Radsport:Streit in der Familie

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Zieleinfahrt der siebten Etappe der Tour de France (Foto: AP)
  • Die Aso ist als Veranstalter der Tour de France einer der mächtigsten Akteure im Radsport.
  • Wegen eines heftigen Kampfes mit dem Weltverband droht sie mit dem Rückzug aus der Rennserie.
  • Für den Weltverband hätte das verheerende Folgen.

Von Johannes Aumüller, La Pierre-Saint-Martin/Tarbes

Das Gedränge ist wieder groß im "Village Depart", wo sich der Tross der Tour de France allmorgendlich versammelt, ehe er sich auf den Weg ins nächste Etappenziel macht. Hier breitet die Frankreich-Rundfahrt umfangreich ihren Mythos und ihre Geschichte aus, hier begrüßen sich die altgedienten Radsport-Recken, um sich die besten Schoten von damals zu erzählen, und dann trotten sie ein paar Meter rüber zu der langen Reihe an Mannschaftsbussen, wo sich die neuen Recken auf die Etappe vorbereiten.

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Es sieht dann immer ein bisschen so aus, als treffe sich die Familie noch einmal zum gemeinsamen Frühstück, um sich gegenseitig einen schönen Tag zu wünschen, ehe sie sich zum Abendbrot wiedersieht.

Aber der Eindruck täuscht. So familiär geht es in der Radsportszene gerade gar nicht zu, im Gegenteil. Es ist ein heftiger Kampf ausgebrochen, es geht vor allem um die Reform des Rennkalenders, und es gibt dabei diverse Interessensgruppen: die Macher der Tour de France von der Amaury Sport Organisation (Aso), die Veranstalter anderer Rennen sowie den Rad-Weltverband UCI. Als bisheriger Höhepunkt dieses Konfliktes steht seit kurz vor dem Tour-Beginn die Drohung im Raum, dass sich die Aso ab 2016 aus der sogenannten World Tour zurückzieht.

Für die UCI und den Status ihrer Rennserie wäre das verheerend. Denn die Aso ist in der Sportszene längst viel mehr als der Veranstalter der Tour de France. Sie richtet auch noch reihenweise andere wichtige Rennen aus, beispielsweise die Spanien-Rundfahrt, den Kopfsteinklassiker Paris - Roubaix oder diverse Mehretappenrennen wie Paris - Nizza oder das Critérium du Dauphiné. Auch wenn es darum geht, neue Märkte zu besetzen, ist sie mit dabei: So gehört etwa die Oman-Rundfahrt zu ihrem Portfolio. Der Gesamtumsatz der Aso, zu deren Mutterkonzern auch die Zeitungen L'Équipe und Le Parisien zählen, soll zirka 150 Millionen Euro betragen.

Wie groß der Einfluss der Gruppe auch auf kleinere Veranstaltungen ist, mussten in diesem Jahr etwa die Organisatoren des traditionsreichen Frankfurter Rennens am 1. Mai erfahren, als sie große Mühe hatten, Mannschaften aus der ersten Liga für einen Start zu gewinnen. Ein Grund: Zeitgleich feierte die Tour of Yorkshire Premiere, die auch die Aso ausrichtet. "Wenn du die Einladung für die Tour de France bekommst, wird man darauf hingewiesen, dass es gerne gesehen wird, auch die anderen Aso-Rennen zu fahren", sagte damals Jens Zemke, Sportlicher Leiter der südafrikanischen MTN-Qhubeka-Mannschaft.

Brian Cookson, der Präsident des Weltverbandes, ist daher darauf aus, die Gemüter zu beschwichtigen. Natürlich gebe es unterschiedliche Ansichten, teilte er jüngst in einem Interview mit, schließlich sei die Aso ein Privatunternehmen und ihr Ziel entsprechend: Profit. "Wir werden deshalb aber keinen Krieg mit der Aso oder einen Konflikt anzetteln", sagte er.

Doch so einfach ist die Sache nicht, denn in der Auseinandersetzung um die Kalenderreform ist die Lage verfahren. Im Kern sind sich viele in der Branche einig, dass es dringend Änderungen bedarf. Seit ein paar Jahren gibt es die World Tour (vormals Pro Tour), welche die wichtigsten Rennen des Jahres beinhaltet, aktuell insgesamt 28.

Die besten 17 Profimannschaften sind für diese Rennen automatisch startberechtigt. Doch die Saison beginnt schon Ende Januar mit einer Tour in Australien, und sie zieht sich hin bis Anfang Oktober, wenn die Lombardei-Rundfahrt ansteht. Es gibt nach Auffassung der meisten zu viele Renntage, manchmal sind sogar zwei oder drei Wettkämpfe gleichzeitig, da nimmt sich die Radsportszene gegenseitig die Aufmerksamkeit.

Cookson will, dass die Top-Fahrer öfter direkt aufeinandertreffen. Also setzte er eine Arbeitsgruppe ein, die einen Vorschlag ausarbeiten sollte. Doch die Kommission war, vorsichtig formuliert, durchaus Aso-freundlich besetzt - und so kam am Ende ein Vorschlag heraus, der zwar den Tour-Organisatoren passte, aber vielen anderen Rennveranstaltern nicht. So hätten die Ideen kaum negative Konsequenzen für Aso-Rennen gehabt, andere Veranstaltungen hingegen hätten mit Kürzungen zu rechnen gehabt.

In der Debatte war zeitweise sogar, den Giro d'Italia als zweitwichtigste der großen jährlichen Rundfahrten von drei auf zwei Wochen zu reduzieren. Entsprechend gab es heftigen Widerstand von anderen Rennveranstaltern und liegt die komplette Reform seit einiger Zeit auf Eis - was wiederum die Aso so erzürnt, dass sie mit dem Rückzug droht.

Die Tour-Organisatoren haben im Übrigen durchaus Erfahrung damit, in Opposition zum Weltverband zu gehen. Vor einigen Jahren wollten sie sich mit einer strikten Haltung im Anti-Doping-Kampf positionieren - und ließen 2008 die schon damals skandalumtoste Astana-Mannschaft nicht zur Frankreich-Rundfahrt zu.

Die UCI, damals noch geführt vom affärengeplagten Iren Pat McQuaid, war erbost. Ihre Konsequenzen: eine Sperre und eine Geldstrafe für den französischen Nationalverband sowie, welch Ironie, ein Ausschluss der Tour de France aus der Pro Tour.

© SZ vom 15.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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