SC Freiburg:Die Breisgau-Rustikalos

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Energiebündel: Freiburgs Trainer Christian Streich coacht so temperamentvoll, wie sein Team kickt. (Foto: Jan Hübner/Imago)

Stil-Mix beim Aufsteiger: Zur Spielkultur kommen jetzt auch einfache Mittel - und eine von Trainer Streich vorgelebte Kampfbereitschaft.

Von Christoph Ruf, Freiburg

Im Jahr 1993 stieg der SC Freiburg unter Trainer Volker Finke erstmals in die Bundesliga auf. Seither verfolgt den Klub das Klischee von den "Breisgau-Brasilianern", das an schlechten Tagen gerne zum vorwurfsvollen "Schönwetter-Fußball" umgekehrt wird: eine technisch filigrane Mannschaft, diese Freiburger, so hieß es schon immer. Doch in Sachen Zweikampfhärte und Kampfbereitschaft sei dieser SC eben ein Leichtgewicht. Nun scheint aber die Zeit gekommen zu sein, sich von diesen Stehsätzen zu verabschieden. Schon in der vergangenen Saison stieg der Sportclub auch deswegen als Tabellenerster der zweiten Liga auf, weil er nicht nur regelmäßig viele Kilometer mehr lief als der Gegner, sondern weil er sich in der Rückrunde auch nicht scheute, mit einfachen, effektiven Mitteln die Gegner müde zu spielen. Neben Kurzpässen sah der Betrachter durchaus auch mal lange Bälle.

"Die Aggressivität bewegt sich teilweise im Grenzbereich", findet Hoffenheims Manager

Spätestens nach dem 1:0-Sieg gegen Eintracht Frankfurt vor der Länderspiel-Pause ist das Bild von den Breisgau-Brasilianern jetzt auch auf der größeren Bühne der ersten Liga ins Wanken geraten. Der SC rannte und ackerte fast vier Kilometer mehr als Frankfurt - und warf sich in einer hitzig geführten Partie leidenschaftlich in die Zweikämpfe. Freiburg kassierte vier gelbe Karten - eine mehr als die Frankfurter, die es bei der Unterscheidung zwischen Ball und Schienbein an diesem Tag ebenfalls nicht ganz so genau nahmen.

Dass in Freiburg Fußball notfalls auch rustikal kredenzt werden kann, das taten die Frankfurter gleich nach dem Schlusspfiff kund. "Forsch und aggressiv", hatte Frankfurts Trainer Niko Kovac den SC erlebt - und angefügt, dass die Freiburger in der Schlussphase für seinen Geschmack auch zu oft auf dem Boden liegen geblieben seien. Auch der Sportdirektor der TSG Hoffenheim, Alexander Rosen, weist vor dem badischen Derby an diesem Samstag nun auf die neuen Charakteristika der Freiburger hin: "Der SC hat schon immer gute spielerische Lösungen gefunden - und legt in dieser Saison zudem eine Aggressivität an den Tag, die sich teilweise im Grenzbereich bewegt." Eine wesentliche Rolle spiele dabei der temperamentvolle Christian Streich: "Das wird von der Emotionalität des Trainers an der Seitenlinie gepusht", betont Rosen.

Es ist noch gar nicht lange her, da hätte man solche Anwürfe in Freiburg empört zurückgewiesen. Heute findet man so ein Verhalten nicht unclever. Und Spieler wie Mike Frantz loben den deutlich körperbetonteren Stil als Teil eines Reifeprozesses. "Früher hat man ja Freiburgs Mannschaften nachgesagt, dass sie ein bisschen zu brav sind. Gegen Frankfurt hat man gesehen, dass wir auch ganz gut aufräumen können." Dirty old Bundesliga eben, wie Freiburgs Vincenzo Grifo fand, der seinen ersten Bundesligatreffer erzielte. "Wer gewinnen will, der muss fighten und die Ärmel hochkrempeln."

Umso besser aber, wenn sich ein Team nicht darauf beschränken muss, weil es auch fußballerisch gut ausgebildet ist. Das gilt für das Gros der Freiburger Elf - auch ein robuster Sechser wie Amir Abrashi oder ein aggressive leader wie Mike Frantz sind feine Fußballer - das gilt selbstverständlich auch für Grifo selbst, der in seinem rechten Fuß spektakulär viel Gefühl besitzt. Extrem hilfreich ist diese Gabe bei den Standards, die beim SC fast ausschließlich er schießt: Allein sechs Freistoßtore waren unter jenen 14 Treffern, die Grifo vorige Saison zum Aufstieg beisteuerte.

Im Gegensatz zum zweitbesten Torschützen der Aufstiegssaison ist der beste derzeit kein Stammspieler: Nils Petersen, der in der zweiten Liga 21 Mal traf, stand bisher nur einmal in der Stammelf, fünf Mal wurde er eingewechselt. Dass so eine Missachtung einen Goalgetter treffen muss, hielten alle Freiburger Journalisten für ausgemacht. Mittlerweile aber hat Petersen so oft und so treuherzig betont, er akzeptiere notfalls auch die Joker-Rolle, dass ihm das einige sogar glauben.

"Kicken konnten die ja schon immer. Aber jetzt sind echte Mentalitäts-Monschder dabei."

Wie Frantz ist auch Petersen längst in die Rolle eines Führungsspielers hineingewachsen, für die vielen jungen Kollegen im Team ist der Mann, der am Nikolaustag selbst erst 28 Jahre alt wird, ein Vorbild. Und für den Trainer Streich ist Petersen offenbar auch dann einer der wichtigsten Spieler, wenn er nur 20 Minuten mitwirkt. Nach dem Frankfurt-Sieg sprang Streich nach dem Schlusspfiff nicht etwa dem Torschützen Grifo in die Arme, sondern rannte schnurstracks zu Petersen, der nach seiner Einwechslung "unfassbar viel gerannt" sei, wie der Coach hervorhob.

Der SC hat gerade zum ersten Mal in seiner Bundesliga-Geschichte drei Heimspiele in Serie gewonnen, saisonübergreifend waren es gar neun Heimsiege. Und nach dem schwachen Start in Berlin spielte man auswärts auch in Köln und Dortmund sehr ordentlich. Vielleicht ist es ja wirklich so, wie ein Freiburger Fan neulich erläuterte: "Kicken konnten die ja schon immer. Aber jetzt sind echte Mentalitäts-Monschder in der Mannschaft."

© SZ vom 14.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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