Rudern:Der Mann im Spiegel

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Nach langer Pause wieder im Wettstreit mit echten Gegnern: Ruder-Weltmeister Oliver Zeidler. (Foto: Naomi Baker/Getty Images)

Oliver Zeidler war 2016 noch Schwimmer, jetzt ist er Weltmeister und Favorit für Olympia. Trotzdem könnte seine Karriere bald wieder vorbei sein.

Von Thomas Gröbner, Linz/München

Vor dem finalen WM-Lauf im Ruder-Einer in Linz hatte Oliver Zeidler eine Begegnung mit sich selbst. "Ich habe beim Zähneputzen in den Spiegel geschaut. Da habe ich den stärksten Ruderer der Welt gesehen", sagt er. Das könnte man ihm als jugendliche Überheblichkeit auslegen, oder als psychologischen Kniff abtun. Seit Sonntag weiß man, dass es einfach nur eine sehr präzise Beschreibung der Kraftverhältnisse ist.

Eng war das Rennen auf der Donau, sechs Boote auf einer Länge, mit der Winzigkeit von 0,03 Sekunden lag Zeidler vor dem Dänen Nielsen und dem Norweger Borch. Aber das war auch eine gute Nachricht für Oliver Zeidler. Er, der Quereinsteiger, kann sich ja noch verbessern, seinen Zug ausreizen. Er ist nach den Maßstäben seines Sports immer noch ein Neuling. Die Geschichte dieses WM-Titels, sie ist erstaunlich, und sie widerspricht den Gewissheiten, die man im Rudersport zu haben glaubt. "Es gibt Dinge, die man nicht erklären kann", sagt der Bundestrainer Ralf Holtmeyer über den Weg von Zeidler, 23, der sich knapp so erzählen lässt: 2016 war er als Schwimmer an der Olympia-Qualifikation gescheitert, er warf hin und hielt sich an einem Ergometer fit, mit Sport hatte er abgeschlossen. Doch seine Züge am Rudergerät waren so stark, dass er bald die Aufmerksamkeit des Achter-Bundestrainers auf sich zog. Dem sagte er aber ab, mit den Worten: "Ich kann gar nicht rudern." Drei Jahre später ist er Weltmeister und ein Medaillenfavorit bei Olympia.

"Ich glaube nicht, dass es so etwas schon einmal gab", sagt Bundestrainer Holtmeyer über diese rasante Entwicklung, eine Karriere im Zeitraffer.

Nach der Anfrage des Bundestrainers stieg Zeidler mit seinem Opa Hans-Johann Färber, Ruder-Olympiasieger von 1972, ins Boot, weil der Junge ständig kenterte. "Ich wollte ihm zeigen, dass man auch wieder trocken zurück an den Steg kommen kann", sagte der 72-Jährige der Bild. Seitdem trainierte der Erdinger in München auf der Regattastrecke Oberschleißheim, und formulierte sofort höchste Ansprüche.

Die Sportart zu wechseln und dann gleich das Ziel Olympia zu setzen, "das zeugt schon von Verrücktheit", sagt Zeidler über sich selbst. Aber Einer-Fahrer, das seien eben besondere Typen, "ich habe zwei Jahre dafür gebraucht, das zu verstehen". Was sie verbindet? "Dieses Selbstbewusstsein, das vielleicht an Selbstüberschätzung grenzt. Von außen ist das schwer zu verstehen." Am wohlsten fühlt er sich unter seinen Konkurrenten, unter Typen wie ihm. Am Sonntag nach seinem Triumph war er mit den Geschlagenen noch feiern. Seine Konkurrenten sind Sportler, die ihn sofort akzeptiert haben. Anders als in Deutschland, wo er als Quereinsteiger "beäugt" worden sei, wie er erzählt. In der deutschen Mannschaft gehe es "Jeder-gegen-jeden", sagt er. Deshalb habe er geradezu darauf hingefiebert, wieder international zu starten.

Einer-Rudern ist ein einsamer Sport. Thomas Lange, Olympiasieger 1988 und 1992, sagte mal zu Zeidler: "Wenn man es mag, mal allein zu sein und es mag, sich selber zu quälen, dann ist man hier richtig." Lange, Kolbe - das sind inzwischen die Namen, mit denen er verglichen wird.

Aber es ist nicht die Kraft des früheren Schwimmers, die ihn so schnell macht. Sondern etwas anderes: "Er hat sein Wassergefühl aufs Boot mitgenommen. Die Art, sich zu bewegen, sich auf dem Wasser wohl zu fühlen. Er verkrampft nicht, auch nicht bei höchster Anstrengung", sagt Bundestrainer Holtmeyer.

Und trotzdem könnte seine Laufbahn, gerade am Höhepunkt angekommen, schon bald wieder vorbei sein. "Es könnte eine kurze Karriere werden", sagt Zeidler. 35 000 Euro habe seine Familie ausgegeben. Noch einmal vier Jahre den ganzen Aufwand? Das wolle er den Eltern nicht antun. Und auch sich selbst nicht. Holtmeyer überrascht das: "Ich konnte noch nicht mit ihm darüber sprechen. Mein Rat: Erst mal Olympia. Er ist sehr schnell nach oben gekommen. Das kann man nicht so schnell verarbeiten."

Doch Oliver Zeidler hadert mit der finanziellen Unterstützung: "In den letzten Jahren wurde vieles versäumt im Rudersport." Sein Arbeitgeber Deloitte sponsort seine Mütze, damit sei ein Teil vom nächsten Jahr finanziert. Aber sonst konnte er keine Sponsoren auftreiben, das frustriert Zeidler. Und so könnte es sein, dass dieser Mann nach Olympia wieder so plötzlich aus dem Rudersport verschwindet, wie er aufgetaucht ist.

© SZ vom 08.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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