Sieben Kurven in der Formel 1:Hamilton vergeht die Lässigkeit

Der Brite verzagt an einem Rechenfehler, Sebastian Vettel glänzt mit dem Namen seines Autos - und die australischen Fans haben Faltsessel dabei. Die Höhepunkte des Formel-1-Wochenendes.

Von Philipp Schneider, Melbourne

Lewis Hamilton

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(Foto: Getty Images)

Tagelang sah man ihn lässig auf seinem Tretroller durchs Fahrerlager flitzen. Und wenn Hamilton tagelang lässig mit dem Tretroller durchs Fahrerlager flitzt, heißt das meist nichts Gutes für Sebastian Vettel. Er flitzte nach den ersten Trainings, er flitzte nach dem letzten Training, er flitzte nach dem Qualifying. Nur nach dem Rennen, da flitzte er nicht mehr. Da kam Hamilton zu Fuß zur Pressekonferenz. Vettel hatte ihn besiegt, obwohl das nicht nötig gewesen war. Hamilton wäre durchaus schneller gefahren, hätten ihm seine Renningenieure nicht gesagt, dass er nicht schneller fahren muss. Sie hatten sich verrechnet, beziehungsweise einer Software vertraut, die sich verrechnet hatte, oder sie hatten die Software falsch programmiert, eine andere Möglichkeit blieb ja nicht. Und so bog Vettel nach einer Virtuellen Safety Car Phase überraschend vor Hamilton auf die Strecke, weil sein Vorsprung zu Hamilton doch zu groß war. "Klar ist die Formel 1 ein Team-Sport", sagte Hamilton. "Und ich weiß, welch gute Arbeit meine Jungs machen. Aber manchmal würde ich mir wünschen, es käme nur auf mich und meine Arbeit am Lenkrad an."

Loria

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(Foto: Getty Images)

Vettels neues Auto verdient gesonderte Betrachtung. Nicht weil es sonderlich flott wäre. Sondern weil er es zusammen mit seinen Mechanikern auf einen so außergewöhnlichen Namen getauft hat: Loria. Wer Loria googelte, erhielt bis vergangene Woche zehn Treffer. Es gibt einen Ort in Venetien und es gab oder gibt neun Personen. Achille Loria, einen italienischen Soziologen und Ökonom. Carlos Loria, einen Schriftsteller und Übersetzer, Domenico und Eugenio Loria, zwei italienische Radrennfahrer, Gino Loria, einen italienischen Mathematiker, Giorgi Loria, einen georgischen Fußballspieler, Guillermo Loria Garita, einen costa-ricanischen Geistlichen und Bischof, Lamberto Loria, einen italienischen Ethnographen und Naturforscher, Simone Loria, einen italienischen Fußballspieler. Und jetzt gibt es auch noch Sebastian Vettels Loria, ein italienisches Auto, das bei seinem Formel-1-Debüt gleich mal gewonnen hat. Vettel hat seinen Autos schon immer weibliche Namen gegeben, seit seiner ersten Formel-1-Saison im Toro Rosso 2008. Seine Autos hießen seither "Julia", "Kate", "Kate's Dirty Sister" (Kates schmutzige Schwester), "Luscious Liz" (üppige Liz), "Randy Mandy" (an, sagen wir, allerlei Dingen interessierte Mandy), "Kinky Kylie" (sexy Kylie), "Abbey", "Hungry Heidi", "Suzie", "Eva", "Margherita" und "Gina". "Meine Crew und ich setzten uns vor dem Saisonstart zusammen für ein kleines Brainstorming", erzählte Vettel. "Es geht nur um den Spaß und um einen Namen, der spontan allen gefällt." Auch den Sportjournalisten in Melbourne gefiel der Name Loria spontan sehr gut. Viel besser als Gloria. Er gefiel so gut, dass es unter den Journalisten sofort ein beliebtes Spiel gab. Einfach mal bei allen Namen den ersten Buchstaben weglassen. Ernando Lonso. Ebastian Ettel. Ewis Amilton. Ernie Cclestone.

Halo

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(Foto: REUTERS)

Es ist ja schon einiges gesagt und geschrieben worden über den neuen Schutzbügel aus Titan, der die Köpfe der Piloten vor fliegenden Teilen schützen soll. Er sieht hässlich aus. Er zerstört die vielzitierte DNA der Formel 1, weil diese eigentlich eine Rennserie für todesmutige Kerle in rasenden Kisten sein soll, die keine Angst haben dürfen vor fliegenden Teilen. Er behindert möglicherweise in bestimmten Situationen die Sicht der Piloten. Und vielleicht hindert er die Piloten sogar am Aussteigen in brenzligen Situationen, obwohl Tests ergaben, dass dies nicht zu befürchten ist. Seit dem Wochenende in Melbourne weiß man noch drei Dinge mehr über den Halo. Rennleiter Charlie Whiting musste wegen ihm eine Startampel versetzen, weil sich Fahrer beklagten, sie würden die Lichter nicht sehen, die der Halo verdeckt. Und nicht nur das. "Wegen des Halo haben wir jetzt bei jeder Strecke angefragt, die Ampeln auf einer Standard-Höhe anzubringen", sagt Whiting. Außerdem weiß der Fernsehzuschauer nun, dass er in einigen On-Board-Perspektiven die Strecke nicht mehr sieht, sondern nur noch den Halo. Und Sebastian Vettel hat gelernt, dass sich der Halo vortrefflich als Armstütze eignet. Nicht nur in einigen On-Board-Perspektiven nach seiner Zieldurchfahrt sah es so aus, als würde er den vom Jubeln ermüdeten Arm dort ablegen.

