Radsport:Sieger im vorerst letzten Rennen

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"Die letzten Kilometer waren ein Gang durch die Hölle": Maximilian Schachmann, 26, nach der letzten Etappe von Paris - Nizza. (Foto: Alain Jocard/AFP)

Maximilian Schachmann gelingt bei der Fernfahrt Paris-Nizza sein bislang größter Erfolg.

Von Johannes Knuth, La Colmiane/München

So könnte die Hölle also auch aussehen: dichte, grüne Wälder; Häuser mit dunkelbraunen Holzgiebeln und Steinfassade; die Bergseen der Gemeinde Valdeblore. Feinstes Samstagsausflugs-Terrain. Nur hatte der Radprofi Maximilian Schachmann am vergangenen Samstag keine Zeit für derartige Unterfangen. Er durfte im rasenden Tempo einen 16 Kilometer langen Anstieg durch das pittoreske Gebirge im Südosten Frankreichs hinaufstiefeln; nebenbei versuchte er, seinen schmalen Vorsprung in der Gesamtwertung zu verteidigen. Und rund einen Kilometer vor dem Ziel büxte auch noch Tiesj Benoot vom deutschen Team Sunweb aus der kleinen Gruppe der Favoriten aus; jener Belgier, der im Klassement nur 36 Sekunden hinter Schachmann lauerte.

"Ganz ehrlich", sagte Schachmann später, mit seiner tadellosen Berliner Schnauze: "Die letzten Kilometer waren ein Gang durch die Hölle." Das war allerdings verschmerzbar.

Es war ja auch ein Gang, an dessen Ende sich der 26-Jährige für eine Weile im Radsport-Himmel wähnte. Schachmann hatte auf dem letzten Tagesabschnitt von Paris - Nizza tatsächlich seine Gesamtführung verteidigt, als erster Deutscher seit Tony Martin, der das wohl prestigeträchtigste Etappenrennen des Frühjahrs vor neun Jahren gewonnen hatte. Benoot hatte seine Flucht zwar als Zweiter beendet, hinter Tagessieger Nairo Quintana - doch am Ende fehlten ihm 18 Sekunden, um dem jungen Deutschen dessen ersten Triumph bei einer Landesrundfahrt zu verwehren. Das Duell hatte beide in schwere Schmerzen getrieben; der Belgier lehnte im Ziel in La Colmiane schwer schnaufend an einem Gitter, das die Fans zurückhalten sollte, die seit Tagen aber ohnehin aus dem Zielbereich verbannt waren wegen der Corona-Gefahr. Schachmann plumpste derweil ermattet auf den Asphalt, und als er wieder reden konnte, kam er schnell zur Sache: Der Gesamtsieg sei "der bislang größte Sieg" seiner professionellen Laufbahn, die ja auch erst seit vier Jahren währt. Die Freude darüber verhüllte auch erst mal die Zweifel, wie es mit dem Radsport während der Pandemie weitergeht - oder halt auch nicht: Die achttägige Rundfahrt hatte einen Tag früher geendet als geplant, fast alle weiteren Frühjahrsklassiker waren zuletzt abgesagt worden.

Schachmann wärmte sich fürs Erste lieber an seiner Freude, dass er so eindrucksvoll wie noch nie seine Befähigung als Klassementfahrer nachgewiesen hatte. Daran hatten in der Vergangenheit nicht wenige gezweifelt, wie er im Siegerinterview im Ziel noch mal genüsslich ausführte. Seine Vita ist ja nicht gerade die eines klassischen Angestellten im Peloton: Er wuchs in Berlin auf, fernab jeglicher Bergmassive, studierte nach dem Abitur erst mal Ingenieurwesen und Maschinenbau. "Vielleicht gibt mir das auch eine gewisse Leichtigkeit im Sport", hatte er vor einem Jahr im Interview gesagt, "weil ich noch immer wüsste, etwas anderes mit mir anzufangen."

Schachmann machte sich jedenfalls bald einen Namen im Radsport, zunächst in der Quickstep-Equipe des (früher nicht gerade bestens beleumundeten) Patrick Lefevere, in der er sowohl seine Fertigkeiten als Zeitfahrer als auch im Gebirge festigte. Im Vorjahr wechselte er zur ehrgeizigen Auswahl von Bora-hansgrohe, die sich in ihrem vierten Jahr auf der World Tour mittlerweile als einer der Branchenführer etabliert hat. Schachmann wurde im Vorjahr deutscher Straßenrad-Meister, bei seiner ersten Tour de France stoppte ihn ein Mittelhandbruch. "Ich bin sehr, sehr, froh, in einer erfolgreichen Mannschaft zu fahren", sagte er im vergangenen Winter bei der Teampräsentation; den starken internen Wettstreit empfinde er als leistungsfördernd. Bei Paris - Nizza gewann er nun die erste Etappe im Sprint einer Ausreißergruppe, er festigte seine Führung im Einzelzeitfahren, überstand einen Sturz am vorletzten Tag und dank seiner Helfer alle weiteren Attacken. Noch ist Schachmann weit davon entfernt, bei dreiwöchigen Landesrundfahrten zu den Klassementfavoriten zu zählen, wenn es nicht nur einmal durch die Berghölle geht, sondern immer wieder, Tag für Tag. Aber schaden kann das ja nicht: Wenn man auf einer beschwerlichen Wanderung ab und zu feststellt, dass man auf dem richtigen Pfad ist.

Wann Schachmann und seine oberbayerische Equipe an ihre Erfolge anknüpfen können, ist derzeit allerdings völlig unklar. Der Giro d'Italia wurde wegen der Corona-Pandemie verschoben, der Frühjahrsklassiker Mailand - Sanremo abgesagt. Weitere Monumente wie Paris - Roubaix dürften folgen. Schachmann gab in den vergangenen Tagen zu, dass er auch nicht viel davon hielt, wie die Ausrichter Paris - Nizza durchgepeitscht hatten: Sieben Teams waren gar nicht erst angetreten, viele Zuschauer waren zwar nicht ins Ziel, dafür an die Strecke gekommen. Aber auch da verschleierten die Verantwortlichen erst gar nicht ihre Motive: Der Radsport, sagte Bora-Teamchef Ralph Denk der ARD, hänge "zu 90, 95 Prozent von Sponsoreneinnahmen ab". Und die bezahlen dafür, dass ihre Wappen bei den Rennen sichtbar sind.

Denks Auswahl steht dabei auf soliden Beinen, aber für manche der chronisch klammen Teams könnte eine längere Rennpause noch problematisch werden. Die größte Herausforderung für die Fahrer, sagte Schachmanns Manager Jörg Werner, "ist jetzt der Kopf" - das ausgiebige Training ohne die Kollegen, die Ungewissheit, wann und wie es weitergeht. Die Frankreich-Rundfahrt, deren Austragung im Juli wohl auch bald in den Fokus geraten dürfte, wollte Schachmann ohnehin nicht bestreiten; er wollte sich auf das schwere olympische Straßenrennen konzentrieren. Sofern die Spiele denn stattfinden.

Kann sein, dass Schachmann fürs Erste viel prominenter in Erinnerung bleibt, als ihm lieb ist: als Sieger eines Radrennens, das für eine ganze Weile das letzte gewesen sein könnte.

© SZ vom 16.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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