Prothesen-Weitspringer Markus Rehm:Wenn die paralympische Welt zu klein wird

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Markus Rehm darf nicht bei der EM teilnehmen (Foto: Adrian Dennis/AFP)

Dass Prothesen-Weitspringer Markus Rehm nicht zur EM darf, ist richtig. Denn es gibt Zweifel an der Vergleichbarkeit der Leistungen. Damit bleiben jedoch wichtige Fragen unbeantwortet.

Kommentar von Thomas Hahn

Der Olympiasieger Robert Harting hat dann auch noch was gesagt zur Sache des Prothesen-Weitspringers Markus Rehm. Leider muss man sagen, denn die Zeiten sind schon schwer genug für den Leverkusener Rehm, seit er am Samstag bei den deutschen Meisterschaften der Nicht-Behinderten mit 8,24 Metern gewonnen hat und damit die Qualifikationskriterien für die EM in Zürich erfüllte.

Harting also, der als Diskuswerfer Weltklasse ist und als Denker an manchen Tagen auch, schlug dem Kollegen Rehm in Sport-Bild vor, er solle doch einfach auf seinem intakten Bein abspringen, nicht auf seinem Prothesenbein. "Dann müsste es diese wissenschaftliche Untersuchung nicht geben, und die Konkurrenten hätten keinen Anlass mehr für Kritik." Großer Seufzer.

Prothesen-Weitspringer Markus Rehm
:8,24 Meter und nicht weiter

Bittere Nachricht für Prothesen-Weitspringer Markus Rehm: Der Deutsche Leichtathletik-Verband nominiert ihn nicht für die Europameisterschaft. Es ist eine politische Entscheidung, die viel erzählt über menschliche Bewegung.

Von Thomas Hahn

Da sieht man mal wieder, dass Inklusion vorerst eben doch nur ein Modebegriff ist und noch nicht vollends in der Gesellschaft verankert ist. Die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderung darf natürlich nicht bedeuten, dass sich der einseitig amputierte Markus Rehm der Gesellschaft anpassen muss, in der er sich bewegt. Umgekehrt muss es sein: Die Gesellschaft muss Rehm ganz selbstverständlich den Raum bieten, damit er das sein kann, was er ist: ein Prothesen-Weitspringer, der eben nicht einfach auf seinem intakten Bein abspringen kann - so wenig wie ein Linkshänder auf einmal mit rechts schreiben kann.

Diese ganze Debatte um den Start oder Nichtstart von Rehm in Zürich zeigt, wie unfertig der Sport noch ist, wenn es darum geht, jedem Spitzenathleten mit oder ohne Beine eine angemessene Bühne zu geben.

Nötig sind neue Ideen

Den Beschluss des DLV, Markus Rehm nicht für die EM zu nominieren, kann man nachvollziehen. Er ist auch kein Votum gegen Inklusion. Rehm gehört hinein in die Weitsprungfelder der großen kommerziellen Meetings, um den Leuten seine Kunst zu zeigen und ihnen vielleicht auch zu erklären, wie das geht, als Amputierter so weit zu springen.

Debatte um Prothesen-Springer
:Rehm verzichtet auf rechtliche Schritte

Der unterschenkelamputierte Weitspringer Markus Rehm gibt seine Hoffnungen auf eine EM-Teilnahme auf. Er will sich nicht auf juristischem Weg einklagen - doch er übt Kritik am Leichtathletik-Verband und drängt auf weitere Analysen.

Aber wenn es um offizielle Meisterschaften geht, um die große Frage, wer was am besten kann, darf es keinen Zweifel an der Vergleichbarkeit von Leistungen geben. Aus den Daten, die vorlagen, lassen sich solche Zweifel ableiten. Markus Rehm fände es vermutlich selbst nicht lustig, wenn er bei Paralympics plötzlich gegen jemanden verlieren würde, dessen Springerei ganz anderen Gesetzen gehorcht als seine.

Aber die Frage ist: Was bringt diese Entscheidung für die Zukunft? Nach Stand der Dinge wenig. Es ist eine Fallentscheidung, die keinen Grundsatzcharakter hat. Es weiß immer noch keiner, wie man genau mit dem Umstand umgehen soll, dass sich die Leistungen paralympischer und olympischer Leichtathleten allmählich angleichen. DLV-Präsident Prokop hat schon recht: "Es ist ein Problem des Weltsports." Der Leichtathletik-Weltverband IAAF ist gefragt, auch das Internationale Paralympische Komitee.

Es braucht neue Ideen, die dem Umstand Rechnung tragen müssen, dass in den vergangenen zehn Jahren eine neue Leistungssport-Elite gewachsen ist. Hochbegabten wie Markus Rehm wird die paralympische Welt zu klein. Vielleicht wird es langsam Zeit, eine Disziplin wie Prothesen-Weitsprung in die olympische Welt einzugliedern.

© SZ vom 31.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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