Radsport:Nur noch bergab

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Sven Krauß war Rad-Profi. Er fuhr die größten Rennen, zweimal die Tour de France. Heute ist er 27 Jahre alt und Amateur. Sein Werdegang gleicht dem des deutschen Radsports. Eine Analyse.

David Binnig

Er weiß, was Schmerzen sind. Sie gehören zu seinem Alltag. Früher wurde er dafür bezahlt, sich zu quälen. Heute macht er es nur, weil er es will - und weil er nicht weiß, was er sonst anfangen soll. Früher fuhr er die Tour de France und den Giro d'Italia. Heute fährt er Rennen in Dudenhofen oder in Rumänien. Sven Krauß ist 27 Jahre alt und will zurück in seinen Beruf, zurück in das Leben, das er einmal hatte: Er will Rad fahren. Und er will davon leben können.

Schinderei in den Alpen: Sven Krauß während der Tour de France 2008. (Foto: imago sportfotodienst)

An seinem linken Arm trägt Sven Krauß einen dicken Gips. Sein Ellenbogen ist zertrümmert. Vor zwei Wochen, 300 Kilometer nördlich von Bukarest, ist er bei der Tour of Szeklerland gestürzt, und erlitt einen offenen Bruch. Krauß ist ein großgewachsener Mann, er war oft im Fernsehen früher, stundenlang konnte man ihm zusehen, wie er bei Radrennen in Fluchtgruppen rackerte und versuchte, dem Feld zu entkommen. Oder wie er an der Spitze des Feldes rackerte, um eine Fluchtgruppe einzuholen. Doch es gibt nicht viele Menschen, die ihn auf der Straße erkennen. Krauß war kein Star, er war einer der vielen Helfer, die fast nie auf eigene Rechnung fahren. Er war ein Arbeiter in diesem Sport, in dem es vor allem um harte Arbeit geht.

Böser als Investmentbanker

Und natürlich um Spritzen, Eigenbluttransfusionen, Manipulationen. Der deutsche Radsport siecht dahin, liegt wahlweise im Koma oder im Sterben. Denn alle Radfahrer dopen. Sie sind schlecht - jetzt, nachdem die Finanzkrise überstanden scheint - wahrscheinlich sogar noch schlechter als Investmentbanker. Das ist die Botschaft, die derzeit im kollektiven deutschen Gedächtnis verankert ist.

Der ehemalige Radprofi Krauß kennt all die Vorwürfe, all die Fragen, all die Witze über diesen verdorbenen Sport. Seinen Sport. Sven Krauß fährt Radrennen seit er fünf Jahre alt ist. Als Nachwuchsfahrer wurde er dreimal Deutscher Meister, Vize-Weltmeister, mit 19 Jahren fuhr er sein erstes großes Profirennen als Gastfahrer beim Team Gerolsteiner - und gewann. Mit 20 wurde er Berufsradfahrer. Mit 25 arbeitslos. Seitdem fährt Krauß als Amateur. Er fährt kleine Rennen in Dörfern, um Spaß zu haben und um Preisgeld mit nach Hause zu nehmen. Er fährt kleinere Profirennen, wann immer er eingeladen wird. So holte er in diesem Jahr Siege bei Rund um Düren, auf Mallorca, bei der Oberösterreich-Rundfahrt.

Deutsche Teams: Aus drei mach null

Sven Krauß' Karriere steht sinnbildlich für die Entwicklung des deutschen Radsports. Im Jahr 1997 gewann der 23-jährige Jan Ullrich die Tour de France - als erster Deutscher. Das Land feierte, Radsport war wichtiger als Fußball, Ullrich ein Volksheld. Der Radsport in Deutschland erlebte einen Boom wie nie zuvor. Vorher unsportliche und schwere Menschen kauften plötzlich teure und leichte Rennräder, die TV-Einschaltquoten für Radrennen stiegen, Sponsoren sprangen auf den PR-Zug auf und gründeten neue Profiteams.

2007 gab es in Deutschland drei Teams, die der höchsten Liga angehörten. Eines davon: Das nach seinem Hauptsponsor, einer Sprudelmarke, benannte Team Gerolsteiner. Sven Krauß' Arbeitgeber. Vor zwei Jahren wurde das Team abgewickelt. Es fand sich kein neuer Sponsor. Heute gibt es mit dem Team Milram noch eine bedeutende Profimannschaft. Ihre Bilanz bei der Tour de France 2010: ein zweiter Etappenrang und der letzte Platz in der Mannschaftswertung. Voraussichtliches Ende des Teams: am Ende der laufenden Saison.

Schlusstag der Tour de France
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Der Schlusstag der Tour de France ist normalerweise ein Tag der Harmonie. Doch in diesem Jahr verstört eine Aktion von Lance Armstrong die Zuschauer und die Konkurrenten.

Der Beruf Radprofi scheint in Deutschland auszusterben. Doch Sven Krauß sagt: "Es tut sich gerade viel." Aber nur im Ausland und in den unteren Profi-Klassen. Er selbst führt gerade Gespräche mit potenziellen Arbeitgebern. Wie so oft. "Solange nichts unterschrieben ist, mache ich mir keine Hoffnungen. Das Spiel mit den großen Versprechungen, bei denen am Ende nichts rauskommt, kenne ich schon."

