Schach:Sonnenblumen zwischen Königen

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Schnelles Remis: Schach ist dem Münchner Maximilian Berchtenbreiter wichtig, seine ukrainischen Gäste sind ihm am Wochenende trotzdem noch wichtiger. (Foto: NurPhoto/Imago)

In der am vergangenen Wochenende gestarteten Schachbundesliga spielen normalerweise Russen neben Ukrainern. Viele von ihnen können aber nicht einreisen. Die Liga reagiert mit Solidarität - und einer kurzfristigen Regeländerung.

Von Benjamin Markthaler

Nach fünf Minuten und zwanzig schnellen Zügen steht Maximilian Berchtenbreiter auf und eilt davon. Die Schachfiguren auf dem Brett, auf dem er gerade noch gespielt hat, stehen sich wieder wie am Anfang gegenüber. Nur in der Mitte des Feldes schauen sich die beiden Könige an. Bedeutet im Schach: Die soeben absolvierte Partie endete remis. Das ist erstmal nichts Besonderes, pro Spieltag gibt es mehrere solcher unentschiedenen Duelle. Im Match des Münchener SC 1836 gegen die SF Berlin am Sonntag war Berchtenbreiters Partie eine von insgesamt fünf, durch zwei weitere Einzelsiege ging die Begegnung am Ende mit 4,5:3,5 an die Berliner. Dass ein Spiel aber schon nach fünf Minuten beendet ist, ist dann doch besonders.

Schuld daran ist der Krieg. Berchtenbreiter und seine Frau, die aus der Ukraine stammt, haben mehrere Freundinnen und Bekannte aus dem Land bei sich zuhause in Karlsfeld aufgenommen, weshalb Berchtenbreiter möglichst schnell wieder heim wollte, um sich um die Gäste zu kümmern. Sein Gegner Marco Baldauf, ein langjähriger Freund und ehemaliger Teampartner Berchtenbreiters, zeigte sich in der Ausnahmesituation solidarisch und stimmte dem vorher vereinbarten Remis zu.

Solidarität ist wohl das Wort, das im Mittelpunkt des ersten Wochenendes der Schachbundesliga steht, nicht nur in München, wo der FC Bayern die Partien ausrichtete. Mindestens neun Ukrainer sind in der deutschen Liga gemeldet, antreten konnte nur einer von ihnen - Serhij Fedortschuk vom SC Viernheim. Die anderen harren in der Ukraine aus, können oder wollen nicht ausreisen. Alleine beim SV Werder Bremen, einem anderen Gastgeber des Auftaktwochenendes, fehlen derzeit drei Spieler, zwei davon hätten eigentlich spielen sollen. Stattdessen entschieden sich die Bremer, ein Zeichen zu setzen - und ließen die zwei Tische frei.

Einige Bretter bleiben einfach frei, vor ihnen stehen kleine ukrainische Flaggen

Die Gegner - am Samstag Titelverteidiger OSG Baden-Baden und am Sonntag die Schachfreunde Deizisau - zeigten sich solidarisch und besetzten diese Bretter ebenfalls nicht. Stattdessen stand neben den Brettern je eine kleine ukrainische Flagge, auf den Spielfeldern lagen Sonnenblumen. "Das ist natürlich ein riesen Zeichen", findet Ulrich Geilmann, Vizepräsident der Schachbundesliga, der die Aktion der Bremer befürwortet. "Das Ganze war allerdings für die Organisationsebene nicht ganz so einfach, unsere Turnierordnung ist für solche Bedingungen gar nicht vorgesehen."

Eigentlich gewinnt eine Mannschaft das Match und damit zwei Punkte, wenn sie mindestens viereinhalb der acht Einzelpartien für sich entscheidet. Für ein Unentschieden beziehungsweise einen Mannschaftspunkt werden vier Brettpunkte benötigt. Dadurch, dass nur sechs Bretter besetzt waren, hätte das Spiel in Bremen auch 3:3 ausgehen können. Heißt: Kein Team hätte Mannschaftspunkte bekommen. "Deshalb haben wir für dieses Wochenende die Turnierordnung so anpassen müssen, dass derjenige, der die meisten Punkte erzielt, auch tatsächlich die Mannschaftspunkte bekommt", beschreibt Geilmann die neue Lösung. Gewinnpartien-Wertung nennt man das.

