Simone Biles bei der Turn-WM:Sie blendet das Düstere aus

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Die Beste: Simone Biles am Schwebebalken. (Foto: Charlie Riedel/dpa)
  • Simone Biles ist die beste Turnerin der Geschichte.
  • Zur Weltmeisterschaft in Stuttgart gibt die Amerikanerin sich nahbar und locker.
  • Sie will nur über Sport sprechen in den kommenden Tagen und das Düstere in ihrem Leben ausblenden.

Von Volker Kreisl, Stuttgart

Heute will sie nur über den Wettkampf sprechen. Heute und in den kommenden Tagen nur Sport-Fragen. Simone Biles will Turnerin sein, sie will über die Sportpsyche und ihre Sportziele reden, vielleicht auch über die Frage, ob sie schon eine Sportlegende ist, oder auch über die neuen Elemente, die Triple-Double oder Double-Double heißen. Heute soll es nicht ums Private gehen und auch nicht um den großen Skandal.

Simone Biles aus Houston in Texas, jetzt schon die beste Turnerin der Geschichte, hat drei Tage vor Beginn der Weltmeisterschaften in Stuttgart zur Pressekonferenz geladen, weil in den zehn Tagen danach nur noch Zeit für knappe Antworten in der Mixed-Zone sein wird. Sie hat gelernt, sich zu konzentrieren, nämlich auf das, was im nächsten Moment wichtig ist. Sie wird in Stuttgart bis zum übernächsten Wochenende viele Höchstschwierigkeiten zeigen, eine neue wohl auch am Schwebebalken, und dazu etliche andere: in der Qualifikation, dem Mannschaftswettbewerb, dem Mehrkampf und an den Einzelgeräten.

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Bei den US-Meisterschaften führt die 22-Jährige das sogenannte Triple-Double auf. Um dem Element ihren Namen geben zu dürfen, muss sie aber noch eine Hürde nehmen.

Biles ist erst 22, aber bereits ein Weltstar, und dazu gehört auch, dass sie nicht Themen bespricht, die ihr vielleicht bei Weltmeisterschaften nachts zu schaffen machen. Solche Probleme durchzogen ja ihr Leben. Es gibt die Biles, die als Fünfjährige von den Großeltern adoptiert wurde, weil die drogenkranke Mutter sie nicht aufziehen konnte. Die nach Texas ging, während die älteren drei Geschwister nach Cleveland zogen. Es gibt die Biles, die zu den vielen hundert Missbrauchsopfern des Teamarztes Larry Nassar gehört und von ihrem eigenen Verband bis heute schwer enttäuscht ist. Es gibt die Schwester Simone, deren älterer Bruder Tevin in Cleveland kürzlich an einer tödlichen Schießerei beteiligt war und in Untersuchungshaft sitzt. Und es gibt die Biles, die jetzt, in diesem Moment, über Turnen reden will.

Den Dreifachdoppel am Boden plant Biles in jedem Wettkampf

Die viermalige Olympiasiegerin und 14-malige Weltmeisterin ist auf der Höhe ihres Schaffens. Vor sieben Wochen hatte sie einen Triple-Double gezeigt, einen gebückten Doppelsalto, mit drei ganzen Umdrehungen am Boden, als erste Turnerin überhaupt. Für die Zuschauer in Stuttgart, die wegen der hohen Turnvereinsdichte im Umland zu großen Teilen wie bei der WM 2007 ein fachkundiges Publikum bilden werden, dürfte jeder ihrer Auftritte interessant werden.

Den Dreifachdoppel am Boden plant Biles diesmal in jedem Wettkampf, sie will, dass er richtig sitzt. Schraubenzählen können Zuschauer ferner auch am Sprung, wo Biles ihre drei Umdrehungen wie schon bei der WM in Doha 2018 präsentiert, und womöglich auch beim neuesten Doppeldoppel, der zwar nur zwei Umdrehungen in einen Doppelsalto integriert, dies aber am Schwebebalken, auf den ja kein Sprungbrett montiert ist. Biles erzählt, wie sie alle diese Übungen entwickelt, weniger planmäßig als spielerisch. Die Amerikanerin setzt sich keine konkreten Ziele, sondern probiert neue Akrobatik nach Laune in der Trainingshalle aus, da einen Überschlag, dort ein weiteres Schräubchen. Die Ergänzungen werden zunächst verworfen, dann wieder aufgegriffen, und irgendwann sind sie ausgereift. "Mit dem Tripledouble hab' ich lange nur rumgespielt", erzählt sie.

Biles freut sich auf die kommenden Tage, ansonsten würde sie nicht ständig so breit grinsen und Witze reißen, wie bei der Frage, ob die Karriere der immer noch für Usbekistan startenden Turnerin Oksana Tschussowitina, 44, vielleicht ein Vorbild für sie sei. Biles, wie gesagt 22 Jahre alt, beschwichtigt, die Kollegin turne ja nur am Sprung, sie erfährt dann, dass Tschussowitina immer noch Mehrkämpferin ist, und erklärt sich sofort bereit, auch bis 44 weiterzumachen.

Das wird sie natürlich nicht nötig haben. Biles sprengt schon jetzt andere Grenzen. Sie wird, falls alles normal läuft, in Stuttgart alle anderen Frauen und Männer überstrahlen, derzeit fehlt es dem Turnsport an charismatischen Figuren, auch weil der Japaner Kohei Uchimura verletzt ist.

Und Biles hat mit ihrem Auftritt 2016 bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro bereits einen einmaligen Erfolg gefeiert, mit viermal Gold und einmal Bronze. Den Traum von fünf Goldmedaillen könnte sie vielleicht in Tokio verwirklichen, bei den Spielen im kommenden Jahr, und bei dem Gedanken an Tokio nennt einer im Pressekonferenzraum neben der Schleyer-Halle nun die Namen Usain Bolt und Michael Phelps. Die beiden waren die Olympiasportler, die über Jahre hinweg die Spiele geprägt hatten, nun sind sie nicht mehr aktiv, und wer sonst könnte die Rolle des großen überwölbenden Superstars übernehmen, wenn nicht die 1,42 Meter große Simone Biles?

Das ist im Grunde die Sport-Frage schlechthin, nur, Biles will sie nicht mit Ja beantworten. Auch sie ist zwar längst in Shows zu Gast, und auf großen Bühnen, die mit Sport nichts zu tun haben. Trotzdem sagt sie, sei es ihr Ziel, die Verbindung zum normalen Zuschauer auf der Tribüne nicht zu verlieren. Sie sagt, sie wolle sich als Mensch präsentieren "und nicht als Superstar". Genauer: "Ich will mich beim Turnen nicht als Simone Biles präsentieren, sondern als Simone."

© SZ vom 02.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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