man sich nur an diese Geschichte erinnern." Svindal gab diesen Geist bald im Nationalteam weiter, Kjetil-Andre Aamodt und Lasse Kjus, die einstigen Großmeister, hatten Svindal das früh aufgetragen: Die einzige Chance, die wenigen Ski-Talente des Landes bei Laune (und guten Ergebnissen) zu halten, war es, sie gleich als vollwertige Mitglieder einzubinden. "Wenn ich jemandem nur 99 Prozent Vertrauen entgegenbringe, ist das wie null Prozent", hatte Svindal zuletzt erzählt: "Weil sich dein Gegenüber immer fragen wird, weshalb du ihm das letzte Prozent nicht auch noch anvertraust."

So hielt es Svindal dann auch mit Jansrud. Es war ein simpler, auf lange Sicht aber nicht ganz einfacher Gedanke in einem Individualsport: Wer seine Teamkollegen stärkt, Geheimnisse beim Material und der Pisteninspektion teilt, stärkt auch sich selbst - weil das Wissen irgendwann zu einem zurückfließt. Jansrud blühte auf in diesem Biotop: Bei der WM 2009 ging er lieber zur Siegerehrung eines Kameraden, als sich um den Schlaf zu kümmern, 2010, bei den Spielen von Vancouver, gewann er seine erste Medaille, Silber im Riesenslalom. Als Svindal verletzt war oder schwächelte, sprang er fortan immer häufiger ein, gewann 2014 Gold und Bronze (in der Abfahrt), WM-Silber in der Kombination (2015) und im Super-G (2017). Er war nun längst kein "Baby-Elch" mehr, wie sie ihn einst nannten, dafür einer, der in sich ruhte; der Großanlässe als Chance sah und nicht als Bedrohung; der nun die Jungen mitzog.

Goldener Schlusspunkt: Aksel Lund Svindal (oben links) und Kjetil Jansrud feiern ihre Silber- und Goldmedaille nach der WM-Abfahrt 2019. (Foto: Anders Wiklund/AFP)

Das Abfahrtsgold 2019 war allerdings auch der Anfang vom Ende. Die Tüftelei mit dem Material gab Jansrud immer häufiger Rätsel auf, der Rücken schmerzte immer heftiger, im vergangenen Dezember rissen Kreuz- und Innenbänder im Knie. Die Ärzte veranschlagten sechs Monate Pause, mindestens, Jansrud reiste drei Monate später trotzdem zu den Spielen nach Peking, dort war er chancenlos, als 23. im Super-G. Er wusste wohl, dass er seinem Körper nur noch diesen einen großen Auftritt würde abtrotzen können. Und dann ist da ja noch die Familie, seit eineinhalb Jahren ist Jansrud Vater einer Tochter. Am Samstag, beim Abschied, wurde er 52. - geschenkt. All die Medaillen und Siege ließen ihn dankbar zurückblicken, sagte Jansrud, am meisten werde ihm aber die Zeit mit den Teamkollegen fehlen: "Es sind diese kleinen Momente, die größer sind, als man denkt."

Das Fundament für die Nachfolger ist längst gegossen, Aleksander Aamodt Kilde, 29, sicherte sich am Wochenende in Kvitjfell die Gesamtwertung im Super-G und könnte in der übernächsten Woche auch die Abfahrtskugel erstehen. Kilde erlebte auch schon 2014, als Jansruds Zimmerkollege, wie man Olympiasieger wird, in Peking gewann er zuletzt Silber in der Kombination, Bronze im Super-G. "Ich muss mich bei ihm bedanken, dass er einer der besten Athleten der Welt war, aber auch eine unglaubliche Person", sagte Kilde nun. Ganz einfach werden die kommenden Winter nicht, hinter Kilde klafft in Norwegens Speed-Auswahl gerade eine kleine Lücke.

Am Sonntag, im ersten Rennen ohne Jansrud, gewann Kilde übrigens den Super-G.

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