Der FC Bayern München fand das Vorgehen gut. "Da ist man emotional natürlich bei den Menschen in der Ukraine, von daher finde ich das absolut verständlich", sagt Abteilungsleiter Jörg Wengler. Für sein Team wäre die Regeländerung nicht nötig gewesen: Es setzt wie die anderen drei Klubs, die am Wochenende in München am Start waren, vor allem auf Spieler aus Westeuropa. Einzig der Münchener SC 1836 hätte normalerweise den neu verpflichteten Großmeister Pawel Eljanow aus der Ukraine im Kader. Auch der konnte nicht antreten. "Wir hatten gehofft, dass er spielen kann. Wir sind zwar in Kontakt, aber im Moment geht's noch nicht", erklärt der MSC-Vorsitzende Michael Reiß. Trotzdem haben die Münchner genug Personal, um alle acht Bretter zu besetzen.

Sonnenblume als Zeichen der Solidarität: Werder Bremen und seine Gegner Baden-Baden und Deizisau spielen kampflos remis. (Foto: SV Werder Bremen/oh)

Wie Eljanow und die anderen ukrainischen Spieler in den kommenden Wochen trotzdem an der Bundesliga teilnehmen könnten, falls sie weiterhin nicht nach Deutschland reisen können, ist fraglich. Eine Hybridlösung ist im Gespräch. Spieler aus der Ukraine könnten sich über das Internet mit elektronischen Brettern zuschalten. Die Münchner Wengler und Reiß sehen die Idee jedoch kritisch. "Vielleicht sollte man von Experimenten Abstand nehmen, wenn da links und rechts Raketen vorbeipfeifen", sagt Reiß, "da geht's um Leben und Tod."

Auch Schachfunktionär Geilmann ist skeptisch. "Das könnte nur funktionieren, wenn Internet da ist", gibt er zu bedenken, und es sei fraglich, wie lange das der Fall sei. Er könne sich vorstellen, dass Russland alles dafür tun werde, "in der Ukraine das Internet abzuschalten". Die Diskussion einer solchen hybriden Variante gab es in den vergangenen beiden Jahren auch wegen der Corona-Pandemie. Laut Geilmann sei die Liga aber nicht darauf ausgelegt, online zu spielen: "Beim Schach ist man auf das direkte Gegenüber der Spieler ausgerichtet."

Am Wochenende spielte ein Russe gemeinsam mit zwei gebürtigen Ukrainern für den Düsseldorfer SK

Das könnte die Brisanz mit sich bringen, dass sich künftig auch Ukrainer und Russen gegenübersitzen - denn es sind auch neun Russen in der Schachbundesliga gemeldet. Allgemein ausgeschlossen wurden sie nicht und sollen es wohl auch in Zukunft nicht werden. "Ich finde das nicht fair. Ich finde die undifferenzierte Betrachtungsweise, man müsste alle Russen ausschließen, den falschen Weg", sagt Geilmann. Stattdessen sprach der gesamte Vorstand der Schachbundesliga den Vereinen die Empfehlung aus, nur jene Spieler auszuschließen, die sich nicht aktiv gegen den Krieg äußern - was viele russische Spitzenspieler aber längst getan haben. Ein Russe, Andrej Orlow, kam deshalb am Wochenende bereits in der Bundesliga zum Einsatz: Er spielte in Kiel für den Düsseldorfer SK - gemeinsam mit zwei gebürtigen Ukrainern. "Natürlich freut man sich, dass das so funktioniert. Schach verbindet Menschen und Nationen", sagt Geilmann und verweist auf den lateinischen Wahlspruch des Weltverbands Fide: gens una sumus. Zu deutsch: Wir sind eine Familie.

Rein sportlich können die Münchner Vereine zufrieden sein mit den ersten beiden Spieltagen. Der FC Bayern setzte sich am Samstag überraschend deutlich gegen die SF Berlin durch (5,5:2,5), am Sonntag gab es einen klaren Pflichtsieg gegen den SK König Tegel (6:2). Damit reiht sich der FC Bayern in der Tabelle gleich ganz oben mit ein. Mit der Meisterschaft wird der Klub aber wohl trotzdem nichts zu tun haben. Das Ziel sei laut Wengler der Klassenerhalt - vergangene Saison landete die Mannschaft im Tabellenmittelfeld. Dort will dieses Jahr auch der Neuling Münchener SC 1836 hin, wie sein Start unterstreicht: Im Duell der Aufsteiger setzten sich die Münchner deutlich gegen Tegel durch (6,5:1,5), bevor am Sonntag die Niederlage gegen Berlin folgte.

Erfolgreich war am Ende auch die Gewinnspiel-Wertung, denn tatsächlich endete die Partie Werders am Sonntag 3:3. Dank der neuen Regelung durfte also sowohl Bremen als auch Dreizisau einen Punkt mitnehmen. Trotzdem wird die Änderung laut Geilmann wohl nicht langfristig bestehen bleiben: "Wir gehen davon aus, dass das jetzt ein einmaliges Zeichen war."

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