RB Leipzig:Der Schub nach dem Schmerz

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Gegenwehr, Enttäuschung und Kampfbereitschaft für die neue Saison mit Nagelsmann: Verlierer RB Leipzig sortiert seine Gefühle - und klärt Personalfragen.

Von Moritz Kielbassa, Berlin

Och nö, bitte nicht! Nein, die Medaille für den zweiten Sieger wollte sich Ralf Rangnick vom DFB-Generalsekretär Curtius nicht um den Hals hängen lassen. Er ließ sich den Trostpreis aushändigen, mäßig wertgeschätzt, dann ging er zügig wieder hinunter vom mit Goldkonfetti beregneten Podest für die Pokalzeremonie.

Mit Niederlagen ist das so eine Sache beim Trainer von RB Leipzig. Kein Mensch verliert gerne, aber bei Rangnick sticht dieser Schmerz zwischen Magengrube und Herzgegend besonders tief. Geschichten über sein Nicht-gut-verlieren-Können hat er oft erzählt, zum Beispiel die Story mit dem Spielzeugfeuerwehrauto, das er einst seinem Ur-Opa entgegenschmiss, weil der ihn beim Murmeln besiegt und schadenfroh gegrinst hatte. Jetzt waren es die Fans des FC Bayern, die mit ähnlich triumphaler Lust pfiffen, als Rangnick auf das Podium gerufen wurde. Und die andere Sache ist ja: Vor dem Spiel weiß man zwar, dass man auch dann ehrenhaft zurückblicken kann auf eine starke Saison, falls es im Pokalfinale schiefgeht gegen die Münchner Favoriten. Dann aber so ein 0:3 zur Crunchtime real zu erleben, nach einer tollen Partie, die aus Rangnicks spezieller Sicht "auch 5:5 oder 6:6 hätte ausgehen können" - das fühlt sich dann halt trotzdem verdammt mies an. Im ersten Moment zumindest.

Ralf Rangnick könnte sich bei RB künftig globaler engagieren

"Die Enttäuschung ist groß, wir hätten nicht zu verlieren brauchen. Es war über weite Strecken ein Duell auf Augenhöhe, das macht es umso bitterer", sagte Rangnick in der Pressekonferenz. Gut zwei Stunden später in dieser Berliner Nacht, es war schon nach halb eins, stieg er vor dem Hotel am Gendarmenmarkt als Letzter aus dem Teambus. Seine Spieler, in hipper Ausgehkleidung, aber ohne Feierlaune, schritten über einen roten Teppich zur RB-Party im "Bricks"-Club. Einer der wenigen, die hier noch ein Statement abgaben, war Verteidiger Marcel Halstenberg. Er fasste das Spiel korrekt und bündig zusammen: "Wir haben sehr gut angefangen, da hätten wir in Führung gehen können - ham wer nich geschafft! Und dann steht's plötzlich 1:0 für Bayern. Dann hatten wir große Chancen zum 1:1 - ham wer auch nich geschafft! Dann fällt das 2:0, und dann isses schwer gegen einen solchen Gegner."

Rangnick erteilte sich selbst eine kleine Rüge - für seine "All-in"-Umstellung auf Dreierabwehr in Halbzeit zwei ("würde ich vielleicht nicht mehr so machen"). Doch in erster Linie wussten die Leipziger: Sie hatten nach respektabler Gegenwehr gegen die beste Mannschaft der Republik verloren, die diesmal in Berlin in Topverfassung antrat, mental gestrafft - und in Bestbesetzung: volle Kapelle, kein Schwachpunkt, auch mit Manuel Neuer im Tor, an dem RB bei zwei Schlüsselszenen verzweifelte, die dem Abend einen anderen Fluss hätten geben können. "Das Matchglück war nicht auf unserer Seite", klagte Stürmer Youssuf Poulsen, dessen frühen Kopfball Neuer an die Latte hexte. Emil Forsberg, der nach der Pause bei seinem Solo gegen Neuer das mögliche 1:1 vergab, richtete den Blick direkt nach vorne: "Klar tut es jetzt weh, aber wir müssen Kraft sammeln, um nächste Saison wieder anzugreifen."

