Rücktritt von Oscar Carlén:Sein Körper will nicht mehr

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Als er noch spielen konnte: Oscar Carlén bei der WM 2011 (Foto: imago sportfotodienst)

Oscar Carlén galt einst als größtes Versprechen im Handball, als kommender bester Rückraumspieler der Welt. Doch vier Kreuzband-OPs haben ihn zermürbt. Mit 25 Jahren tritt er zurück - und will den Sport verlassen.

Von Carsten Eberts, Hamburg

Oscar Carlén trägt einen weiß-blauen Ringelpulli. Sein Blick wirkt leer, doch seine Stimme zittert nicht. Er spricht vergleichsweise ruhig für einen, der sein Leben neu ordnen muss. "Wie fühlt es sich an, aufzuhören?", wird Carlén vom Reporter der schwedischen Zeitung Expressen gefragt. Der junge Handballprofi antwortet: "Unfair."

Es ist der Rücktritt eines der größten Talente, die der Handball je gesehen hat - und auch das Ende einer tragischen Geschichte. 25 Jahre ist Carlén erst alt und hat bereits eine längere Krankenakte als jeder seiner Alterskollegen. Er hat so viel Zeit im Krankenhaus und in Rehazentren verbracht, im Herbst steht seine vierte Kreuzband-Operation binnen drei Jahren an. "Ich habe vorher noch nie aufgegeben", sagt Carlén bei einer Pressekonferenz in Malmö, "für mich bricht eine kleine Welt zusammen."

Eigentlich ist Carlén beim HSV Hamburg angestellt. Doch als Spieler kennen ihn die Fans nur von den Stühlen hinter der Auswechselbank. Dort saß er stets in zivil, in Kapuzenpulli und Jeans, wurde beklatscht, wenn ihn der Hallensprecher begrüßte. "Er ist voll anerkannt, die Jungs lieben ihn", hat Trainer Martin Schwalb noch vor wenigen Wochen gesagt. Auch die Fans haben auf ihn gewartet. Sie haben gehofft, dass irgendwann alles gut wird.

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Der Schmerz sitzt zu tief

Carlén sollte einst der beste Rückraumspieler der Welt werden. Viel hätte wohl nicht mehr gefehlt. Vor drei Jahren, bei der SG Flensburg-Handewitt, konnte er das Spiel in Sekundenbruchteilen lesen, hatte herausragende Anspiele im Handgelenk, verfügte über eine solche Sprungkraft und überraschende Wurffinten, dass er für jede Abwehr nur schwer zu greifen war. Im Alter von 19 Jahren wurde er bereits zu Schwedens "Handballer des Jahres" gewählt. Schon in sehr jungen Jahren brachte er es auf 78 Spiele für die Nationalmannschaft. Bei der WM 2011 führte Carlén sein Team bis ins Halbfinale.

Mit seinem Wechsel nach Hamburg begann die Leidenszeit. 2011 kam er zum HSV, gemeinsam mit seinem Vater, der den Trainerjob übernahm. Niemand konnte ahnen, wie diese Geschichte ausgehen sollte: Vater Carlén wurde nach wenigen Monaten wieder entlassen, Sohn Oscar schleppte sich von Verletzung zu Verletzung. Er kam bereits verletzt nach Hamburg, während des Aufbautrainings riss ihm abermals das rechte Kreuzband. Zunächst wurden die Implantate über die Bohrkanäle der Knochen entfernt, später eine neue Kreuzbandplastik eingesetzt. Immer, wenn er zurückkehren wollte, kam eine neue Hiobsbotschaft. Insgesamt wärmte sich Carlén nur ein einziges Mal mit seinem Team auf. Er sollte kein einziges Spiel für den HSV absolvieren.

Obwohl sich das Karriereende in den vergangenen Wochen angedeutet hat, reagieren seine Weggefährten nun schockiert. "Es ist sehr schwer, zu früh und tut mir wirklich leid für ihn", sagt sein Nationalmannschaftskollege Kim Andersson: "Er hatte alle Voraussetzungen zu einem der weltbesten Spieler auf der Königsposition, wenn er nicht schon einer war." Handball ist ein hochphysischer Sport. Kaputte Körper können eine zeitlang funktionieren. Aber nicht ewig.

Bei Oscar Carlén sitzt der Schmerz so tief, dass er den Sport ganz verlassen will. "Ich kann mir nicht vorstellen, als Trainer zu arbeiten", sagt Carlén: "Ich will ein wenig Abstand vom Handball haben. Ich brauche ein bisschen Ruhe." Er wird sich operieren lassen, dann möchte er studieren. Ein neues Leben beginnen. Es scheint, als habe sein Körper nicht gewollt, dass er ein noch größerer Handballprofi wird.

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