Testosteron-Regel:Semenya gewinnt vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

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Caster Semenya aus Südafrika bei einem Meeting 2019 in Doha. (Foto: Nikku/dpa)

Die südafrikanische 800-Meter-Läuferin sei diskriminiert worden, urteilt das Gericht. Eine Rückkehr auf die Bahn ist dennoch unwahrscheinlich. Wegen zu hoher Testosteronwerte darf Semenya nicht mehr starten.

Die zweimalige Olympiasiegerin Caster Semenya hat im Kampf gegen die Testosteron-Vorschriften des Leichtathletik-Weltverbandes einen Erfolg errungen. Die Läuferin aus Südafrika gewann ihre Berufung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Die Richter stellten am Dienstag in ihrer Begründung mehrere Menschenrechtsverletzungen fest, die 32-Jährige sei diskriminiert worden. Zuvor hatte Semenya erfolglos vor dem Internationalen Sportgerichtshof Cas sowie dem Schweizer Bundesgericht geklagt.

Wie sich das Urteil auf die Regeln des Leichtathletik-Weltverbands World Athletics (früher IAAF) auswirken könnte, war zunächst unklar. Es könnte aber den Sportgerichtshof Cas zwingen, die Vorschriften zu überprüfen, wonach Semenya und andere intersexuelle Sportlerinnen ihren natürlich hohen Testosteronspiegel künstlich senken müssen, um an Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften teilzunehmen. World Athletics hatte im November 2018 in bestimmten Disziplinen für die Teilnahmeberechtigung in der Frauenklasse einen Testosteron-Grenzwert eingeführt. Dagegen hatte Semenya vergeblich beim Cas und dem Schweizer Bundesgericht geklagt.

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Semenya hatte öffentlich gemacht, einen hohen natürlichen Testosteronspiegel zu haben, lehnte es aber ab, sich den neuen Regeln zu unterwerfen. Sie wollte sich keiner Behandlung unterziehen, um ihren natürlichen Hormonspiegel unter einen bestimmten Schwellenwert zu senken und so die 800 Meter laufen zu können. Die aktuelle Version der Regel verlangt, dass Sportlerinnen mit Varianten der Geschlechtsentwicklung (DSD) ihren Testosteronwert im Blut auf unter 2,5 Nanomol pro Liter senken und diesen Wert zwei Jahre lang unterschreiten müssen, um in der weiblichen Kategorie antreten zu können.

Semenya gewann 2012 und 2016 Olympia-Gold über 800 Meter, darf aber seit 2019 aufgrund der sogenannten Testosteron-Regel nicht mehr bei internationalen Rennen über ihre Paradestrecke antreten. Ihren Protest gegen ihr Startverbot trug Semenya zunächst vor den Internationalen Sportgerichtshof Cas. Dieser entschied gegen sie, wogegen sie Beschwerde vor dem Schweizer Bundesgericht in Lausanne eingereicht hat. Das Bundesgericht wies diese jedoch ab. Semenya wandte sich deshalb an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Der EGMR stellte nun fest, dass Semenya bei den Gerichtsverfahren in der Schweiz ein wirksamer Rechtsbehelf verweigert wurde. Sie habe glaubwürdig dargelegt, warum sie wegen ihres erhöhten Testosteronspiegels diskriminiert werde. Für solche Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts und sexueller Merkmale brauche es "sehr gewichtige Gründe" als Rechtfertigung. Weil für Semenya so viel auf dem Spiel stand, hätte ihr Anliegen besser geprüft werden müssen, so die Richter. Die Entscheidung fiel mit einer 4:3-Mehrheit.

World Athletics (WA) teilte am Dienstag mit, man wolle an den Testosteron-Regeln festhalten - diese garantierten "ein notwendiges, angemessenes und verhältnismäßiges Mittel zum Schutz des fairen Wettbewerbs in der Frauenkategorie". Man wolle zudem die Schweizer Regierung ermutigen, den Fall an die Große Kammer des EGMR zu verweisen, um "eine endgültige Entscheidung" herbeizuführen.

WA hatte die Regel eingeführt, um die Integrität der Frauen-Kategorie zu schützen. "Alles, was wir möchten, ist die Erlaubnis, frei zu laufen, jetzt und für immer, als die starken und furchtlosen Frauen, die wir sind und immer waren", hatte Semenya gesagt, als sie ihre Klage einreichte: "Bei diesem Kampf geht es nicht nur um mich, sondern darum, Stellung zu beziehen und für Würde, Gleichheit und die Menschenrechte von Frauen im Sport zu kämpfen."

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