Serie A:Berlusconis letztes Derby

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Übergröße: Die Milan-Fans huldigen vor dem Mailänder Derby gegen Inter noch einmal ihrem scheidenden Klubchef Silvio Berlusconi. (Foto: Alessandro Garofalo/Reuters)

Vor den Augen des ehemaligen Ministerpräsidenten trennen sich AC Mailand und Inter Mailand 2:2 - und Italien verspürt angesichts des bevorstehenden Milan-Verkaufs tatsächlich eine gewisse Nostalgie.

Von Birgit Schönau, Rom

Zwei Berlusconis waren am Sonntagabend im Meazza-Stadion. Ein Silvio Berlusconi auf der Tribüne, das Gesicht nicht mehr ganz so straff gezogen wie früher, die Haare spärlicher, aber die Pünktchen-Krawatte zum Zweireiher saß wie eh und je. Mit fast 80 könnte der Presidentissimo ja der Großvater seines Kontrahenten Steven Zhang sein, dem 25 Jahre alten Sohn des neuen Besitzers von Inter Mailand. Presidentino wird Zhang in Mailand genannt, kleiner Präsident. Er tritt auf wie ein Student: Kapuzenpullover unter dem Jackett, unprätentiöser Kurzhaarschnitt, schwarze Nerd-Brille. Englisch spricht er schon, Italienisch lernt er gerade, mit einem freundlichen Buonasera begrüßte ihn der Milan-Patron leutselig vor dem Spiel. Und dann sahen der Presidentissimo und der Presidentino den zweiten Berlusconi, auf einem riesigen Tuch, das die Milan-Kurve über die Köpfe von abertausenden Tifosi entrollte. Darauf überlebensgroß: der Präsident mit seinem Lieblingspokal im Arm, jenem Landesmeister-Cup, den fünfmal eine von Berlusconi angestellte Mannschaft gewinnen konnte. Insgesamt hat die Associazione Calcio Milan in 30 Jahren unter Berlusconi 28 Trophäen gewonnen. "Ein solcher Traum wird sich nicht wieder erfüllen", grüßte die Kurve: "Grazie Präsident."

Das Geld der Chinesen fließt nach Luxemburg - dort hat Berlusconi eine Tochterfirma angesiedelt

Danke sagt man zum Schluss. "Letztes Derby? Glaube ich nicht", orakelte der Boss. Es ist ja auch kaum zu glauben, oder? Berlusconi tritt ab, er verkauft den AC Mailand an die Chinesen. Schon bei der nächsten Stadtmeisterschaft könnte Steven Zhang von Inter in der Milan-Loge auf einen Landsmann treffen. Mailand, einst eine der Fußball-Hauptstädte der Welt, wird also chinesisch. Weswegen tatsächlich das merkwürdige Phänomen zu beobachten wäre, dass nicht nur der AC Mailand, sondern der italienische Fußball generell schon jetzt so etwas wie Nostalgie nach Silvio Berlusconi verspürt. Und wenn man genauer hinschaut, beschränkt sich das noch nicht einmal auf den Fußball.

Sicher, in seinem Nebenjob als Ministerpräsident hatte der Alte keine Fair-Play-Grenzen im Umgang mit den Staatsfinanzen gelten lassen; er hatte die grassierende Korruption als Fantasiekonstrukt kommunistischer Staatsanwälte verharmlost und die Gesetzgebung auf seine Person und seine Firma zugeschnitten. Unter dem Presidentissimo riskierte Italien den Staatsbankrott und die Entmachtung sämtlicher demokratischer Institutionen. Aber verglichen mit jenen rabiaten Schreihälsen, die heute das Wahlvolk belagern, erscheint selbst Bunga-Bunga-Berlusconi als moderat. Wenigstens politisch. Gleich hinter dem Präsidenten hatte sich etwa Matteo Salvini auf der Vip-Tribüne niedergelassen, der Vorsitzende der Rechtsaußen-Partei Lega Nord. Salvini lässt keine Gelegenheit aus, auf das Heftigste gegen Flüchtlinge zu hetzen. Statt mit jungen Frauen Partys zu feiern, geht er lieber mit seiner französischen Freundin Marine Le Pen in die Disco, Schautanzen gegen Europa. Auch der Lega-Mann ist Milan-Fan. Aber den Klub kaufen, das kann er natürlich nicht.

Das können nur die Kommunisten aus China. 100 Millionen Euro Anzahlung hat Berlusconi im Sommer von der Sino-Europe-Gruppe kassiert, weitere 420 Millionen sollen folgen. Die Chinesen werden auch die 220 Millionen Euro Schulden übernehmen - wenn ihre nationale Entwicklungs-und Reformkommission, das Handelsministerium und das Außenhandelsbüro grünes Licht für den Abfluss von so viel Geld ins Ausland gegeben haben. Wobei die Yuans nicht etwas nach Mailand, sondern nach Luxemburg transferiert werden sollen, wo Berlusconi vorsorglich die Tochterfirma "Rossoneri Europa" angesiedelt hat.

Aufregende Zeiten - und gespielt wurde ja auch noch. Das zahlende Publikum im endlich mal wieder ausverkauften Stadion von San Siro sah ein spannendes, wenn auch nicht unbedingt hochklassiges Derby, bei dem der neue Inter-Trainer Stefano Pioli (Nummer vier in dieser ersten chinesischen Saison) seinen Einstand gab. Pioli soll seine Truppe vom Tabellen-Mittelfeld auf einen Champions-League-Platz hieven, der Kollege Vincenzo Montella mit Milan zumindest den zweiten Platz hinter Juventus Turin verteidigen. Beides gelang - mit einem 2:2, das jedoch nur Inter glücklich machte. Milan, kräftemäßig unterlegen, aber erfrischend geschmeidig, hatte bis zur zweiten Minute der Nachspielzeit 2:1 geführt und den Sieg schon sicher geglaubt. Dann traf der Kroate Ivan Perisic, 27, doch noch in das Tor des zehn Jahre jüngeren Gianluigi Donnarumma.

Matchwinner blieb der Spanier Jesus Saez de la Torre, genannt Suso. Der 23-Jährige erzielte beide Milan-Treffer (43. und 58.), der Italiener Antonio Candreva, 29, glich für Inter zwischenzeitlich aus (53.). Suso ist bei Milan so etwas wie der verlorene Sohn. In der vergangenen Saison wurde er zum CFC Genua ausgeliehen, erst kürzlich kehrte er zurück. "Wenn ich im Derby zwei Tore schieße, gehe ich danach zu Fuß zum Training", hatte er versprochen, aber Montella wollte davon dann doch nichts wissen: Gut 50 Kilometer Fußmarsch sind eindeutig zu viel für einen Spieler, der seinen Stammplatz so gut wie sicher hat. Schließlich wollen bald auch die Chinesen den Jesus aus Spanien spielen sehen. Einstweilen gratulierte ihm Berlusconi, und dann ging der Presidentissimo tatsächlich in die Inter-Kabine. Das darf man nämlich, beim letzten Derby.

© SZ vom 22.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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