Schwimmen:Aus 20 Metern Höhe in die Wellen

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"Cool zu sehen, wie weit der Sport in diesen tausend Sprüngen gekommen ist": Iris Schmidbauer bei der Weltmeisterschaft 2019 in Südkorea, wo sie den achten Platz erreichte. (Foto: Giorgio Scala/imago images / Insidefoto)

Iris Schmidbauer aus Pähl ist eine der besten Klippenspringerinnen der Welt. Die 26-Jährige steht für einen Sport, der zwischen Eventisierung und Naturerlebnis pendelt - und auf die Aufnahme ins Olympiaprogramm hofft.

Von Thomas Becker

Als Iris Schmidbauer bei der Startnummern-Verlosung vor dem Wettkampf unlängst die Sechs zieht, denkt sie sich nichts dabei. Wenig später ist die 26-Jährige damit in die Geschichte des professionellen Klippenspringens eingegangen: als Absolventin des 1000. Sprungs einer Frau bei der Red Bull Cliff Diving World Series, dieser Wettkampfserie mit den außergewöhnlich spektakulären Bildern.

Mal katapultieren sich die Athleten direkt vom Felsen in den schäumenden Ozean, mal von einer Plattform in ein Hafenbecken oder einen Fluss. So wie in Mostar auf der geschichtsträchtigen Brücke Stari Most. Die verband seit dem 16. Jahrhundert den christlichen mit dem muslimisch geprägten Teil der Stadt, bis sie 1993 im Bosnienkrieg nach stundenlangem Bombardement der Kroaten zerstört wurde. Elf Jahre später stand das Wahrzeichen wieder, und lange dauerte es nicht mehr, bis die Location-Scouts des Brause-Imperiums vorstellig wurden, die Tradition des Brückensprungs aus 20 Metern aufnahmen, die besten Klippenspringer der Welt herbeikarrten und ein bis hin zur Unterwasserkamera perfekt inszeniertes Event daraus bastelten. Schmidbauer, zum dritten Mal in Mostar dabei, sagt: "Schon speziell hier, weil man Teil einer Geschichte ist, weil die Locals auch springen, die meisten per Fußsprung, manche auch mit Kopfsprung. Und wir kommen nun schon so lange her, dass der Wettkampf auch Teil der Geschichte Mostars ist." Mittendrin: die junge Frau aus Pähl, auch noch als Jubiläums-Diverin.

Wer Klippenspringen hört, denkt an Acapulco, Duschgel-Werbung und nicht unbedingt an vom Himmel fallende Frauen, die um Preisgeld streiten. "Cool zu sehen, wie weit der Sport in diesen tausend Sprüngen gekommen ist", sagt Schmidbauer bei einer Johannisbeerschorle in der malerischen Altstadt von Mostar, "der erste Event, bei dem Frauen mitgesprungen sind, war eine Exhibition 2013 in Italien - mit gerade mal vier Frauen."

Von 2014 an gab's dann eine eigene Wettkampfserie, mit jetzt zwölf Springerinnen, wie bei den Männern. Seit diesem Jahr gilt sogar equal pay, gleiches Preisgeld für Frauen und Männer. Der einzige Unterschied: Die Frauen springen aus 20, die Männer aus 28 Metern Höhe. In Mostar kam das Schmidbauer und Co. insofern zugute, als justament während der entscheidenden Sprünge ein Regenguss biblischen Ausmaßes über der Stadt niederging. "So viel Regen hatten wir noch nie im Wettkampf", erzählt Schmidbauer, "aber für uns Frauen war es nicht ganz so schlimm, weil wir mit der Plattform für die Männer praktisch ein Dach über dem Kopf hatten." Sie mag es eh, wenn es windet und stürmt, ihr liebster Event ist der auf den Azoren: "Da springen wir direkt von der Klippe, bei großen Wellen und starkem Wind, sind voll in der Natur."

