Radsport:Mysteriöses Paket aus Manchester

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Der Mailand-Sanremo-Sieg von Michal Kwiatkowski passt zu den Merkwürdigkeiten um das britische Team Sky.

Von Johannes Aumüller, Sanremo/Frankfurt

Nach anfänglichem Zorn schwenkte der Geschlagene recht schnell auf einen Trostpreis um. Ein paar Bier fordere er vom Sieger schon, sagte der Slowake Peter Sagan, der Weltmeister in Diensten des deutschen Bora-Teams, nach diesem sehenswerten Finale von Mailand - Sanremo. Er hatte ja kurz vor dem Ziel der Classicisima am Poggio die Attacke lanciert, die das Feld aufsplittete, und bis zum finalen Showdown einer Dreiergruppe nahezu durchgehend die Führung übernommen. Doch der Krafteinsatz dafür war wohl zu groß, und so hielt er in einem sehr knappen Sprint zwar Julian Alaphilippe (Frankreich/Quickstep) auf Distanz, aber nicht Michal Kwiatkowski (Polen/Sky). "Das halbe Feld denkt, Peter ist von einem anderen Stern und unschlagbar. Ich kenne ihn aus Juniorenzeiten und habe auf der Zielgerade ein bisschen mit ihm gespielt", sagte der Sieger.

Es war, nach dem Triumph des Kolumbianers Sergio Henao bei Paris - Nizza, bereits der zweite wichtige Erfolg fürs britische Sky-Team binnen weniger Tage. Und er dürfte den Verantwortlichen gerade recht gekommen sein. Denn er verschaffte ihnen wenigstens etwas Ablenkung von der Debatte um all die vielen Merkwürdigkeiten, denen die britische Anti-Doping-Organisation (Ukad) und ein Ausschuss des Parlaments gerade nachgehen.

Sky ist die dominierende und finanzkräftigste Rad-Mannschaft der vergangenen Jahre. Ihr Manager Dave Brailsford und seine Entourage begründeten den Vorsprung immer mit ihrem ungewöhnlichen wissenschaftlichen und allumfassenden Ansatz. Weichere Matratzen, ausgewogenere Ernährung, strenges Fahren nach Watt-Vorgaben - aus allem ziehen sie noch ein bisschen Vorsprung raus. Aber natürlich: kein Doping und totale Transparenz, großes Ehrenwort.

Wer die vergangenen Jahre aufmerksam verfolgte, konnte sich darüber nur wundern. So stellte sich etwa heraus, dass Sky mit dem umstrittenen niederländischen Mediziner Geert Leinders zusammenarbeitete, erst nach intensiver Berichterstattung erfolgte die Trennung. Bei der Tour de France vor zwei Jahren fuhr Christopher Froome der Konkurrenz im ersten Bergfinale so davon, dass Experten die Veröffentlichung der Leistungswerte forderten. Doch das Material, das Sky dann herausgab, konnte bei der Beurteilung auch nicht weiterhelfen. Und danach gab es Aufregung um das Blutprofil des Kolumbianers Henao: Das schlug aus, Sky gab eine interne Studie in Auftrag, und als die Studie fertig war, durfte Henao wieder starten - aber was genau darin stand und wie die Daten den Dopingverdacht reduzieren sollten, teilte auf Anfrage niemand mit.

Auch in den vergangenen Monaten haben sich in geballter Form weitere Fragwürdigkeiten ergeben, weswegen auch die Ukad der Sache nachgeht. Zunächst ging es um Bradley Wiggins, den Mann, der mit seinem Tour-Sieg 2012 Sky den ersten großen Erfolg brachte. Wiggins ist inzwischen zum "Sir" erkoren und vom Straßenradsport zurückgetreten. Im Herbst kam dann durch die Hackergruppe "Fancy Bears" heraus, dass er während seiner Karriere gleich drei Mal medizinische Ausnahmegenehmigungen für Triamcinolon erhielt, das leistungssteigernd wirken kann. Es sollte, so die heutige Begründung, gegen Heuschnupfen helfen. Zufälligerweise war das jedes Mal vor einer großen Rundfahrt - und vor dem Hacker-Report unbekannt gewesen.

Danach förderten Recherchen der Daily Mail eine mysteriöses Paketlieferung für Wiggins zutage, und das bringt die Equipe richtig in die Bredouille. Es ging um eine Sendung, die ein Trainer 2011 mit viel Aufwand aus Manchester nach Südfrankreich transportierte. Teammanager Brailsford verstrickte sich bezüglich der Lieferung in diverse Widersprüche, schließlich erklärte er, da sei lediglich ein Hustenlöser drin gewesen. Und zwar einer, den es in der Form auch nicht in jeder Apotheke um die Ecke gegeben hätte, wie er später anmerkte. Nachweise über den Inhalt der Paketlieferung existieren nicht. Angeblich hätten sich diese auf einem Laptop von Mannschaftsarzt Richard Freeman befunden, aber das Gerät sei leider in Griechenland gestohlen worden. Die Ukad entdeckte während ihrer Untersuchungen noch zahlreiche Merkwürdigkeiten. So führte deren Chefin Nicole Sapstead aus, der Teamarzt habe das Mittel Triamcinolon in so großen Mengen geordert, dass entweder Wiggins zu hohe Dosen bekam oder auch Teamkollegen das Mittel erhielten. Zudem bemängelte sie, dass Dokumentationen von Dopingproben von Wiggins "nicht existieren oder nur stückhaft". Und britische Medien berichteten, dass Freeman gemäß Ukad-Ermittlungen 2011 ein Paket mit Testosteronpflastern erhalten habe, wobei es sich nach dessen Angaben um einen administrativen Fehler gehandelt habe.

Das Team Sky weist weiterhin alle Doping-Vorwürfe zurück und predigt unablässig, es sei "absolut sauber". Die Untersucher aber sind mächtig erzürnt. Die Ukad-Chefin Sapstead erklärte, sie habe sowohl im Team wie auch im Verband bei ihren Nachforschungen Widerstand erlebt. Team Sky ist im Fokus, und das wird sich verstärken, wenn im Sommer sein Kapitän Christopher Froome seinen vierten Sieg bei der Frankreich-Rundfahrt ansteuern will.

© SZ vom 20.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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