RB Leipzig:Raus aus der Tiefgarage

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Josep Martinez Josep Martinez (Foto: Las Palmas/oh)

Torwart Josep Martínez soll Leipzig verstärken - doch wann er wechseln kann, ist ungewiss.

Von Javier Cáceres, Berlin

Wenn man den Fußballtorwart Josep, der mit vollem Namen Josep Martínez heißt, damit konfrontiert, dass er fast schon zu einem Sonderfall geworden ist, blickt er fast ein wenig verlegen. Was einigermaßen kurios wirkt: Den Bildschirm, auf dem die Videokonferenz läuft, füllt er mit seinen breiten Schultern einschüchternd aus. "Ach echt?", fragt er zurück, und es scheint ihm wirklich nicht bewusst zu sein, dass es nur wenige Profis gibt, die in seiner Lage sind: jetzt schon zu wissen, wo sie in der nächsten Saison spielen werden. "Da war ich wohl schnell dran!", sagt Josep. Kann man wohl sagen.

Noch ist Josep, 21, bei der Unión Deportiva Las Palmas auf den Kanarischen Inseln angestellt, dem Tabellen-14. der zweiten Liga Spaniens. Doch seit Januar schon steht er als Zugang des deutschen Bundesligisten RB Leipzig fest. Nicht, dass der April der Monat wäre, an dem traditionell die meisten Transfers festgezurrt werden. Aber durch die Pandemie ist doch etwas durcheinandergeraten. Der Branchendienst transfermarkt.de listete am Montag zwar beachtliche 108 Wechsel auf, die zur neuen Saison fix vollzogen werden sollen, bei summierten Ablösen von rund 31 Millionen Euro. Aber die Statistik täuscht.

Unter diesen Transfers sind nicht nur Spieler wie Alexander Nübel (Schalke 04/ FC Bayern), Joe Scally (New York City/Mönchengladbach) eingerechnet, sondern auch Emre Can (Juventus Turin/Dortmund), der bereits nach der Winterpause für die Borussia gespielt hat und mit angeblich 25 Millionen Euro den Großteil der genannten Transferausgaben der Bundesligisten für sich verbucht. Und 101 Wechsel sind keine richtigen, sondern betreffen Spieler, die zuletzt ausgeliehen waren und nach Vertragsende im Sommer zu ihren Klubs zurückkehren sollen. Darunter fällt auch Herthas Millioneinkauf Lucas Tousart, der nach dem Kaufvertrag wieder an Olympique Lyon zurückverliehen wurde.

Las Palmas entlässt ihn vielleicht früher nach Leipzig - ein großer Teil der Ablöse ist überwiesen

Der Transfer des spanischen U21-Nationalspielers Josep nach Leipzig ist hingegen exemplarisch für einen klassischen Wechsel, der zudem bereits seit Januar feststeht. Die Frage, ob er wirklich am 1. Juli in Leipzig seinen Dienst antritt, ist jedoch nicht abschließend geklärt. Der Spielbetrieb ist wie überall in Europa auch in Spaniens zweiter Liga unterbrochen, wann er wieder aufgenommen werden kann, ist unklar, ebenso das mögliche Saisonende. Der Weltverband Fifa will die Verträge der Spieler generell über 30. Juni hinaus verlängert sehen, bis die laufende Spielzeit beendet ist - wann auch immer das sein mag.

"Ich weiß es nicht", sagt Josep selbst. Aber: Bei der UD Las Palmas hört man heraus, dass man sich zumindest vorstellen kann, ihn ziehen zu lassen. Ein erheblicher Teil der Ablöse von angeblich 2,3 Millionen Euro ist bereits geflossen, und das hat der Mannschaft Gran Canarias in diesen prekären, weitgehend einnahmefreien Zeiten extrem geholfen. Und so ist nicht mal ausgeschlossen, dass sich Josep gerade für einen Einsatz in Deutschland bereithält - in einer kleinen Wohnung in einer Mietskaserne, auf halbem Weg zwischen der Innenstadt und dem Stadtstrand Las Canteras.

