Radsport:Zukunft im Osten

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Tony Martin, hier beim Zeitfahren in Rio, stand zuletzt fünf Jahre bei Etixx unter Vertrag. Von 2017 an fährt er für die russische Katjuscha-Mannschaft. (Foto: Robert F. Bukaty/AP)

Der Deal kommt zwar nicht gänzlich überraschend, aber nun, da er fix ist, verblüfft er doch: Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin, 31, riskiert mit dem Wechsel zum russischen Skandalteam Katjuscha seinen guten Ruf.

Von Johannes Aumüller, Frankfurt

Einerseits sieht alles wie ein nachvollziehbarer Schritt aus: Da ist ein herausragender Radprofi, in dessen Karriere es derzeit ein wenig klemmt und hakt, und der im Frühjahr seinen 32. Geburtstag feiert. Ein Radprofi also, der für den nächsten, vielleicht letzten bedeutsamen Abschnitt seiner sportlichen Biografie noch einmal etwas verändern möchte - und allzu viele Optionen gibt der Markt für herausragende Radfahrer in einer solchen Situation nicht her. Andererseits: Tony Martin und das Skandalteam Katjuscha?

Zu Wochenbeginn haben die Beteiligten eine zweijährige Zusammenarbeit bis Ende 2018 verkündet. Gänzlich überraschend kam das zwar nicht, schon während der Tour de France war von Sondierungsgesprächen zu hören. Aber nun, da der Deal fix ist, verblüfft er dennoch.

Der bisher für die belgische Etixx-Mannschaft tätige Tony Martin hat sich in den vergangenen Jahren in vielerlei Hinsicht Renommee erworben. Er gehörte federführend zu jenen deutschen Fahrern, die mit sportlichen Erfolgen Aufmerksamkeit erzeugen konnten: drei WM-Titel im Zeitfahren, fünf Etappensiege bei der Tour, im vergangenen Jahr ein Tag im Maillot Jaune - auch wenn er in seiner Paradedisziplin zuletzt etwas schwächelte, unter anderem in Rio. Zudem benannte er wie kaum ein anderer Fahrer Missstände im Peloton, insbesondere in der Doping-Problematik.

Aber diesen Ruf riskiert er nun - denn kaum ein Rennstall ist so schlecht beleumundet wie sein künftiger Arbeitgeber mit dem klassisch russischen Namen. Seit seiner Gründung 2009 galt Katjuscha als zuvorderst politisches und nationales Projekt, eng abgestimmt mit der russischen Staats- und Sportführung. Nebst dieser umstrittenen Prägung ging es stets auch um Dopingfragen: 2012 häuften sich die Manipulationsfälle derart, dass sogar ein Lizenzentzug drohte, erst ein Spruch des obersten Sportgerichtshofes (Cas) verhalf zur Startberechtigung. Die Leitung des Teams obliegt seit einigen Jahren dem russischen Ex-Fahrer Wjatscheslaw Jekimow, früher Teil von Lance Amstrongs umfassend betrügender US-Postal-Equipe.

Auch in den vergangenen zwölf Monaten gab es bei Katjuscha zwei Positivtests - durch den Italiener Luca Paolini (Juli 2015/Kokain) und den Russen Eduard Worganow (Februar 2016/Meldonium). Gemäß Reglement des freiwilligen Rennstall-Zusammenschlusses Mouvement Pour un Cyclisme Crédible (MPCC, zu Deutsch: Bewegung für einen sauberen Radsport), mit dessen Mitgliedschaft sich die teilnehmenden Mannschaften ein Anti-Doping-Etikett verschaffen wollen, hätte dieser zweite Fund zu Jahresbeginn einen Verzicht für das nächste Rennen bedeuten müssen. Doch der erfolgte nicht, stattdessen trat Katjuscha aus der MPCC aus.

Martins Manager Jörg Werner hat sich schon während der Tour-Sondierungen auf die kritischen Nachfragen zur Zusammenarbeit seines Schützlinges mit Katjuscha einstellen können. Er sagt jetzt: "Uns interessiert die Zukunft, nicht die Vergangenheit. Uns haben die Argumente und die Ausrichtung des Teams überzeugt. Wir wissen, wo die Reise hingeht."

In der Tat versucht das Umfeld des Katjuscha-Teams seit geraumer Zeit einen neuen Ansatz zu platzieren. Das Team will weg vom Image einer russisch geprägten Combo, der Einfluss von Oligarch Igor Makarow soll sich reduzieren, die Mannschaft sich stattdessen internationalisieren, bevorzugt mit einem deutschen Unternehmen als Partner. Dazu soll es auch in der Dopingfrage eine andere Haltung geben. Aber nicht nur die Reaktion auf Worganows Positivfall im Februar schürt Zweifel, ob das wirklich wahrscheinlich ist.

Es gab schon einmal eine Phase, in der eine starke deutsche Fraktion bei Katjuscha unter Vertrag stand: 2012 war das, mit Hans-Michael Holczer als Chef. Ein paar Protagonisten im Betreuerstab sind aus dieser Zeit übrig geblieben, allen voran der Sportliche Leiter Thorsten Schmidt. Neben Tony Martin und dem Kölner Talent Nils Politt, 22, könnten sich dem Vernehmen nach weitere deutsche Fahrer dem Rennstall anschließen.

© SZ vom 17.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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