Premier League:Willkommen in der Werbesendung

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So kann man mal in eine Saison starten: Liverpools Angreifer Mohamed Salah trifft gegen Leeds dreimal. (Foto: Phil Noble/Reuters)

Wie Völkerball auf dem Schulhof: Mit einem bunten 4:3 gegen Leeds startet der Meister FC Liverpool in die neue Spielzeit.

Von Sven Haist, London

Das Fußballspiel zwischen dem FC Liverpool und Leeds United glich einer Runde Völkerball auf dem Schulhof. Der Ball flog ununterbrochen zwischen den beiden Mannschaften und Spielhälften hin und her, so dass die Vermutung nahelag, hier seien mehrere Bälle gleichzeitig auf dem Platz. Das stellte die Aufnahmekapazität der Profis auf eine harte Probe: Aus jeder Ecke des Spielfelds drohte stets Gefahr fürs eigene Tor - so wie beim Völkerball jeder von jedem und von überall abgeworfen werden kann. Einmal pro Woche lässt der als Fußballguru geltende argentinische Trainer Marcelo Bielsa bei Leeds einen ähnlich offenen Schlagabtausch im Training praktizieren. Die Spieler müssen sich bei dieser "Murderball", Killerball, genannten Übung immer in Bewegung halten. Allerdings beendet Bielsa die Einheit spätestens nach einer halben Stunde, während sich die atemlose Auseinandersetzung am Wochenende über 90 Minuten erstreckte. Der ideale Wettkampf, um zu Saisonbeginn auf Betriebstemperatur zu kommen.

Mithilfe eines 4:3 über Leeds gelang es dem von Jürgen Klopp gecoachten FC Liverpool, sich am ersten Spieltag der Premier League selbst in Stimmung zu bringen, nachdem im verwaisten Stadion an der Anfield Road keine Stimmung aufkam. Wie zum Ende der Vorsaison durften aufgrund der anhaltenden Corona-Pandemie nur wenige Menschen ins Stadion, um die Durchführung der Partie zu gewährleisten; die Fans müssen zunächst bis mindestens Oktober draußen bleiben. Der kurzweilige Auftakt glich einer regelrechten Werbesendung für die Premier League, adressiert an alle Menschen in der Welt, der Liga in dieser schwierigen Zeit bitte nicht den Rücken zuzukehren, sondern die Treue zu halten.

Die noch pausierenden Teams aus Manchester müssen zusehen, wie Liverpool gleich vorne steht

Dank der sieben Tore hievte die BBC die fehlerbehaftete Begegnung direkt in die Kategorie der angeblich besten Partien am Start-Wochenende - auf eine Stufe mit dem unvergessenen 4:3 der Tottenham Hotspur bei Sheffield Wednesday vor 26 Jahren, als Jürgen Klinsmann im Jubel über seinen ersten Treffer in der Premier League den "Diver" zur Uraufführung brachte. Im Überschwang über die Partie in Liverpool überboten sich die Zeitungen in ihren Analysen gegenseitig. Der Telegraph sah "Premier-League-Fußball, wie er sein sollte", für den Independent stand fest: "Es drehte sich alles um Fußball und, meine Güte, hat dieser Fußball Spaß gemacht: intensiv, offen, aggressiv, geschmückt mit Strophen von großartigem Offensivspiel und einigen verrückten Gehirnfurzen."

Der abwechslungsreiche Spielverlauf täuschte jedoch über die Tatsache hinweg, dass Liverpool mit Leeds ein Katz-und-Maus-Spiel betrieb, bei dem früh klar war, dass am Ende der Meister der Premier League den Meister der Championship besiegen würde. Im Hochgefühl der eigenen Unverwundbarkeit nach dem ersten Ligatitel seit 30 Jahren hielt Liverpool den Aufsteiger an der langen Leine. Dreimal kämpfte sich Leeds zum Ausgleich durch Jack Harrison (12.), Patrick Bamford (30.) und Mateusz Klich (66.) - um letztlich doch mit leeren Händen dazustehen.

Liverpool lachte sich ins Fäustchen über die ambitionierte Spielweise von Leeds, das bei seiner Rückkehr in die höchste Liga nach 16 Jahren daran festhielt, früh zu attackieren und aus der eigenen Hälfte herauszuspielen. Keine andere Taktik bringt nämlich die Vorzüge des Klopp-Fußballs besser zur Geltung als die seines Kontrahenten Bielsa. Das Aufbauspiel lud Liverpool zum Pressing ein, und das weit vom Tor entfernte Verteidigen des Gegners bot den notwendigen Freiraum für die schnellen Angreifer. "Was für ein Spiel, was für ein Kontrahent, was für eine Leistung von beiden Teams", jubelte Klopp, dem die Begeisterung ins Gesicht geschrieben stand: "Ein richtiges Spektakel - ich habe es geliebt!"

Das überschwängliche Lob für Leeds gab es von Klopp selbstverständlich gratis, wie das immer der Fall ist, wenn ihm jemand in die Karten spielt. Anders hört sich das etwa an, wenn ihm der notorische Spielverderber Diego Simeone mit Atlético Madrid die Freude am Fußball raubt.

Von Leeds' defensiven Aussetzern, zu denen mitunter der aus Freiburg geholte Robin Koch bei seinem Einstand in der Premier League beitrug, profitierte am meisten der Matchwinner Mohamed Salah. Mit seinen drei Toren (4./33./88.), zwei davon per Elfmeter, überbot Salah den Rekord des englischen Vorzeigestürmers Wayne Rooney, dessen Manchester United einst 34 Ligaspiele hintereinander zwischen 2008 und 2011 gewonnen hatte, sofern er ein Tor erzielte. Den zweiten Treffer für Liverpool markierte Abwehrchef Virgil van Dijk (20.), der im Gegenzug aber den zweiten Treffer für Leeds verschuldete. Schon zu Beginn der Vorsaison war es Liverpool nach dem Triumph in der Champions League schwer gefallen, sich direkt wieder zur seriösen Abwehrarbeit aufzuraffen.

Die drei Punkte sorgen nun für die Annehmlichkeit, dass Meister Liverpool die Saison gleich von vorne weg spielen kann. Aufgrund der Teilnahme an den Europapokal-Finalturnieren im August steigen die Hauptkonkurrenten Manchester City und Manchester United erst verspätet in den Ligabetrieb ein. Und den mit Zugängen umgemodelten FC Chelsea, der im Vergleich zum Rest der Liga auch weniger Zeit zur Vorbereitung auf diese Spielzeit hatte, bekommt Liverpool schon nächsten Sonntag zu Gesicht - zum nächsten Killerball.

© SZ vom 14.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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