Radsport:Im 37. Frühling

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"Der beste Valverde, den es jemals gab": Der spanische Radprofi hat in diesem Frühjahr viel zu feiern, wie hier bei Lüttich-Bastogne-Lüttich. (Foto: Geert Vanden Wijngaert/AP)

Der Spanier Alejandro Valverde erlebt im fortgeschrittenen Alter noch einmal eine bemerkenswerte Blüte.

Von Johannes Knuth

Im Grunde, sagte der Radprofi Alejandro Valverde nach dem vergangenen Wochenende, könne er sich jetzt in den Urlaub verabschieden und die Geschäfte für den Rest der Saison ruhen lassen. Was solle da denn noch kommen, nach den vergangenen Monaten, in denen er in ungebrochenem Tempo durch die Frühjahrsklassiker gezogen war? Kleiner Scherz. Valverde wird seinen Jahresurlaub noch aufschieben. Er wird ein bisschen rasten, Anfang Juni wird er sich beim Critérium du Dauphiné auf den Höhepunkt des Sommers einstimmen, die Tour de France im Juli. Er hat nichts mehr zu verlieren, so sieht Valverde das in diesen Tagen. Im Gegenteil: Er hat noch eine Menge zu gewinnen.

Es gab schlechtere Frühjahre als jenes, das Alejandro Valverde aus Murcia, Spanien gerade hinter sich gebracht hat. Er blickt auf zehn Wochen zurück, in die er elf Siege packte, "elf Siege", sagte Valverde, "und ich weiß nicht, welcher mir besser gefallen hat". Zur Auswahl stehen: Gesamtsiege bei den Rundfahrten durch Andalusien, Katalonien und das Baskenland, am vergangenen Mittwoch der Erfolg beim Flèche Wallonne. Vier Tage später, am vergangenen Sonntag, entschied Valverde zum vierten Mal die wohl härteste Prüfung durch die Ardennen für sich, Lüttich-Bastogne-Lüttich. Über mehr Siege (fünf) verfügt nur ein gewisser Eddy Merckx. Das Preisgeld vermachte er der Witwe des italienischen Radprofis Michele Scarponi, der am Tag zuvor bei einer Trainingsfahrt tödlich verunglückt war. Valverde, seit diesem Dienstag 37 Jahre alt, erlebt gerade seinen ungefähr 37. Frühling.

Infolge der Fuentes-Affäre hat man ihn zwei Jahre gesperrt

Valverde ist angetan, wie viele Beobachter. "Er mag vor 15 Jahren debütiert haben", dichtete El Mundo nach Valverdes jüngstem Sieg in Lüttich, "aber wenn er mit seinen 37 Jahren auf dem Rad tanzt, tut er das mit Leichtigkeit, Freude und Ehrgeiz eines Kindes." Wie Valverde am Sonntag auf den letzten Metern die Favoriten abschüttelte, wie er den geflüchteten Iren Dan Martin passierte, das hatte tatsächlich etwas Kindliches - allerdings eher bei Valverdes Mitbewerbern, die neben dem Spanier so wehrhaft wirkten wie eine Ansammlung an Nachwuchsfahrern. Martin, dem Valverde bereits beim Flèche Wallonne entwischt war, wünschte seinem Widersacher anschließend ein baldiges Karriereende, halb scherzhaft, halb entnervt. Etwas wohltemperierter formulierte es Eusebio Unzue, Valverdes Chef beim Team Movistar. Das Frühjahr verleihe dem Lebenslauf seines Fahrers und dessen Platz in der Radsport-Geschichte "eine besondere Dimension", befand Unzue nach dem vergangenen Wochenende, und überhaupt: Diesen Valverde, den man gerade erlebe, sei der "beste Valverde, den es jemals gab".

Ob das etwas Gutes bedeutet für den Radsport, der gerne eine neue Epoche beschwört, ist halt eine andere Frage. Viele Darsteller aus den verseuchten Neunziger- und Nullerjahren sind noch immer rund ums Peloton beschäftigt, als Teamchefs oder Betreuer. Auch ein paar Fahrer sind noch aktiv. Und Valverde ist, neben seinem Landsmann Alberto Contador, deren wohl bekanntester Repräsentant. Das Nationale Olympische Komitee Italiens (Coni) hatte ihm 2009 einen der vielen Blutbeutel zugeordnet, die im Kühlschrank des spanischen Dopingdruiden Eufemiano Fuentes lagerten. "Valv. Piti" stand auf einem der Konserven, offenbar benannt nach Valverdes Hund. Der Spanier wurde letztlich für zwei Jahre gesperrt in der Affäre, die auch einstige Tour-Asse wie Jan Ullrich und den Italiener Ivan Basso erfasste.

Er ist der Fahrer, der bei der Tour zu schlagen sei, sagen die Rivalen

Seit seiner Rückkehr 2012 knüpft Valverde fleißig Erfolg an Erfolg, drei Bronzemedaillen bei Weltmeisterschaften, zweite und dritte Plätze bei der Vuelta, 2015 zum ersten Mal ein Podium bei der Tour, Platz drei. Seine Sicht der Dinge, trotz wasserdicht belegtem Sportbetrugs? "Ich bin unschuldig", beteuert er, es habe ja nie eine positive Dopingprobe gegeben. Was angesichts eines DNS-Abgleichs und Belegen in den Fuentes-Akten vielleicht auch gar nicht mehr nötig ist, aber gut. Seine jüngsten Taten, sagen sie in seinem Team, könne Valverde jedenfalls vollbringen, weil er eine jugendliche Begeisterung mit der Ernsthaftigkeit eines Vollprofis mische, gewürzt mit der Reife und Erfahrung aus 15 Dienstjahren. Und jetzt?

Die Kollegen nehmen Valverdes Form mit großem Respekt zur Kenntnis. Stand jetzt sei der Spanier der Fahrer, den es bei der Tour im Juli zu schlagen gelte, befand Titelverteidiger Christopher Froome jüngst; er sehe jedenfalls keinen Grund, warum Valverde diese Form nicht konservieren könne. Bei Movistar betonen sie freilich, dass sie an ihrem Drehbuch für den Juli festhalten wollen: Stand jetzt bleibe Kolumbiens Kletterer Nairo Quintana ihr Kapitän und Valverde der Zuarbeiter. Vielleicht verschieben sich die Kräfte aber ja noch Anfang Juni, je nachdem, wie Quintana den Giro d'Italia verkraftet, der Anfang Mai anbricht. Valverde selbst moderierte derartige Fragen zuletzt trocken weg, ihm bleiben auch so noch einige Projekte in diesem (Spät-)Sommer: die Vuelta, die bislang einzige große Rundfahrt, die er gewann (2009), oder die Weltmeisterschaft, wo er bislang zwar sechs Medaillen erwarb, aber noch nie eine goldene.

Und selbst wenn es in diesem Jahr wieder nichts wird: Valverdes Arbeitspapier ist bis Ende 2019 gültig. Er wäre dann 39.

© SZ vom 27.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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