Virtuelles Safety Car

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(Foto: Getty Images)

Die Sicherheitsmaßnahme hat mal wieder entscheidend in ein Rennen eingegriffen und hat letztlich dafür gesorgt, dass Sebatian Vettel seine Führung behalten, beziehungsweise dauerhaft übernehmen konnte auf einem Kurs, auf dem sich so gut wie gar nicht überholen lässt. Eingeführt wurde das VSC im Jahr nach dem tödlichen Unfall von Jules Bianchi 2014, der in Suzuka mit seinem Auto unter einen Bergungskran geriet. Wird das VCS aktiviert, dürfen die Fahrer in den Sektoren vorgeschriebene Zeiten nicht unterschreiten. Den Fahrern werden diese Zeiten auf ihrem Lenkrad angezeigt. Im Unterschied zum wirklichen Safety Car kann es bei Gefahr unmittelbar von der Rennleitung aktiviert werden.

Team Haas

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(Foto: dpa)

Sorgte für die aufregendsten und emotionalsten Szenen an diesem Wochenende. "Herzzerreißend", funkte der Kommandostand, als klar war, dass Kevin Magnussen nach 22 Runden ausscheiden würde. Der Däne lag zu dem Zeitpunkt auf Platz vier. "Desaster", hieß es zwei Runden später, als auch Romain Grosjean seinen Wagen ausrollen ließ. Der Franzose lag da ebenfalls auf Platz vier. Zwei Fahrer schieden aus, weil die Boxencrew die Reifen nicht richtig festgeschraubt hatte. Teamchef Guenther Steiner erklärte prompt, sein Team habe in dieser Woche zu selten Reifenwechseln trainiert. "Wir müssen härter daran arbeiten, und wenn wir beim nächsten Rennen in Bahrain eintreffen, so schnell wie möglich Praxis bekommen. Damit die Jungs wieder Selbstbewusstsein bekommen." Abgesehen von den zwei Patzern hat das amerikanische Team beeindruckt in Melbourne. Bei den diesjährigen Testfahrten hatte sich schon angedeutet, dass Haas mit seinen Ferrari-Motoren sehr schnell sein würde in diesem Jahr und sich zur führenden Kraft nach Mercedes, Ferrari und Red Bull aufschwingen könnte. Danach sieht es nach dem Qualifying und den ersten 22 Rennrunden noch immer aus.

Fernando Alonso

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(Foto: Getty Images)

Der zweimalige Weltmeister, der im Vorjahr so sehr verzweifelte an seinem hoffnungslos unterlegenen McLaren Honda, hat nach dem Motorenwechsel zu Renault gleich zum Saison-Auftakt seine Freude am Fahren wiederentdeckt. Hatte er bei den Testfahrten Anfang März in Barcelona noch zahlreiche Defekte zu beklagen (Radverlust, lockerer Auspuff, defekte Batterie, Hydraulikleck, Motorschaden nach Ölleck), lief sein McLaren nun rund. Auch Alonso profitierte wie Vettel von der Virtuellen Safety Car Phase, er machte zwei Plätze gut. Am Ende wurde er Fünfter und war hinter Vettel, Hamilton, Räikkönen und Daniel Ricciardo der beste Fahrer, der nicht in einem der drei besten Autos sitzt. Das war genau das, was sich Alonso nach der Qualifikation erhofft hatte. "Im Rennen erwarten uns dicke Punkte. Ich hoffe, dass wir besser als Platz sechs abschneiden können", hatte er gesagt.

Die Melbournians

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(Foto: AFP)

So ein Formel-1-Rennen ist immer auch ein Schaufenster des Landes. In Spielberg in Österreich sieht es aus wie im Pfadfinderlager. Im Hintergrund die Berge und unten an der Strecke und auf den Tribünen toben die Kinder. In Spa in Belgien sieht es aus wie bei einem Rock-Festival. Im Hintergrund ist der Wald, überall stehen Toilettenhäuschen und unten an der Strecke wohnen Leute in Wohnwagen. Die Menschen in Melbourne zelebrieren ihr Rennen wie ein Hochamt. Mit sehr viel Stil. Schon früh am Morgen laufen die Melbournians in Zweierreihen in den Albert Park. Sie tragen kurze Hosen und sehen alle sehr sportlich aus, weil Melbournians den ganzen Tag durch ihre vielen Parks joggen. Melbourne ist eine Sportstadt, als einzige Stadt der Welt, und selbstredend im Gegensatz zu Sydney beheimatet sie ein Formel-1-Rennen und einen Tennis-Grand-Slam. Am Abend schließen die Restaurants alle sehr früh, weil kein Melbournian Lust hat, spät und ungesund zu essen. In den Albert Park bringen sie Wolldecken und Kinderwagen mit, an den Kinderwagen hängen Ohrenschützer für Babyohren. Manche haben Klappstühle dabei, die eher Klappsessel sind, so gemütlich sehen sie aus. Dann laufen die Melbournians über einen Golfplatz, tatsächlich, nehmen ihre Wolldecken und Klappsessel und legen und stellen diese in geordneten Zweierreihen auf einen Golfplatzhügel, der direkt an der Strecke ist. Keiner brüllt, keiner pöbelt, nicht einmal die Babys schreien. Und wenn das Rennwochenende vorbei ist, dann sieht der Golfplatz wie durch ein Wunder noch immer aus wie ein Golfplatz. Nicht wie die Überreste eines Rock-Festivals.

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