Rafael Nadal:Vom Handstrecker gestoppt

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Die Tränen verdrückt, den Arm bandagiert: Schweren Herzens verabschiedet sich Rafael Nadal auf einer Pressekonferenz von der French Open. (Foto: Michel Euler/AP)

Bei seinem Lieblingsturnier wird Rafael Nadal von einer Verletzung gestoppt. Auch sein Wimbledon-Start ist in Gefahr.

Von Philipp Schneider, Paris

Wie eine plattentektonische Verschiebung erschüttert die Nachricht die Journalisten in Roland Garros. Eine außerplanmäßige Pressekonferenz mit Rafael Nadal? Gespielt hatte er nicht, nicht an diesem Freitag. Aber er will etwas verkünden. Mit gesenktem Blick schlendert der Spanier in den Raum. Überall drängen sich Menschen, der Raum ist praller gefüllt als bei allen anderen Anlässen in der ersten French-Open-Woche. Nadal setzt sich hinter einen Tisch, auf dem ein Schild steht mit der Aufschrift "Roland Garros 2016". Das Schild ist so groß, dass die Fotografen in der letzten Reihe nur Nadals Kopf ablichten können. Sein linker Arm ist verborgen, er liegt hinter dem Schild. Aber um Nadals linken Arm geht es jetzt. Es geht um Nadals linkes Handgelenk. Um nichts anderes. Draußen auf den Plätzen wird Tennis gespielt, auf dem Court Philippe Chatrier fertigt der Franzose Richard Gasquet gerade in drei Sätzen Nick Kyrgios ab, den prolligen Australier.

Aber wen interessiert das jetzt?

"Well, just, hello", sagt Nadal.

Er lächelt nicht. Nadal blickt von links nach rechts, lässt seine Augäpfel rollen, so richtig wohl fühlt er sich nicht. "Ich bin hier, um zu verkünden, dass ich mich aus dem Turnier zurückziehen muss." Er hebt den linken Arm in die Luft, um den Unterarm hat er eine blaue Manschette gelegt. Ah, der Arm, denken sich die Fotografen in der letzten Reihe. Rattatatattattaatta, Rattatatattattaatta. Die feine Serienbildfunktion. Ganz sicher ist eines der Bilder dieses Turniers dabei. Ein Foto davon, wie der neunmalige Triumphator und Rekordsieger verkündet, dass sein Lieblingsmajor ohne ihn zu Ende gebracht werden muss, Nadal, ausgebremst auf dem Weg zu "La Décima", einem möglichen zehnten Titel hier. Den Mount Everest dreimal innerhalb von zwei Wochen zu besteigen, wäre simpler.

Die Gefahr war, dass die Sehne reißen würde

"Ich bin hier mit Schmerzen angereist, mit jedem Tag ist es schlimmer geworden. Wir haben alle möglichen Behandlungen versucht." Rattatatattattaatta, Rattatatattattaatta, Rattatatattattaatta . Wieder hebt Nadal den Arm. Wie zum Beweis. "Gestern habe ich nur dank einer Injektion gegen die Schmerzen spielen können." Nadal blickt nach links, nach rechts. Er kann nicht mehr. Er ist raus. "Das ist wahrscheinlich eine der härtesten Pressekonferenzen meines Lebens. Ich warte das ganze Jahr auf diese beiden Wochen."

Traurige Schlagzeilen mischen sich am Tag danach am Kiosk unter die vielen bunten Tennismagazine, auf den Titelbildern der Hälfte von ihnen grinst noch immer Rafael Nadal. "Gasquet passe, Nadal casse" titelt nun die L'Équipe. "Gasquet weiter, Nadal zerbrochen". In den Zeitungen werden Bilder gedruckt, sie zeigen den Spanier bei Trainingssessions drei Tage vor Turnierstart; sie zeigen, wie er das Gesicht vor Schmerzen verzieht, während ihn sein Physio Rafael Maymo am linken Handgelenk berührt. Auch dies irgendwie: als Beweis. Denn auf dem Platz hatte man dann so gut wie nichts davon gesehen, nicht einmal erahnen können: Nur neun Spiele hatte Nadal verloren in seinen ersten zwei Matches in Paris, er war geschwebt durch die ersten zwei Runden.

Nadal sagt, die Schmerzen habe er schon beim Vorbereitungsturnier in Madrid gespürt, daraufhin habe er in Rom entzündungshemmende Spritzen bekommen. Das alles helfe nun nicht mehr, wenn er weiter spiele, riskiere er einen Riss seiner Sehne. Womöglich verpasst er auch Wimbledon. "Ich werde nicht spielen, wenn ich nicht komplett gesund bin." Die beiden wichtigsten Wochen des Jahres sind ja ohnehin verloren.

Erstmals seit 2005 feiert Nadal seinen Geburtstag nicht in Paris

Immer wieder hat Nadal Verletzungsprobleme gehabt in seiner Karriere, fast immer aber am Knie. Vor zwei Jahren zog er sich bei den US Open ausnahmsweise zurück wegen Schmerzen am Handgelenk - allerdings war es damals das rechte Gelenk, das ihn als Linkshänder beim Ausführen seiner beidhändigen Rückhand störte. Nach dem englischen Teil seiner Erklärung war nicht ganz klar, an welcher Sehne genau sich Nadal verletzt hatte. Erst sein Arzt Ángel Ruíz-Cotorro sagte der spanischen Zeitung El Españo, Nadals "Musculus extensor carpi ulnaris" sei beeinträchtigt, der "ellenseitige Handstrecker". Eine medizinische Blitzrecherche verrät, dass es sich dabei um Probleme handelt, die auftreten, "wenn wiederholt Arm-, Ellbogen- und Handgelenksbewegungen durchgeführt werden, besonders wenn ein Gegenstand fest ergriffen wird". Klassische Tennisspielerverletzung also.

Wenn Rafael Nadal zurückzieht, dann reißt das eine Wunde, dann klafft eine Lücke im Turnier, die niemand schließen kann. Zwei außerplanmäßige Pressekonferenzen hat Turnierdirektor Guy Forget einberufen müssen in dieser Woche. Eine, um sich für das schlechte Wetter zu entschuldigen, für das er nichts konnte (und für das garantiert noch bis zum Jahr 2020 fehlende Dach auf dem Court Philipp Chatrier, dessen Bau schon irgendwer verpennt haben muss). Die andere Pressekonferenz gab er wegen Nadal, der erstmals seit 2005 seinen Geburtstag am 3. Juni nicht als Turnierteilnehmer der French Open erleben wird. "Well", sagte Forget, "you know: Wenn du 30 bist, oder fast 30, dann erholst du dich von Verletzungen nicht mehr so schnell wie mit 22." Ein weiteres Beispiel sei der 34-jährige Roger Federer, der wegen Knie- und Rückenproblemen gar nicht erst angetreten ist bei den French Open in diesem Jahr. Allmählich leert sich die Bühne im Tennis. Zwei der großen Vier, Nadal und Federer, waren gemeldet für das Grand-Slam-Turnier. Beide zogen zurück.

Ob Forget wisse, wann Nadal seine Entscheidung getroffen habe? "Eben erst", sagte der Franzose. "Vor 30 Minuten."

© SZ vom 29.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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