Schach-WM:Hinter der schwarzen Wand

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Heimliche Computerhilfe ist zur Gefahr für das Schach geworden - beim WM-Kampf zwischen Anand und Kramnik wird Vorsorge getroffen.

Martin Breutigam

In der Fachwelt gab es teils überschwängliches Lob für das, was Viswanathan Anand und Wladimir Kramnik in ihrer zweiten WM-Partie in Bonn leisteten. Der Inder und der Russe beurteilten ihr eigenes Werk jedoch differenzierter. "Ich habe eine Menge nutzloser Sachen durchgerechnet", sagte Kramnik selbstironisch. "Ich glaube, Rybka würde mich auslachen. Und er würde alles einfach widerlegen." Rybka? Auch Anand verwendete nach der Partie dieses tschechische Wort: "Vielleicht zeigt der Computer einen präziseren Weg, aber wir haben ja kein Rybka." Die Ehrfurcht der beiden Superhirne hat einen Grund: Rybka, auf Deutsch "kleiner Fisch", gilt als das spielstärkste Schachprogramm der Welt.

Anand und Kramnik kämpfen in Bonn um die Schach-Krone. (Foto: Foto: ddp)

Zwar können Topgroßmeister im Grunde immer noch gut mithalten, zumal in ruhigen, Weitblick erfordernden Stellungstypen, in denen ihr Urteil oft treffender ist als das von Rybka, Naum, Shredder oder Fritz. Doch sobald es auf dem Brett taktisch zugeht, sobald es komplizierte Varianten zu berechnen gilt, ist ein Mensch einem schnellen Computer so unterlegen wie der Läufer Haile Gebrselassie einem Formel-1-Auto. Dies ist zu einer großen Gefahr für das Schach geworden. Wer während einer live im Internet übertragenen Partie von einem Komplizen unbemerkt Computerzüge übermittelt bekäme, könnte jeden schlagen.

Kontroversen um Topalow

Auch in der Bonner Bundeskunsthalle sind, obwohl sich Anand oder Kramnik schätzen, Gegenmaßnahmen getroffen worden. Eine davon ist nicht zu übersehen: Wenn die Zuschauer die Spielhalle betreten, erkennen sie Anand und Kramnik unten auf ihrem Podest durch ein diffus erscheinendes Licht. Zuschauer und Spieler trennt nämlich ein etwa 20 Meter breites und zehn Meter hohes Netz aus Gaze. Was wie ein gigantisches Fliegengitter aussieht, dient als Schutz vor heimlicher Zeichengabe. Das Netz ist nur einseitig durchsichtig, die Spieler können die im Dunkeln sitzenden Zuschauer nicht sehen. "Wir schauen quasi gegen eine schwarze Wand", sagt Kramnik.

Ein gläserner Sichtschutz war schon im WM-Kampf zwischen Kramnik und dem Bulgaren Wesselin Topalow in Russland 2006 aufgestellt worden. Auf Wunsch Kramniks. Seit Topalow 2005 in Argentinien Weltmeister geworden war, hielten sich Gerüchte, Topalow habe mittels heimlicher Zeichen von Manager Silvio Danailow unerlaubte Computerhilfe bekommen. Anand, in Argentinien geteilter Zweiter, sagte damals: "Da wir keinen Beweis haben, ist es nicht korrekt, Anklage zu erheben. Ich denke, dass er das Turnier seines Lebens gespielt hat und wir das respektieren sollten."

Zwischen Kramnik und Topalow kam es in Elista 2006 bald zu einem Skandal. Nachdem Kramnik 3:1 in Führung gegangen war, wurde von Seiten Topalows unterstellt, der Russe könne auf der Toilette Computerhilfe empfangen haben. Später wurde Topalow für seine diffamierenden Äußerungen mit einem "strengen Verweis" gerügt, von einer mit unabhängigen Juristen besetzten Ethik-Kommission des Weltschachbundes Fide.

Im Januar 2007 erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel, in dem das ungewöhnliche Verhalten zwischen Topalow und seinem Manager Danailow während des Topturniers in Wijk aan Zee/Niederlande geschildert wurde. Der Manager hatte die Spielhalle regelmäßig mit dem Handy in der Hand verlassen und wieder betreten, woraufhin er stets in dieselbe Ecke des Zuschauerbereichs ging und direkten Blickkontakt zu Topalow aufnahm. Die Bulgaren wiesen jeden Manipulationsverdacht zurück.

Anand und Kramnik haben sich inzwischen ebenso wie andere Topspieler wiederholt für Schutzmaßnahmen und Kontrollen ausgesprochen. Als Anand nach der zweiten Partie in Bonn zu den Metalldetektoren befragt wurde, mit denen die Spieler vor jeder Partie in ihren Ruheräumen nach kleinen Empfängern untersucht werden, antwortete er: "Das macht mir nichts aus. Es ist leider eine Notwendigkeit."

Allerdings halten die wenigsten Turnierveranstalter solche Maßnahmen für notwendig. Zwar ist bei manchen Turnieren des Weltverbandes mit Detektoren schon geprüft worden. Aber abgesehen von den alljährlichen Schachtagen in Dortmund, wo sie die Internetübertragung der Züge um eine Viertelstunde verzögern, haben die Veranstalter der anderen Topturniere bisher auf jegliche Kontrollen verzichtet.

"Das ist schade", findet Viktor Kortschnoi. Für den Grandseigneur des Schachs, 77 Jahre alt und immer noch Profi, sind Maßnahmen gegen den Einsatz von Computern während der Partien dringend geboten. Schon als Kortschnoi, der Sowjetflüchtling, und Anatoli Karpow, der Breschnew-Liebling, ihren WM-Kampf 1978 als Kalten Krieg inszenierten, war ein Einfluss von außen ein Thema.

Bitte keinen Joghurt mehr

Irgendwann verlangte Kortschnoi, dass man Karpow während der Partie keinen Joghurt mehr reiche - hinter der Geschmacksrichtung könne ja eine verschlüsselte Botschaft stecken. Verglichen mit der heutigen Technik, die es ermöglichen würde, ganze Zugserien zu übertragen, klingen Kortschnois Sorgen von damals harmlos.

Um den aktuellen Gefahren zu begegnen, hat der Altmeister eine originelle Lösung im Sinn. "Ich erinnere mich an die Jahre des Kalten Krieges. Die Sowjets verwendeten eine spezielle Technik, um die BBC-Wellen in Richtung UdSSR zu blockieren." Damit man, sagt Kortschnoi, dort nicht "The voice of America", eine Nachrichtensendung in russischer Sprache, zu hören bekam. "Warum sollte man diese wertvolle Technik nicht für etwas friedlichere Absichten nutzen?", fragt sich Kortschnoi.

Neben Detektoren und Sichtschutz plädieren manche Spieler für eine zeitverzögerte Übertragung der Züge im Internet. Es dürfte aber dauern, bis Schutzmaßnahmen für alle großen Turniere in den Regeln festgeschrieben sind. Immerhin hat David Jarrett, Geschäftsführer der Fide, auf Anfrage angekündigt, dass "ein vollständiger Vorschlag" bei der bevorstehenden Fide-Generalversammlung in Dresden eingebracht werden soll. Bleibt abzuwarten, ob die Fide Taten folgen lässt.

© SZ vom 18.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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