Anders in Mostar: Bei den Trainingssprüngen sind die Zuschauer so nahe dran, dass sie die Athleten beim Sprung fast berühren könnten. Danach müssen die Diver mitten durch die Massen zurück auf die Brücke, vorbei an all dem Touri-Tinnef, den Cevapi-Restaurants, den Eisbuden und der alten Frau mit den blütenweißen Häkeldecken. Die Springer lieben diese Atmosphäre. In Polignano a Mare südlich von Bari, wo am Wochenende das Finale der Weltserie ansteht, müssen sie gar durch den halben Ort laufen, und nicht selten nehmen sie unterwegs die Einladung zu einem Espresso an, in Badehose.

Schmidbauer würde am liebsten in München bleiben. "Aber da müsste sich einiges tun in Sachen Trainingsmöglichkeiten."

Iris Schmidbauer ist seit 2016 auf der Tour, seit diesem Jahr gehört sie zum inner circle, zu den Top-Diverinnen, die für alle sechs Wettkämpfe fix qualifiziert sind. Die Saison 2019 war prima gelaufen, danach machte sie Urlaub in Neuseeland, trainierte beim lokalen Sprungverein in Auckland mit und blieb für die komplette Off-Season dort. "Ich dachte mir: Dich zieht momentan nichts zurück, das Studium ist fertig, mir gefällt's hier - warum nicht bleiben?" Dann kam Covid, Cliff Diving hatte Pause und Schmidbauer noch weniger Grund, nach Hause zu fliegen. Und nach einem Jahr in Neuseeland dann noch weniger: Sie lernte ihren jetzigen Mann Chris kennen, einen Musiker und Skateboarder. Eine Woche nach Mostar haben sie geheiratet, in Kopenhagen, "das Las Vegas Europas", sagt Schmidbauer, "da braucht man nur einen Ausweis. In Deutschland ist das kompliziert mit all den Papieren...". Die kirchliche Trauung soll in Neuseeland steigen, aber wann, das steht in den Sternen. Wer als Neuseeländer in seine Heimat reisen will, muss für 5000 Dollar einen Online-Slot buchen, die jedoch bis November ausgebucht sind.

So ist das junge Paar nun auf der Suche nach einem Daheim nebst Job. "Ich würde schon gern in Europa bleiben", sagt Schmidbauer, "am liebsten in München. Aber da müsste sich einiges tun in Sachen Trainingsmöglichkeiten. Statt zwei oder drei bräuchte ich fünf Tage die Woche, um auf dem Niveau mitspringen zu können." Und einen höheren Turm als den im Münchner Olympiabad. "Das Zelt wäre ja hoch genug für einen 20-Meter-Turm!", sagt sie, "das wäre mein Traum. In Kanada haben sie auch einen 20-Meter-Indoor-Turm. Deswegen sind die auch so dominant in diesem Jahr, weil die während des Lockdowns von 20 Metern trainiert haben."

Kanada sei sehr fortschrittlich, was High Diving betrifft: "Da gibt es Förderung, Trainer, finanzielle Unterstützung, die müssen sich um nichts kümmern. Ich muss selbst organisieren, wo ich trainiere und wie ich über die Runden komme." Während der Saison hat sie keine Wohnung, lebt aus dem Koffer und bei Freunden. Während des Studiums haben sie die Großeltern unterstützt, "aber jetzt muss ich schon mal auf eigenen Beinen stehen". 7085 Euro gibt es bei der Cliff Diving Tour für einen Tagessieg, aber besser als Platz vier war Schmidbauer bislang nicht.

Beim Deutschen Schwimmverband fällt High Diving zwar unter Wasserspringen, ist aber nicht olympisch, weshalb von da kein Geld zu erwarten ist. Selbst zu einer High-Diving-WM fährt Schmidbauer ohne Trainer. Eine Aufnahme in den olympischen Kanon "wäre die Anerkennung, dass Cliff Diving ein Sport ist und nicht nur was für Freaks", sagt sie. Es sei wohl in der Diskussion für Tokio gewesen, "aber ich weiß nicht, ob es noch eine Chance gibt". Hauptargument dagegen: Es gebe weltweit nicht genug Diverinnen. Weil es nicht genug Möglichkeiten gibt, glaubt Iris Schmidbauer: "Vielleicht würden wir mit einem 20-Meter-Turm mehr Frauen anziehen können." Also, liebe Olympiabad-Architekten: an die Arbeit!

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