"Ich fresse hier allmählich die Wände auf!", ruft er. Die gerade erst bis 9. Mai verlängerten Quarantänemaßnahmen bedeuten, dass er das Haus nur zum Einkaufen verlassen darf. Training, wie es in Deutschland schon seit zwei Wochen wieder möglich ist? Untersagt! Vom Konditionstrainer bekommt er täglich Übungen geschickt.

Seilspringen im Keller und ein Deutschkurs per Video - Martínez will vorbereitet sein

Daheim hat Josep inzwischen seine Nachbarn kennengelernt. Sie klingeln immer wieder mal, weil er seilspringt oder den Ball gegen die Wand knallt und fängt. "Mich würde das wahrscheinlich auch stören", sagt er. Übungen, die mehr Platz beanspruchen, macht er auch: in der Tiefgarage zwischen Autos. "Ich möchte hier einfach nur raus, auf einen Fußballplatz, und mich auf den Rasen werfen können."

Das hat er im Grunde sein ganzes Leben lang getan. Er ist nicht die Sorte Torwart, die nur deshalb im Kasten gelandet ist, weil sie zu anderen Dingen nicht fähig war. Sondern er steht im Tor, weil er seinem Vater José nacheiferte, der in Joseps Geburtsort, dem Städtchen Alzira bei Valencia, Torwart der örtlichen Fußballelf war. Im Alter von fünf Jahren schon stand auch Josep im Tor, bewunderte vor allem Santi Cañizares, der beim FC Valencia das Tor hütete und zwei Mal im Champions-League-Finale stand und verlor, gegen Real Madrid (2000) und in Mailand gegen den FC Bayern (2001): "Wenn ich mir diese alten Videos anschaue, verspüre ich immer noch das gleiche: Zorn", sagt Josep.

Als Teenager holte ihn der FC Barcelona in die Jugendakademie "Masia" - "und da habe ich endgültig gemerkt, dass ich es schaffen könnte", sagt er. Josep nahm 2016 als A-Jugendlicher an der Saisonvorbereitungstour teil, mit fast allen Barça-Stars ("Ich habe einen Ball von Lionel Messi gehalten!"). Ein Jahr später ging er nach Las Palmas. Er startete dort als Stammtorwart, als er dann trotz einer Verletzung spielte, leistete er sich einen kapitalen Fehler - und wurde auf die Bank verbannt. Gleichwohl blieb Leipzig interessiert und holt nun einen Keeper, der im Ruf steht, eine gute Strafraumbeherrschung zu haben, eine gute Elastizität, beste Reflexe. Er selbst ist sich sicher, dass er bestens zum Leipziger Stil passt, den er in Bundesligavideos - er hat immer schon viel Fußball geschaut - studiert hat: "Ich bin ein mutiger Torwart."

Schon als Jugendlicher hatte Josep einen Trainer, der ihm auferlegte, keinesfalls den Ball einfach blind und lang nach vorne zu schlagen. Er drohte ihm, ihn auf die Bank zu setzen, wenn er den Ball nicht zu einem Mitspieler bringe - oder aber gegnerische Konter im Zweifelsfall auch weit vor dem Tor unterbinde. "Eigentlich bin ich ein ruhiger Typ", sagt Josep, "aber auf dem Platz verwandele ich mich, da kenne ich keine Freunde. Und laut werden kann ich auch." Damit er das von Tag eins an auch in Leipzig kann, betreut ihn bereits ein Deutschlehrer per Videoschalte. "Das ist härter, als ich dachte", sagt er. Aber er beißt sich durch. Durch die Quarantäne, durch den Deutschkurs, für seine Landung in der Bundesliga. Um vorbereitet zu sein, wenn man ihn braucht.

© SZ vom 21.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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