Radsport:Umzug im Herbst

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André Greipel verlässt nach acht erfolgreichen Jahren sein belgisches Team Lotto-Soudal. Das Abschiedsstatement für den 36-Jährigen fällt recht unterkühlt aus.

Von Johannes Knuth, Carcassonne

Vor einer Woche stellte André Greipel ein paar schöne Bilder vom ersten Ruhetag bei dieser 105. Tour de France ins Netz: Greipel bei der Ausfahrt mit Teamkollegen am Lac d'Annecy, Greipel in klatschnasser Hose nach einem Bad im See, Greipel bei einem kleinen Umtrunk mit den Kollegen; er war am Ruhetag 36 Jahre alt geworden. "Rest days are the best days", betextete Greipel sein digitales Fotoalbum, Ruhetage sind die besten Tage.

An diesem Montag legt die Tour einen weiteren, letzten Ruhetag ein, die Fahrer schnaufen noch einmal durch, bevor es in die Pyrenäen und zum Finale nach Paris geht. Greipel gehört der Reisegruppe mittlerweile nicht mehr an, er war am Donnerstag während der Königsetappe nach Alpe d'Huez ausgestiegen - wie seine Sprinter-Artgenossen Rick Zabel, Fernando Gaviria und Dylan Groenewegen. Dafür war es Greipels Team, das nun kurz vor dem letzten Ruhetag eine Botschaft absetzte: "Lotto-Souldal und André Greipel möchten Euch informieren, dass ihre Zusammenarbeit nach acht erfolgreichen Jahren zu Ende geht." Und: Sobald Greipel seine Pläne für die Zukunft vorgestellt habe, könne man mehr sagen.

Leidenszeit: André Greipel musste die Tour vorzeitig beenden. (Foto: Benoit Tessier/Reuters)

Es waren also zwei sparsame Takte, mit denen eine in der Tat lange und erfolgreiche Ära endete. Greipel hatte in Diensten der belgischen Equipe elf Etappen bei der Tour gewonnen, aus dem deutschen Lager haben nur Marcel Kittel (14) und Erik Zabel (zwölf) in Frankreich mehr Tagessiege geschafft. Hinzu kamen sieben Erfolge beim Giro d'Italia, vier bei der Spanien-Rundfahrt. Und nun? Greipels Vertrag war noch für dieses Jahr gültig, wie der von Marcel Sieberg, seinem treuen Gefährten, mit dem er in den vergangenen Wochen bereits den Markt sondiert hatte. Ein, zwei Jahre auf Weltniveau habe er schon noch in sich, hatte Greipel vor der Tour gesagt, da war schon abzusehen, dass er den Herbst seiner Radsport-Karriere nicht mehr bei den Belgiern verbringen würde.

Greipel war im Winter 2010 vom Team Highroad, wo der Brite Mark Cavendish die Sprints beherrschte, zu Lotto gewechselt. 2011 gewann er prompt seine erste Etappe bei der Tour. Seitdem konnte sein Team sich darauf verlassen, dass der gebürtige Rostocker jedes Jahr mindestens einen Sieg anliefern würde, 2015 vereinte er sogar vier Tageserfolge auf sich. Die Serie riss erst im vergangenen Jahr, Greipel sagte damals schon während der Tour: "Alles, was man in der Vergangenheit gewonnen hat, hilft einem in der Zukunft nicht, Etappen zu gewinnen." Hinzu kamen private Belastungen, seine Mutter litt damals an der Nervenkrankheit ALS, im vergangenen November verstarb sie. Greipel stieg bald wieder aufs Rad, er ließ sich auch nicht von einem Schlüsselbeinbruch beirren, den er sich beim Frühjahrsklassiker Mailand - San Remo zugezogen hatte. Radfahren, sagte er der ARD vor der aktuellen Tour, "ist für mich eine gewisse Therapie. Mir hilft es, mit meinen Radfahrkollegen unterwegs zu sein."

Ein Sprinter, um den herum eine Mannschaft ihr Team hochzieht, ist Greipel nicht mehr. Aber er wirft sich mit seinen 36 Jahren noch immer erstaunlich bissig in die Hochgeschwindigkeits-Ankünfte bei bis zu 75 Stundenkilometer, bei dieser Tour verpasste er einen Tagessieg mehrmals nur knapp. Wer sich auf seine Dienste einlässt, beschäftigt einen ruhigen Charakter neben der Strecke, der gewissenhaft seiner Arbeit nachgeht und noch immer für eine Handvoll Siege gut ist. 153 Mal hat Greipel in seiner Karriere triumphiert, sechs Rennen gewann er in diesem Jahr, wenn auch eher kleinere. Lotto hätte ihn für die kommende Saison wohl nur zu geringeren Bezügen beschäftigt; die Belgier sollen zuletzt immer wieder mit dem jungen Caleb Ewan geflirtet haben, den Greipel wohl hätte einlernen sollen. Darauf hatte er offenkundig keine Lust. Am Sonntag verdichteten sich zunächst die Anzeichen, dass der 36-Jährige und Sieberg sich mit der arabischen Auswahl Bahrain-Merida so gut wie handelseinig sind. Dort läuft das Arbeitspapier von Sprinter Sonny Colbrelli aus; die französische Sportzeitung L'Equipe hatte das mögliche Geschäft als Erste vermeldet. Greipel wurde zuletzt auch mit dem französischen Team Fortuneo Samsic in Verbindung gebracht.

Ein Umzug nach Bahrain könnte Greipels sportliche Karriere vielleicht noch einmal vitalisieren, sein Prestige allerdings nicht unbedingt. Teamgründer Prinz Nasser wurden in der Vergangenheit schwere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (die er bestreitet und als politisch motiviert bezeichnet). Das Engagement Nassers im Radsport diene dazu, sein Ansehen reinzuwaschen, haben Menschenrechtsorganisationen immer wieder kritisiert.

© SZ vom 23.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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