Skeleton:Tollkühnes Trio im Eis-Labyrinth

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Dynamischer Auftakt: Skeleton-Weltmeisterin Tina Hermann. (Foto: Andrew Chin/imago)

Bei der WM auf der schnellen Bahn von Whistler feiern Tina Hermann, Jaqueline Lölling und Sophia Griebe einen Dreifachtriumph.

Von Barbara Klimke, Whistler/München

Schnelligkeit hatte schon immer ihren Reiz. Vielleicht ist es kein Zufall, dass ungefähr zur gleichen Zeit, als ein gewisser Carl Benz am ersten Patent-Motorwagen tüftelte, ein Haufen verwegener Briten den Versuch unternahm, sich im Schweizer Bergurlaub kopfüber eine Eisrennbahn hinabzustürzen. Bäuchlings auf einem Brett durch die Rinne, das Kinn nur Zentimeter überm Hang, das war schon damals eine abenteuerliche Idee. Der tuckernde Motorwagen von einst hat seitdem eine Reihe von Metamorphosen durchlaufen; die tollkühne Sause durchs Eis jedoch, Kinn voraus, ist fast unverändert geblieben. Genau darin, so erklärte Jacqueline Lölling nun nach vier rasanten Fahrten auf der Bahn von Whistler fröhlich, liege die Faszination ihrer Sportart Skeleton: "Ohne die Geschwindigkeit wäre es nur halb so schön."

Jacqueline Lölling, 24, ist wie die neue Skeleton-Weltmeisterin Tina Hermann, 27, bei der WM in Kanada mit einem Bahnrekord durch den Eiskanal geschossen. Gemeinsam mit der drittplatzierten Sophia Griebel, 28, bildeten sie ein Tempo-Trio, das die gesamte Weltelite zeitlich auf Abstand hielt. Nie zuvor haben drei Athletinnen aus einem Land den kompletten Medaillenrang - Gold, Silber, Bronze - im Skeleton erobert. Bei den Männern hatten die Österreicher einen solchen Dreifachsieg zwar schon einmal, im Jahr 1991, verzeichnen können und dabei die Streckenkenntnis ihrer Hausbahn in Innsbruck genutzt. Für Frauen aber werden Weltmeisterschaften erst seit 2000, also mit der üblichen gesamtgesellschaftlichen Verspätung, organisiert. Und das Kurven-Wirrwar von Whistler, die Olympiabahn von 2010, barg für das deutsche Terzett am Wochenende diesmal keinerlei Heimvorteil.

Aus diesem Umstand haben Hermann, Lölling und Griebel allerdings das Beste gemacht, indem sie die wohl schwierigste Anlage der Welt kurzerhand zu ihrer Lieblingsstrecke erklärten: "Die Bahn gefällt mir, ich wusste, dass ich hier gut bin", sagte Tina Hermann vom WSV Königssee, die schon vor drei Jahren Einzel-Weltmeisterin in Innsbruck geworden war und nun zum zweiten Mal triumphierte. Sie hat in den schwierigen Kurven von Whistler ihre "innere Ruhe" wiedergefunden, wie sie sagte, und das ist im Skeleton- Sport tatsächlich wörtlich zu nehmen. Denn das Gefährt - ein skelettförmiger Stahlrahmen mit Fieberglaswanne und starren Kufen - hat keine Lenkung. Es lässt sich nach kraftvollem Sprint und dem Sprung auf den Schlitten nur schwer steuern, durch Druckverlagerung mit den Beinen und den Schultern. Idealerweise fährt ein Skeletonpilot in hohen Kurven ruhig schwingend durch die Bahn, wodurch der Untersatz gehörig Fahrt aufnimmt. Ohnehin wusste Tina Hermann dass sie nach einem für sie enttäuschenden Olympiawinter mit Rang fünf in Pyeongchang gerade rechtzeitig zu gewohnter Form zurückgefunden hatte: Zwei Wochen vor der WM war sie beim Weltcup in Calgary als Zweite ins Ziel gerast: Dieses Erfolgserlebnis, erklärte sie, habe ihr bei den vier Läufen in Whistler einen "zusätzlichen Push" verliehen.

Auch Bronzemedaillengewinnerin Sophia Griebel aus Suhl verspürte diesen Extra-Schub. Sie hatte in ihrer Weltcupkarriere zuvor überhaupt noch nie von einem Siegerpodest gewunken. "Ich liebe diese Bahn. Immer schon!", erklärte sie in Whistler, wo sie die größten Triumphe ihrer sportlichen Laufbahn erlebte, denn schon im nicht-olympischen Teamwettbewerb war sie gemeinsam mit den Bobfahrern Erste geworden. "Ich liebe den Speed, den man hier hat", sagte sie begeistert: Dieses einmalige Achterbahngefühl sei das Geheimnis ihres Überraschungserfolgs.

Tatsächlich gibt es keinen anderen Eiskanal, der den Skeletonpiloten ein vergleichbares Geschwindigkeitserlebnis vermitteln kann. Nur in Whistler, erklärte Jaqueline Lölling, Weltmeisterin von 2017 und Olympiazweite von 2018, würden Spitzenwerte von über 140 km/h gemessen. Auf Deutschlands schnellster Bahn in Winterberg könne ein Skeleton demnach auf 130 km/h beschleunigen, in Königssee gehe es mit 120 km/h vergleichsweise beschaulich zu.

Es spreche für das gesamte deutsche Team, dass alle drei Pilotinnen auf dem Extremkurs im Eis die schnellste Linie gefunden hätten. Bundestrainer Dirk Matschenz, seit einem Jahr in verantwortlicher Position, bestätigte der Deutschen Presse-Agentur am Wochenende, dass sich die Fahrausbildung des Teams an den Kurvenradien von Whistler orientiert habe. Aber wenn es rasend schnell wird, fühlt sich sein tollkühnes Trio erst so richtig wohl in seinem Element.

© SZ vom 11.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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