SC Freiburg:Röntgenblick im Tor

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Dick bandagiert und mit gesenktem Kopf: Freiburgs gerade zur Nummer 1 aufgestiegener Keeper Mark Flekken wird längerfristig fehlen. (Foto: Simon Hofmann/Getty Images)

Dank guten Scoutings und der geschätzten Arbeit von Torwarttrainer Andreas Kronenberg können die Breisgauer auch den Ausfall von Keeper Flekken kompensieren.

Von Christoph Ruf, Freiburg

Die 460 Waldhof-Fans, die eines der zu Corona-Zeiten raren Tickets ergattert hatten, verabschiedeten ihr Team mit Applaus in die Kabine. Zurecht, schließlich hatte der Drittligist den zwei Klassen höher angesiedelten Freiburgern einen intensiven Pokalkampf geliefert und erst in der 79. Minute das 1:2 kassiert.

Wer nun aber glaubte, auf den Gesichtern der Sieger Freude über das Weiterkommen zu entdecken, sah sich getäuscht. Die meisten Spieler blickten ebenso ernst drein wie Torwarttrainer Andreas Kronenberg, dessen Laune die Verletzung von Mark Flekken kräftig eingetrübt hatte. Die neue Nummer eins im Tor hatte sich beim Warmmachen so schwer am Ellenbogen verletzt, dass Trainer Christian Streich noch am Abend eine düstere Prognose abgab, die das Röntgenbild am Montag bestätigte: "Wir müssen davon ausgehen, dass er einige Monate ausfallen wird."

Wer Kronenbergs Gesichtsausdruck gesehen hatte, als Flekken sich vor Schmerzen am Boden wand, der brauchte den MRT-Befund nicht abzuwarten, um zu wissen, was da gerade passiert war. Kronenberg, ein gebürtige Basler, der in den Neunzigern für LR Ahlen ein paar Zweitligaspiele bestritt, kann nachfühlen, wie es ist, wenn man jahrelang auf einen Stammplatz hinarbeitet - und sich Minuten vor dessen Erreichen verletzt. Die Freiburger hatten Stammkeeper Alexander Schwolow ja auch deshalb zu Hertha BSC ziehen lassen, weil sie den Nachfolger - Flekken - längst in den eigenen Reihen wussten.

"Krone", wie er in Freiburg genannt wird, genießt in der Branche einen exzellenten Ruf. Was daran liegen könnte, dass fünf der 18 Keeper, die am Wochenende im Tor ihres Vereins stehen werden, eine Gemeinsamkeit haben. Roman Bürki (Dortmund), Oliver Baumann (Hoffenheim), Rafal Gikiewicz (Augsburg) und Alexander Schwolow (Hertha) wurden zu Bundesliga-Torhütern, nachdem sie von Kronenberg trainiert worden waren, nur Baumann hatte schon ein paar Spiele hinter sich, als Kronenberg kam. Auch Flekken, der nun ausfällt, machte vergangene Saison seine ersten zehn Bundesligaspiele unter ihm.

Nun könnte man vermuten, dass ein so erfolgreicher Mann entsprechend breitbeinig über den Platz stolziert. Doch Kronenberg als zurückhaltend zu bezeichnen, wäre untertrieben. Wenn Torhüter nicht sowieso oft abseits vom Rest der Mannschaft trainieren würden - "Krone" hätte gewiss längst den Antrag gestellt, dort arbeiten zu dürfen, wo ihm kein Fan und kein Journalist das Gefühl geben können, in irgendeiner Weise von Bedeutung zu sein. Auf den Umstand angesprochen, dass 28 Prozent der Bundesliga-Stammkeeper durch seine Schule gegangen sind, wiegelt er ab: "In der Vergangenheit sind ein paar Dinge aufgegangen", sagt er. "Es kann aber passieren, dass du genau gleich arbeitest und trotzdem ein Torwartproblem hast. Das Ergebnis dessen, was du tust, hast du nicht zu 100 Prozent in der Hand."

Das mag stimmen, und doch gibt es Gründe dafür, dass der SC seit Jahren Ruhe auf der Torwartposition hat. Einige davon haben mit Kronenberg zu tun, dessen abwechslungsreiches Training von Bürki und Baumann noch gelobt wurde, als sie längst bei anderen Vereinen spielten. Mit dem Attribut "modern" kann der studierte Pädagoge allerdings wenig anfangen. Zumindest nicht, wenn es ums Torwartspiel geht, wo es als Ausweis von Modernität gilt, wenn fußballerisch gut ausgebildete Keeper die Liberofunktion übernehmen.

"Solche Hypes machen mich immer ein bisschen skeptisch", meint er. "Ich kenne keinen Torwart mehr, der nicht kicken könnte." Wichtig sind für ihn die "Aktionen gegen den Ball": das Halten eines schwer haltbaren Schusses; der Ball, den ein Keeper dem Stürmer vom Fuß stibitzt. "Es bleibt entscheidend, dass ein Torwart auch mal die Aktionen hat, in denen er die Mannschaft rettet." Das zu trainieren, sei viel aufwendiger als das Fußballerische.

Der Weg zum SC scheint dabei zuweilen länger zu sein als der Weg vom Kader- zum Stammplatz. Das hat mit der Art zu tun, wie in Freiburg Spieler gescoutet werden. Benjamin Uphoff, der nun zum Ligastart im Tor stehen dürfte, wurde seit 2015 immer wieder von Freiburger Scouts beobachtet, meist von Sportdirektor Klemens Hartenbach, der sich nicht zu schade ist, Dutzende Spiele pro Saison in entlegenen Ligen oder Ländern anzuschauen. "Es schmeichelt jedem Profi, wenn ein Verein ihm das Gefühl gibt, dass er genau weiß, warum er dich verpflichten will", sagt Uphoff. "Ich stand 2015 im Tor der zweiten Mannschaft des VfB im Derby bei den Kickers. Da hat er mich das erste Mal beobachtet." Auch der Niederländer Flekken, der mit seinen 27 Jahren erst auf zehn Bundesliga-Einsätze kommt, stand schon lange auf dem Zettel des Sportclub, bevor er 2018 verpflichtet wurde. "Wir haben ihn schon in Aachen beobachtet", sagt Kronenberg; damals war der 20-Jährige die Nummer zwei bei einem Drittligisten. Nach seiner Verletzung wird er nun etwas warten müssen, bis er als Nummer eins ins Freiburger Tor rückt.

© SZ vom 15.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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