Beim Giro d'Italia trug Sven Krauß fast zwei Wochen lang das blaue Trikot des Führenden in der Intergiro-Wertung. Heute fährt er im grünen Trikot seines Amateurteams. (Foto: imago sportfotodienst)

Der Jan-Ullrich-Boom ist zu Ende. Der Volksheld wurde des Dopings überführt wie die meisten anderen Radsport-Heroen seiner Ära: Pantani (der Tour-Sieger von 1998 starb im Alter von 34 Jahren an einer Überdosis Kokain), Landis, Riis, Virenque, Basso, Heras, Winokourov, Beloki, Jaksche, Sinkewitz - man könnte die Liste beliebig verlängern. Ullrich feierte seine Triumphe während des Epo-Zeitalters.

Kein Sponsor in Sicht

Bei der Tour de France des Jahres 2010 wurde kein Fahrer positiv getestet. Was das bedeutet, ist Interpretationssache. "Ich denke, die Top-Fahrer nehmen schon noch etwas", sagt Krauß, "aber insgesamt ist der Radsport heute sicher sauberer als zu der Zeit, als ich Profi wurde. Das merkt man bei den großen Rennen. Da fahren auf einmal viel mehr Leute dasselbe Tempo wie ich" - und nicht mehr energieriegelkauend und durch die Nase atmend an ihm vorbei. "Ich bin optimistisch für die Zukunft des Radsports. Aber ich verstehe nicht, warum kein Sponsor einsteigt."

Das versteht Hans Holczer auch nicht. Holczer war in den vergangenen vier Jahrzehnten eine der prägenden Figuren des deutschen Radsports. Er war mehr als 30 Jahre lang Radsportmanager - zuletzt beim Team Gerolsteiner. Holczer machte Sven Krauß zum Profi, nominierte ihn zweimal für die Tour de France, viermal für den Giro d'Italia. "Ja", sagt er heute, "wenn ich 2008 einen neuen Sponsor für unser Team gefunden hätte, wäre Sven Profi geblieben". Doch er fand keinen neuen Geldgeber. "Dabei ist das Preis-Leistungsverhältnis eines Radsport-Sponsorings doch sensationell." So hat etwa Milram nach eigenen Angaben mit einer Investition von acht Millionen Euro im Jahr einen Mediagegenwert von 50 bis 60 Millionen erzielt.

"Trotzdem bekommt dieser Sport hier keine Chance mehr. Als Ullrich die Tour gewann, waren die Deutschen gründliche Fans, heute sind sie genauso gründlich enttäuscht." Sven Krauß gehört zu den Leidtragenden dieser Enttäuschung. "Ich würde Sven raten, eine mutige Entscheidung zu treffen." Abzuschließen mit dem Gewesenen, mit dem Leben im Sattel.

Kein Low-Budget-Profi

Sven Krauß kämpft. In seiner schwäbischen Heimatstadt Öschelbronn wurde eine Mannschaft um ihn herum gebildet, das Elite-Team Halanke.de. Hauptsponsor ist eine Fahrschule. Sven Krauß ist der Kapitän der Mannschaft, er macht die Rennplanung, leitet das Training. "Unser Hauptziel ist, Nachwuchsfahrern aus der Region eine Perspektive zu bieten", sagt er. Zwölf Siege hat Krauß in diesem Jahr bislang auf seinem Konto - und 31 Top-Ten-Platzierungen. Es gibt Amateurfahrer, die über Krauß' Engagement in ihrer Rennklasse nicht erfreut sind. Was will der Profi hier?

Ja, was will er? "Entweder man ist Profi oder Amateur. Ich wollte einfach nicht in einem angeblichen Profiteam für ein Amateurgehalt fahren." Er hat sich zu spät um einen neuen Vertrag gekümmert damals. Er glaubte fest an eine Rettung seines Team Gerolsteiner. "Ich war zu naiv." Krauß fand kein Team, das ihm genug zum Leben bezahlte. Also traf er eine Entscheidung: "Bevor ich für 12.000 Euro im Jahr bei jemand angestellt bin, der mir sagt, was ich tun und lassen soll, mach' ich es lieber selbst." 2008 fuhr er noch mit die Tour über die Pyrenäen, die Alpen, die Champs-Elysées. Seit er kurz darauf arbeitslos wurde, lebt Sven Krauß von seinen Ersparnissen. "Aber das geht bald nicht mehr. Ich habe mir eine Frist gesetzt: Bis zum Ende des Jahres. Entweder ich finde ein Team, oder ich muss mir etwas anderes einfallen lassen. Was genau weiß ich noch nicht."

An diese Entscheidung will er noch nicht denken. "Ich habe als Radprofi so viel erlebt und gesehen. In diesem Beruf fügt man sich Schmerzen zu, man leidet, aber man macht Erfahrungen, die kein anderer Mensch macht." Sven Krauß, 27 Jahre alt, will sein altes Leben zurück.

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