Trendwende in Minute 29: Bis dahin dominante Leipziger staunen über Lewandowskis 1:0-Kopfball. (Foto: Hendrik Schmidt/dpa)

Unten im Partykeller richtete der Vorstandschef das Wort an Spieler und Sponsoren, und auch Oliver Mintzlaff wollte dabei demonstrativ anti-traurig klingen: "Das ist der großartigste Tag der Vereinsgeschichte", rief er mit Entertainerstimme ins Mikro, "erst vor zehn Jahren gegründet, vor fünf Jahren noch Regionalliga und jetzt hier im Finale! Das soll uns erst mal einer nachmachen." Mit 25 000 Daumendrückern waren sie in die Hauptstadt gekommen, es gab eine hübsche Choreografie in der Kurve, stimmungsvolle Chöre, bei der Heimkehr am Sonntag ein Fanspalier am Leipziger Bahnhof - für dieses junge RB, mit dem Stigma von Kommerz und Plastik, war Berlin ein lohnender Ausflug.

Und was folgt jetzt? Wohin geht die Bullenreise? Leipzig will sich als dritte Spitzenkraft im deutschen Fußball etablieren, neben Bayern und dem BVB, aber ohne einen Höhenrausch zu kriegen. "Auch in drei Jahren werden die Bayern noch Lichtjahre entfernt sein", versuchte Mintzlaff eine Einordnung, "für uns ist wichtig, das hohe Entwicklungstempo beizubehalten. Ich glaube nicht, dass uns die Puste ausgeht. Wir sind kampfbereit für die neue Saison."

Nah dran: Trainer Rangnick in Reichweite zum Objekt der Begierde. (Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Sehr zeitnah sollen nun auch die beiden personellen Kernbaustellen geschlossen werden: Was wird aus Stürmer Timo Werner? Und wie gestaltet sich das neue Organigramm an der Spitze der RB-Pyramide? Bei Werner, der mutmaßlich zum FC Bayern möchte, hofft Mintzlaff noch auf einen Sinneswandel. Sollte Werner doch noch der bisher abgelehnten Vertragsverlängerung (über 2020 hinaus) zustimmen, wäre dem Vernehmen nach auch der Einbau einer Ausstiegsklausel vorstellbar. Mintzlaff listete Werner zumindest alle künftigen Vorzüge des Standorts auf: "Julian Nagelsmann neuer Trainer, wir spielen Champions League, eine geile Mannschaft, die noch mehr zusammengewachsen ist, ein geiler Klub, eine geile Stadt - vielleicht sind das gute Gründe für Timo."

Den Trainerposten übergibt Rangnick, 60, an Nagelsmann, 31. Die Messlatte für den Neuankömmling aus Hoffenheim liegt hoch nach Platz drei in der Liga, für ihn bedeutete das 0:3 vom Samstag zumindest keine Zusatzbürde. Für Rangnick hingegen war es eine verpasste Chance, die vorerst nicht wiederkommen wird. Er hat ja, gemessen an seiner Lebensleistung im Fußball, fast unverschämt wenige Titel als Coach gewonnen, und er will seine Trainerkarriere auch ausdrücklich nicht für beendet erklären. Doch sein kurzfristiger Plan sieht wohl vor, bei Leipzig in die Sportdirektion zurückzukehren - mit umfassenderen Zuständigkeiten als bisher, auch für weltweite RB-Projekte (Brasilien, USA, China). Fürs Tagesgeschäft an der Seite von Nagelsmann soll Markus Krösche als Sportchef kommen (aus Paderborn).

Bei aller Enttäuschung sah es auch Rangnick so, dass dieser Finalabend kein Trauerfall für RB sei, sondern neue Schubkraft gebe: "Die Mannschaft wird nächstes Jahr vielleicht noch stärker", glaubt er. Aber vom Weg abkehren, um die Bayern rascher einzuholen, das will er nicht: "Den Abstand zu verringern" werde nicht mit explosiv mehr Geld passieren: "Wir müssen weiter schlaue Transfers setzen und Spieler bei uns besser machen."

© SZ vom 27.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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