RB Leipzig:Erstaunlich viel Normalität

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RB und dem SC Freiburg gelingt ein Spiel auf hohem Niveau. Mit dem 1:1 setzen sich die ärgerlichen Punktverluste für Leipzig allerdings fort.

Von Javier Cáceres, Leipzig

Christian Streich vom SC Freiburg ist mit 54 nicht der älteste, aber der dienstälteste Trainer der Bundesliga - quasi ihr Dekan. Mit anderen Worten: Streich ist der Coach, der am ehesten alles gesehen hat, was die Welt des Fußballs bislang hergegeben hat und daher durchaus imstande ist, aus diesem Fundus der Erfahrungen heraus zu projizieren, was Gegenwart und Zukunft bringen könnten.

Am Samstag - seine Mannschaft hatte gerade bei RB Leipzig einen Punkt ertrotzt - gab Streich preis, dass die Partie seiner Erwartung entsprochen habe. Es war eine Erwartung, die er trotz der aseptischen Umstände der Partie gehabt hatte, trotz der fehlenden Augenpaare und Seelen auf den Rängen, trotz des plakativen Krieges aller Beteiligten gegen Keime jedweder Art. Diese Erwartung lautete, dass die Partie auf Anhieb ein Qualitätsniveau erreichen könnte wie vor Corona.

"Das Spiel selbst war nicht komisch. Das Drumherum war richtig komisch, aber das Spiel nicht", betonte Streich und fügte hinzu: "Ich habe nie gedacht, dass die Qualität extrem leidet, wenn keine Zuschauer da sind. Die Mannschaften haben die Qualität. Wenn man einmal alles abzieht, war es ein Spiel Elf-gegen-Elf." Es war sogar ein Spiel Elf-gegen-Elf der fast schon besseren Art. Und es war ein Spiel, das womöglich die Nachricht dieses seltsamen Samstags war, das auch noch in die Vergangenheit verwies. Und das ist ja das, wonach die Branche sich sehnt: die Rückkehr zu Zuständen, die man "Normalität" nennt.

Eine neue Form von Ferngespräch: Leipzigs Torschütze Yussuf Poulsen in gebührendem Abstand zu Sky-Reporterin Esther Sedlaczek - das geht sogar ohne Mundschutz. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Die Vergangenheit, die fast vergessene, besagte, dass RB Leipzig im Dezember der sogenannte Herbstmeister geworden war, aber danach etwas unvermittelt ins Straucheln geriet. Vor der großen Paralyse und Pause hatten die Leipziger im neuen Jahr nur elf von 24 möglichen Punkten geholt, die Tabellenführung verloren, aber immerhin das Champions-League-Viertelfinale erreicht, gegen Tottenham Hotspur.

Am Samstag ging es in der Bundesliga weiter wie vor der Krise: nur mit einem 1:1 gegen Freiburg, was das Absacken auf den vierten Tabellenplatz bedeutete. Also den Leipziger Abschied vom Meisterkampf? "Ziemlich pessimistische Frage . . .", sagte Trainer Julian Nagelsmann zu diesem Thema und antwortete dann doch mit Sinn für Realismus: "Ich hake es nicht ab. Aber wenn wir gegen Freiburg daheim 1:1 spielen und (in der Hinrunde) dort verlieren, dann sind das zu wenige Punkte, um Meister zu werden." Nagelsmann erinnerte aber daran, dass das wahre, vorab formulierte Saisonziel, die Champions-League-Qualifikation, weiter in Reichweite sei.

Das ist im gleichen Maße Fakt wie auch die Leistung am Samstag keinen validen Grund lieferte, irgendetwas abzuhaken. Eher war das Gegenteil der Fall. Zwar hätte Leipzig die Partie in der Nachspielzeit fast verloren, als der Videoschiedsrichter in seinem Keller dank seiner kalibrierten Linie zur zweifelsfreien Ermittlung von Abseitsstellungen ein Tor von Freiburgs Verteidiger Robin Koch annullierte, das den 2:1- Sieg für die Gäste bedeutet hätte. Aber Leipzig wusste zu Beginn und über weite Strecken der Partie zu gefallen, die kuriose Führung der vorzüglich organisierten Freiburger durch Manuel Gulde (32.) nach einer Ecke von Grifo kam sehr unerwartet.

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(Foto: Jan Woitas/AFP)

Zwei Lautsprecher mit Schalldämpfer: RB-Trainer Nagelsmann...

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(Foto: Reuters)

... und sein Freiburger Kollege Streich.

Nach der Halbzeitpause war Leipzigs Überlegenheit bereits vor dem Ausgleich von Yussuf Poulsen (77./Kopfball.) erdrückend. "Sechs, sieben hundertprozentige Chancen" zählte Nagelsmann später zusammen. Er erinnerte sich wohl vor allem an die Szenen, in denen der eingewechselte Ademola Lookman und Poulsen allein vor dem Freiburger Tor standen, oder als Marcel Halstenberg mit einem Gewaltschuss Schwielen auf den Fingerknöcheln des exzellenten Freiburger Torwarts Alexander Schwolow hinterließ. "Wenn wir drei oder vier Tore schießen, wäre es nicht unverdient gewesen", fand Nagelsmann. Allein: "Es fehlt ein bisschen Rhythmus, um die Chancen zu machen - und der wird kommen." Denn: "Wir haben charakterlich super performt, leidenschaftlich gekämpft und schönen Fußball gezeigt."

Das wäre schon unter den so genannten "normalen" Umständen nicht wenig; unter den geltenden Verhältnissen ist es wahrscheinlich noch mehr wert. Zumal ein Teil der Wahrheit vom Samstag war, dass Freiburg ebenfalls eine gute, von intelligentem Ordnungssinn getragene Leistung geboten hatte. "Wir haben den Punkt nicht gestohlen", fand Streich.

Seine Freude war nicht vollkommen, sie wird das wohl erst wieder sein, wenn zumindest annähernd eine Normalität in der Liga einkehrt, die man nicht mehr "neu" nennen muss. Der tiefere Sinn eines Fußball-Samstags, das hat Christian Streich gelernt in all seinen Jahren als Trainer, besteht darin, dass Leute sich treffen und sehen: "Die Zuschauer gehören zum Fußball dazu, wie ein Tor, ein Pfosten - und wie wir Trainer."

© SZ vom 18.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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