RB Leipzig:Union lotet die Grenzen aus

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Letzter Auftritt vor der Zwangspause: Unions Abwehrspieler Florian Hübner (rechts, im Zweikampf gegen Leipzigs Sörloth) wird wegen des Vorwurf einer rassistischen Beleidigung zwei Spiele gesperrt. (Foto: Karina Hessland/imago)

Das Berliner Team hat gelernt, wie man die Spitzenmannschaften der Liga drangsaliert. Auch der Tabellenzweite Leipzig wird muss bis ans Limit gehen, um sich durchzusetzen

Von Javier Cáceres, Leipzig

Zu den Übungen, die der 1. FC Union seit Anbeginn seiner Zugehörigkeit zur Bundesliga mit besonderer Bravour bewältigt, gehört eines der schwierigsten Unterfangen überhaupt dem sich Menschen gegenüber sehen können: die Kunst der Selbsteinschätzung. Hybris ist den Köpenickern ebenso fremd wie falsche Bescheidenheit; sie halten sich weder für die Neuauflage des ungarische Fußball-Wunderteams der 1950er Jahre noch für einen bloßen Adabei der Bundesliga. Sie wissen schon sehr genau, was sie können und was nicht.

Wenn es irgendwann darum gehen sollte zu ergründen, warum es Union in der Hinserie der laufenden Spielzeit gelungen ist, gegen nahezu alle Top-Mannschaften der Klasse zu punkten, oder warum Union sogar bei der Ausnahme zu gefallen wusste, bei der 0:1-Pleite vom Mittwoch bei RB Leipzig also, dann wird auch eine Rolle spielen, dass Unions Mannschaft ihre eigenen Stärken kennt und ausschlachtet. Und dass sie ihre Schwächen kaschiert wie kaum eine zweite.

Der 1. FC Union nahm in Leipzig durchaus die Verteidigung des eigenen Strafraums ernst; der zuletzt angeschlagene Florian Hübner spielte überraschend von Beginn. Doch die Art, wie das Team sich auf die Defensive konzentrierte, hatte nichts von der stupiden Destruktivität, die vielen Teams innewohnt, die bloß den Mannschaftsbus vorm eigenen Tor parken und dann den Gegner gewähren lassen. Im Gegenteil: Union zeigte vor allem in der ersten Halbzeit eine sehr gute Leistung, wie Trainer Urs Fischer nach der Partie sagte. Der Schweizer äußerte damit eine Zufriedenheit, die man ihm zugestehen durfte: Sein Ensemble hatte wie ein einziger Organismus gewirkt, der verteidigte, aber auch wusste, wie und wann dem Gegner Schaden zuzufügen war. Fraglich ist nur, ob der Verbund halten wird: Hübner ist am Donnerstag vom Sportgericht des DFB für zwei Spiele gesperrt worden, Anlass war ein Streit mit Bayer Leverkusens Nadiem Amiri am vergangenen Freitag. Für den Vorwurf einer rassistischen Beleidigung fanden die Ermittler allerdings keine Anhaltspunkte. Hübner wurde ausdrücklich wegen "unsportlichen Verhaltens" bestraft, er fehlt Union nun Samstag gegen Augsburg und eine Woche später gegen Mönchengladbach.

Gegen Leipzig waren die Berliner "ans Limit" gegangen, wie Manager Oliver Ruhnert zutreffend erklärte. Faszinierender aber war fast, dass das auch für die Leipziger gegolten hatte - dass auch sie also ans Limit hatten gehen müssen. An die Grenzen der Beharrlichkeit, der Geduld, der Wachsamkeit. Bis der eingewechselte Emil Forsberg nach einer Ad-hoc-Kombination mit seinem spanischen Co-Regisseur Dani Olmo den verdienten Siegtreffer erzielen konnte, gingen 70 Minuten ins Land. Und das erklärte auch, warum sich Leipzigs Trainer Julian Nagelsmann über den Sieg aufrichtig freute. Der Erfolg sei für seine Mannschaft "ein kleiner Reifeprozess", sagte er. Zur Erinnerung: Der FC Bayern gehört zu jenen Top-Teams, die es nicht schafften, den 1. FC Union zu bezwingen.

Was für den Rest der Saison nichts heißen muss, aber durchaus etwas heißen kann. Leipzig ist weiterhin an Tabellenrang zwei gelistet und schält sich, bei nur vier Punkten Rückstand auf den FC Bayern, immer deutlicher als einziger Herausforderer im Titelkampf heraus. Die Leipziger haben genauso viele Niederlagen wie die Bayern (zwei), aber mehr Unentschieden und damit weniger Siege verbucht. Andererseits: Seit dem vergangenen Jahr weiß Nagelsmann, dass ein Herbstmeistertitel, wie ihn sein Team verspielt hat, keine Garantie für den Sieg in der Meisterschaft bietet.

Überhaupt wirkte Nagelsmann entspannt, als er über die Perspektiven sprach, denn auch wenn er sich über die Punkte ärgerte, die Leipzig dem 1. FC Köln und dem VfL Wolfsburg überließ: "Wir haben nicht die Pflicht, deutscher Meister zu werden. Es hat mir keiner im Klub die Pistole auf die Brust gesetzt und gesagt, du musst dieses Jahr Meister werden", berichtete er. Das hebt ihn von den Bayern und seinem Kollegen Hansi Flick ab.

Doch wenn schon Leipzig vor Übermotivation gefeit ist - so gilt das für den 1. FC Union besonders: Die Köpenicker schlossen die Hinrunde als Tabellensechster ab, sie belegten mithin einen Rang, der sie zur Teilnahme an einem europäischen Wettbewerb berechtigen würde. Doch daran, dass Fischer nur jene 40 Punkte im Blick hat, die den Klassenerhalt symbolisieren, hat sich nichts geändert.

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