Reaktionen zum Russland-Urteil:"Katastrophaler Schlag"

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Athleten und Anti-Doping-Experten sind darüber entsetzt, dass der Sportgerichtshof Russlands Strafe im Staatsdoping-Skandal noch abmildert. Das IOC hingegen reagiert zurückhaltend.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Mit großer Wut und großem Entsetzen haben Athletenvertreter und führende Doping-Bekämpfer auf die milde Strafe für Russland im Kontext des großen Staatsdoping-Skandals reagiert. Die Entscheidung des Internationalen Sportgerichtshofes (Cas) sei "verheerend", sagte Travis Tygart, Chef der amerikanischen Anti-Doping-Agentur (Usada): Es sei ein "katastrophaler Schlag für saubere Athleten, die Integrität des Sports und die Rechtsstaatlichkeit". Ähnlich drastisch formulierte es das Sportlerbündnis "Global Athlete". Das Urteil markiere einen "weiteren dunklen Tag für sauberen Sport". Auch von vielen anderen Stellen, darunter die deutsche Anti-Doping-Agentur (Nada), die deutschen Athletenvertreter sowie der Deutsche Olympische Sportbund, gab es Kritik an der am Donnerstag veröffentlichten Entscheidung des Cas.

Im Dezember 2019 war Russland von der Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) für vier Jahre gesperrt worden, weil die russische Seite manipulierte Doping-Daten aus dem Moskauer Labor übersandt hatte. Obwohl diese Strafe weit weniger rigoros war, als sie zunächst klang, und viele Ausnahmen beinhaltete, ging Russland dagegen vor. Am Donnerstag reduzierte der Cas dann die Sperre auf zwei Jahre, bestätigte und ergänzte zahlreiche Ausnahmesituationen und strich weitere Sanktionen.

So heißt es zwar offiziell, dass Russland für zwei Jahre und bis Dezember 2022 für Olympische Spiele und Weltmeisterschaften gesperrt sei; also auch für die Sommerspiele 2021 in Tokio, die Winterspiele 2022 in Peking sowie die Fußball-WM 2022 in Katar. Tatsächlich aber dürfen in dieser Zeit unbelastete russische Sportler als "neutrale Athleten" starten. Auf ihren Anzügen darf sogar der Begriff "Russland" vermerkt sein, nur die russische Fahne und die russische Hymne sind tabu.

Auch das formal existierende Verbot für die Ausrichtung von Großveranstaltungen im Sport ist de facto nicht existent. Russland darf weiter Mit-Gastgeber der EM 2021 bleiben, Formel-1-Rennen in Sotschi können ebenso stattfinden wie die Eishockey-WM 2023. Entgegen des ursprünglichen Urteils ist sogar - eine aus russischen Kreisen immer mal wieder als Idee lancierte - Bewerbung für die Sommerspiele 2032 möglich. Zudem öffnete der Cas russischen Spitzenpolitikern und -funktionären die Option, trotz der offiziellen Sperre ihres Landes die Wettkämpfe bis Dezember 2022 zu besuchen.

Die russische Anti-Doping-Agentur bezeichnete die Entscheidung als "Sieg für Russland", auch das nationale Olympia-Komitee zeigte sich zufrieden. Während die Empörung unter den Athleten und führenden Anti-Doping-Agenturen so immens war, hielten sich die höchsten Organisationen sehr zurück. Die Wada erklärte, dass sie zwar enttäuscht sei über den Wegfall von Sanktionen, interpretierte den Vorgang aber trotzdem als Erfolg. Und das Internationale Olympische Komitee (IOC), das seit dem Ausbruch des großen Skandals 2015 stets sehr Russland-freundlich agierte, teilte mit, man wolle das Ergebnis "sorgfältig prüfen". Ähnlich äußerte sich der Fußball-Weltverband Fifa, dessen Spitze ebenfalls traditionell Russland-nah auftritt.

Usada-Chef Tygart, der als einer der profiliertesten Dopingjäger gilt und dessen Wirken etwa für den Sturz von Lance Armstrong maßgeblich war, gab sich wegen des Verhaltens der beiden Organisationen erzürnt: "Die Wada und das IOC haben diese schmutzige russische Doping-Affäre vom ersten Tag an manipuliert und misshandelt und die Politik erneut über das Prinzip gestellt."

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