Kurz vor dem Start der Tour de France nahm die seltsame Liaison ihren Lauf. Eduard R. Dörrenberg führte in diesem Sommer viele Gespräche mit Vertretern der Radsport-Szene, aber eines hinterließ beim Geschäftsführer des Bielefelder Shampoo-Herstellers Alpecin bleibenden Eindruck. Das war jenes Treffen, bei dem Abgesandte des schlecht beleumundeten Katjuscha-Rennstalls mit einer Präsentation um seine Unterstützung warben. Später kam er auch mit dem langjährigen Teamfinanzier und Gas-Milliardär Igor Makarow zusammen, und irgendwann war der Deal perfekt. Von 2017 an firmiert Alpecin als Co-Sponsor von Katjuscha, wie das Unternehmen nach wochenlangen Gerüchten am Dienstag bestätigte.
Die Radsport-Szene verfolgt gerade gespannt eine schöne Erzählung. Sie lautet: Wie sich ein Rennstall mit Schmuddelimage plötzlich verwandeln will. Diesen Erzählungsansatz hat es so in der Vergangenheit schon öfter gegeben, und es sind nicht wirklich viele Fälle bekannt, in denen das gelang. Nun ist es also an Katjuscha, bislang bekannt für seine vielen Dopingskandale und seinen Status als nationales russisches Projekt mit enger Kreml-Anbindung. Künftig aber will es nicht mehr russisch, sondern international ausgerichtet sein. Sitz und Lizenz werden in die Schweiz verlagert. Das Team umfasst Fahrer aus 13 Nationen, unter anderem den neu verpflichteten deutschen Zeitfahr-Experten Tony Martin, der am Mittwoch in Katar seinen vierten WM-Titel in seiner Spezialdisziplin gewinnen will. Und als vorläufige Krönung gibt es nun einen westlichen Namenspartner, der im Radsport einen bemerkenswerten Weg hinter sich hat.
Der neue Partner habe aus der Vergangenheit "mehr gelernt als andere", glaubt der Geldgeber
2012 verpflichtete Alpecin trotz des Spruchs "Doping für die Haare" ausgerechnet Jan Ullrich als Werbefigur, 2015 stieg es als Partner beim deutschen Team Giant ein, und nun machte offenkundig Katjuscha ein gutes Angebot. "Wir wissen, dass das viele kritisch sehen, aber wir sind auch vor zwei Jahren kritisch beäugt worden", sagt Geschäftsführer Dörrenberg. Der neue Partner habe aus der Vergangenheit "mehr gelernt als andere".
Doch es ist zweifelhaft, ob sich die Vergangenheit einfach so abstreifen lässt. Und das nicht nur, weil der erste Namensbestandteil der Mannschaft weiterhin Katjuscha lauten wird, ein russisches Wort, mit dem sich wahlweise eine berühmte Volksweise, ein Weltkriegs-Panzer oder die Koseform des Mädchennamens Katharina assoziieren lässt. Jetzt geht die Argumentation so, dass Katjuscha nicht für Russland stünde, sondern für eine "Bekleidungsmarke". Nahe liegt die Vermutung, dass sich so ein Mehrfachkurs fahren lässt: In Russland kann Katjuscha sich weiter als russisches Team darstellen, im Rest der Welt als internationales Team.
Noch stärker begründet die Skepsis am Neustart die langjährige Doping-Kultur des Teams. In früheren Jahren waren die Fälle so zahlreich, dass 2012 gar der Lizenzentzug durch den in diesen Fragen traditionell wenig erschreckbaren Rad-Weltverband UCI drohte. Erst ein Verdikt des Internationalen Sportgerichtshofes Cas sicherte den Fortbestand. Dopingfälle gab es gleichwohl weitere, zuletzt durch Luca Paolini (Italien/Kokain) während der Tour de France 2015 und Eduard Worganow (Russland/Meldonium) zu Jahresbeginn.
Auch dass als Generalmanager ausgerechnet Wjatscheslaw Jekimow das Team lenkte, erweckte viel Argwohn. Der Russe war über viele Jahre Domestike von Lance Armstrong in dessen systematisch betrügendem US-Postal-Team. Jetzt wechselt Jekimow freiwillig in die Marketing-Abteilung, wie er mitteilt. Das große Umdenken ist daraus nicht zwangsläufig abzuleiten. Jekimows Nachfolge übernimmt der Portugiese José Azevedo. Dessen Karrierestationen als Aktiver: zunächst Once unter dem berüchtigten Manolo Saiz, später Armstrongs US-Postal-Equipe.
Daneben gibt es weitere fragwürdige Personalien, etwa Geert Duffeleer. Der war bei US-Postal Assistent von Teamchef Johan Bruyneel und tauchte auch in den Ermittlungen der amerikanischen Anti-Doping-Agentur (Usada) zum Teambetrug auf. Ex-Radsportler und Doping-Kronzeuge Floyd Landis berichtete, wie der Belgier vor einer Infusion das Blut ins Hotel brachte. Seit geraumer Zeit ist Duffeleer bei Katjuscha der COO, also der Logistikchef - natürlich nicht mehr für Blutbeutel, sondern nur noch für Rennräder und anderes Equipment. "Er ist einer der Besten für diesen Job", erklärt ein Teamsprecher, warum Duffeleer trotz seiner Vorgeschichte Teil des Teams sei: "Es stimmt, dass er im Usada-Report erwähnt wird, aber er war nie Angeklagter oder Verurteilter."
Alpecin-Geschäftsführer Dörrenberg sagt, es sei nicht Sache des Sponsoren, die Mannschaftsleitung aufzustellen, aber das Team habe "die beste Garantie abgegeben, dass es nicht zu irgendwelchen Dopingfällen kommt".