RB Leipzig:"Zum Glück bist du manchmal so faul"

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Leipzigs Trainer Nagelsmann bedankt sich bei Stürmer Timo Werner dafür, dass im Spitzenspiel in Dortmund aus einem 0:2 ein 3:3 wird. Welches Team dem FC Bayern gefährlicher werden kann, bleibt ungeklärt.

Von Freddie Röckenhaus, Dortmund

Julian Nagelsmann trug das Ergebnis mit Fassung. Nein, er werde sich nicht dafür entschuldigen, dass seine Mannschaft einen glücklichen Punkt entführt hatte. "Kann sein, dass das heute kein selbst verdientes Unentschieden war, aber trotzdem nehmen wir es natürlich gerne mit." Diverse Erkenntnisse hatte Deutschlands begehrtester Trainer-Jungspund obendrein mitgenommen von diesem streckenweise spektakulären 3:3 (0:2) seines RB Leipzig in Dortmund. Zudem "einen Koffer voll Arbeit", wie er für seine Verhältnisse beinahe kleinlaut versicherte.

Für neutrale Zuschauer hatte das Duell der als Tabellenführer angereisten Leipziger beim Meisterschafts-Aspiranten einen hohen Entertainment-Faktor. Gespickt mit skurrilen Volten und Wendungen, die keine noch so ausgeklügelte Taktik vorhersehen kann. Ob es ein Spitzenspiel zweier Teams war, die dem in dieser Saison so wankelmütigen FC Bayern den achten Bundesliga-Titel in Serie vereiteln können, war nach Abpfiff trotzdem nicht klar zu klären. Nagelsmann fand, seine Elf habe nicht so zwingend gespielt, wie sie es eigentlich könne. Marco Reus, Dortmunds Kapitän, beharrte darauf, dass seine Borussen eine starke Leistung gebracht hätten, "mit zwei unerklärlichen individuellen Aussetzern, die uns den Sieg gekostet haben. Aber es geht weiter. Wir wollen ganz nach oben."

Was Reus so fachlich-steril umschrieb, nennt man im Kabinenjargon einfach "Eigentore". Dortmund hatte eine Halbzeit lang die Leipziger regelrecht an die Wand gespielt, durch Tore Julian Weigl und ein Weltklasse-Tor von Julian Brandt gar 2:0 geführt. "Wir waren in der ersten Hälfte chancenlos", fasste es Nagelsmann zusammen. In der Pause begann es dann jedoch aus Kübeln zu regnen, der Rasen konnte gar nicht so viel Wasser absaugen, wie da aus dem Nachthimmel stürzte. Vielleicht war es dieser Regen, vielleicht waren es Kurzschlüsse in der Konzentration, jedenfalls vollzog sich sogleich nach Wiederanpfiff ein kleines Slapstick-Drama.

Mal Weltklasse, mal Kreisklasse - mit der Konzentration tut sich der BVB noch immer schwer

Zuerst stürmte Roman Bürki aus dem Strafraum, hob ab zum Kopfball, was nicht zum Basis-Repertoire von Torhütern gehört, und köpfte den glitschigen Ball mit höchster Kraftanstrengung etwa fünf Meter weit - genau vor die Füße von Leipzigs Torjäger Timo Werner. Sofort stand es 2:1.

Nur sieben Minuten später verblüffte Julian Brandt - derselbe Brandt, der in der ersten Halbzeit das Publikum mit filigraner Ballarbeit beim 2:0 verzaubert hatte -, mit einem holpernden Rückpass. Wem vor die Füße? Natürlich Timo Werner, der sich erneut nicht mehr groß bitten ließ. Der Doppel-Torschütze kommentierte sein Glück mit bemerkenswerter Selbstkritik: "Solche Fehler sieht man in der Bundesliga sehr selten. Ich habe ansonsten wohl mein bisher schlechtestes Spiel für RB Leipzig gemacht, in der ersten Halbzeit hatte ich an die hundert Prozent Fehlpassquote." Aber wie es in der Bundesliga gerade so ist: Mit nun 18 Toren aus 16 Spielen liegt der Nationalstürmer auf Augenhöhe mit dem Münchner Robert Lewandowski.

Vom Ausgleich erholte sich Dortmund trotzdem noch einmal. Aber den enormen Schwung der ersten Halbzeit nahm das BVB-Spiel trotz des erneuten Führungstreffers von Jadon Sancho nicht mehr auf. Zudem leistete sich die BVB-Abwehr einen weiteren Fauxpas, den im Nachschuss der von AS Rom ausgeliehene Tscheche Patrik Schick zum 3:3 nutzte. Dortmunds Trainer Lucien Favre, nach drei Siegen gegen Hertha, Düsseldorf und Mainz erst mal aus der gröbsten Kritik heraus, sah besonders das kleine Comeback seiner Elf positiv. Er hatte ein "sehr, sehr starkes Spiel" von beiden Seiten gesehen, was nicht ganz im Einklang mit Nagelsmanns kritischer Einschätzung war. BVB-Kapitän Reus fand eher, dass man sich kollektiv "in den Allerwertesten beißen" könne für die vielen Blackouts nach der Pause. An sich hatte Favres Taktik den Leipzigern viele Stärken genommen: Bei gegnerischem Ballbesitz verteidigte Dortmund eher zugeknöpft und tief wie ein Abstiegskandidat, mit Fünferkette und einer eng davor gleitenden Dreierkette. Offensiv schwärmte diese Formation überfallartig in eine 3-4-3-Ordnung aus. Das blockierte und irritierte die schnellen Leipziger.

Wäre da nicht dieser Rückfall gewesen, der eben nicht so war, wie Marco Reus es bewerten wollte: "Solche Tore passieren nie wieder." Doch - in Dortmund passieren ähnliche Eskapaden immer wieder. Schmerzlich erinnerten sich die Zuschauer, wie sich in der vergangenen Rückrunde ein 3:0-Vorsprung gegen Hoffenheim nach Slapstick-Einlagen noch in ein 3:3 verwandelte. Oder an die 2:0-Führung gegen Werder Bremen, die zum 2:2 wurde. Zu einem Meisterschaftsfavoriten gehört eben auch, die Konzentration durchgängig hoch zu halten. Damit tut sich der BVB schwer. Auf Weltklasse-Phasen folgen immer wieder Abstürze ins Kreisklassen-Niveau. Ein Gegenmittel scheint noch nicht gefunden zu sein. Hoffenheim ist übrigens Dortmunds nächster Gegner, am Freitagabend.

"Zum Glück bist du manchmal so faul", - so drückte Nagelsmann seinem Torjäger Werner gegenüber Hochachtung aus. Werner hätte wohl nie die Patzer von Bürki und Brandt in Tore ummünzen können, wäre er taktisch deckungstreuer. Dann wäre er wohl schon auf dem Rückweg in die Defensive gewesen, als die Dortmunder den Leipzigern die Bälle vor die Füße würfelten. Aber das ist nun einmal das Kapital aller Unberechenbaren. Du hast es, oder hast es nicht. Timo Werner muss es haben.

© SZ vom 19.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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