Schwimmen:Deutsche Bescheidenheit bei Schwimm-WM

Kasan (dpa) - Bei der ersten Schwimm-WM in einem Fußballstadion ist der deutsche Verband von einem Sommermärchen weit entfernt.

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Kasan (dpa) - Bei der ersten Schwimm-WM in einem Fußballstadion ist der deutsche Verband von einem Sommermärchen weit entfernt.

Nach den Rücktritten jahrelanger Leistungsträger wie Freiwasser-Rekordweltmeister Thomas Lurz oder auch Doppel-Olympiasiegerin Britta Steffen ist das vor zwei Jahren vereinbarte Medaillenziel für Chefbundestrainer Henning Lambertz "utopisch". Statt vier bis sechs Medaillen allein im Becken von Kasan rechnet er mit "drei Medaillen, vielleicht vier, aber eigentlich drei" und das auch nur "wenn alle Sterne gut stehen". Angeführt wird die kurze Liste von Lambertz' "Topspielern" in Russland von Weltrekordler Paul Biedermann und Europameister Marco Koch.

Ein Jahr vor den Spielen von Rio geht es für Freiwasser-Asse und Wasserspringer besonders um olympische Quotenplätze. "Wir versuchen, drei bis vier Leute zu den Spielen zu bringen", sagt Freiwassertrainer Stefan Lurz und hofft vor den fünf Kilometern in der Kasanka vor dem Kasaner Kreml am Samstag auf ein bis zwei Medaillen. Sein Bruder Thomas war bei der WM 2013 allein an vier der damals sechs Medaillen beteiligt und kann sich einen deutschen Coup zum Auftakt vorstellen. "Da fehlen die Topleute, da könnte es eine Überraschung geben", erklärte der 35-Jährige. Bessere Chancen gibt es im Team-Wettbewerb und durch die 40-jährige Angela Maurer über die 25 Kilometer.

Während Biedermann & Co. noch bis nächste Woche unter türkischer Sonne in Belek am Form-Feinschliff arbeiten, starten Freiwasserschwimmer, Synchronschwimmer und Wasserspringer an diesem Wochenende. Vor zwei Jahren wurden Patrick Hausding und Sascha Klein erste deutsche Weltmeister vom Turm, diesen Coup zu wiederholen wird schwer. "Die Chinesen sprechen dagegen; dafür spricht, dass alles möglich ist", sagte Hausding nach dem Training am Donnerstag. Der erfolgreichste europäischer Wasserspringer soll auch vom Drei-Meter-Brett Olympia-Plätze sichern, der WM-Dritte Klein oder Europameister Martin Wolfram vom Turm mit der Konkurrenz mithalten.

"Ein bis zwei Medaillen sind aus meiner Sicht realistisch", sagt Wassersprung-Cheftrainer Lutz Buschkow. Klippenspringerin Anna Bader könnte zudem wie vor zwei Jahren bei der WM-Premiere dieser telegenen und spektakulären Sportart von der 20-Meter-Plattform die Bilanz aufpeppen. Darauf hat Synchronschwimmerin Marlene Bojer keine Chance, sie soll beim WM-Debüt internationale Wettkampfatmosphäre schnuppern. Wasserballer haben sich nicht qualifiziert.

Biedermann könnte nach seiner Weltjahresbestzeit über 200 Meter Brust auch von mehreren Ausfällen der Konkurrenz profitieren. Frankreichs Olympiasieger Yannick Agnel fehlt nach Trainingsrückstand ebenso wie Ex-Weltmeister Park Tae-hwan (Doping-Sperre) oder Rekord-Olympiasieger Michael Phelps, der vom US-Verband nach einer Alkoholfahrt nicht nominiert wurde.

Biedermann verkneift sich wie gewohnt Kampfansagen, für ihn war seine Zeit vom April nur eine "Standortbestimmung für den Moment". Marco Koch sorgte 2013 als WM-Zweiter über 200 Meter Freistil für die einzige deutsche Becken-Medaille und liefert seit Jahren zuverlässig Topleistungen ab. Mit Weltjahresbestzeit über 200 Meter Schmetterling überraschte erst Anfang Juli Franziska Hentke. "Sehr positiv gestimmt" drückt Britta Steffen in der Heimat die Daumen.

Bei der ersten Schwimm-WM in Russland waren für den Gastgeber  Dopingfälle auch prominenter Athleten mehr als peinliche Einzelfälle. Das war aber für den Weltverband FINA kein großes Problem. Dessen Funktionäre ehrten Putin noch im Herbst mit dem höchsten FINA-Orden. Besonders wichtig sind den Funktionären seit jeher telegene und funktionierende Weltmeisterschaften für die diesmal knapp 2800 Athleten aus 190 Ländern: Rekordbeteiligung - und es gibt auch ein Rekordpreisgeld von 5,5 Millionen Dollar.

Mit 75 Entscheidungen in 16 Wettkampftagen ist das Programm durch neue Wettbewerbe weiter aufgebläht worden. Mixed-Staffeln im Schwimmen, Mixed-Duos der Springer und nun sogar Männer und Frauen im Synchronschwimm-Duett - das entspricht gerade in Russland nicht dem klassischem Rollenverständnis. Bei der Eröffnungsfeier mit Russlands Präsident Wladimir Putin will sich der Ausrichter an diesem Freitagabend erst einmal weitaus glanzvoller in Szene setzen als es die Medaillenaussichten des Deutschen Schwimm-Verband sind. Dafür wurde im schwül-regnerischen Kasan auch noch am Donnerstag fleißig gewienert, gepinselt und der frisch verlegte Rollrasen gemäht.

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