Premier League:Energiefluss gesucht

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Ein Tor, das Liverpool schmerzt: Michail Antonio (links) trifft zum 1:1 für West Ham - der frühere Leipziger Naby Keita ist machtlos. (Foto: Richard Heathcote/Getty Images)

Der Vorsprung des FC Liverpool an der Liga-Spitze ist geschrumpft. Nach dem 1:1 in West Ham echauffiert sich Trainer Klopp über den Referee - auch viele Verletzte stören den Betrieb.

Von Sven Haist

So, wie sich Jürgen Klopp kurz vor dem Ausgang breitgemacht hatte, gab es für das Schiedsrichterteam um Kevin Friend erst mal kein Vorbeikommen am Trainer des FC Liverpool. Mit schneller Schrittfolge holte Klopp den Unparteiischen ein, um ihn zur Rede zu stellen, denn der Coach des Tabellenführers war nach dem 1:1 (1:1) bei West Ham United mächtig sauer. Klopp wütete in alle Richtungen und rang kurz vor den Katakomben auch gleich noch dem gegnerischen Trainer Manuel Pellegrini eine ausgiebige Unterhaltung ab. Im Stile eines Ringrichters ging dann einer von Klopps Assistenten dazwischen, der seinen Chef schließlich aus dem Stadion führte. Es gab einiges zu besprechen nach diesem Remis, das bei Liverpool Unbehagen auslöste.

Zwischenzeitlich hatten die Reds an der Spitze der Premier League einen beruhigenden Vorsprung von sieben Punkten auf Titelverteidiger Manchester City, jetzt aber hat Liverpool innerhalb weniger Tage vier Punkte liegen gelassen - durch das Remis bei West Ham United und zuvor schon beim 1:1 zu Hause gegen Leicester. So hat Manchester City am Mittwochabend sogar die Chance, mit einem Sieg im vorgezogenen Spiel beim FC Everton vorläufig wieder auf Platz eins der Tabelle zu klettern. Und sogar der Dritte, Tottenham Hotspur, liegt mittlerweile nur noch fünf Punkte hinter Liverpool.

Klopp regte sich aus nachvollziehbaren Gründen auf. Aber der Eindruck ist auch, dass sein Team in Richtung Titelentscheidung schwächelt. Zwei Unentschieden und eine Niederlage (nach einem punktverlustfreien Dezember) haben einiges ins Stocken gebracht. Der Traum, erstmals nach 29 Jahren wieder die Meisterschaft zu gewinnen, ist gefährdet. "Ich sehe euren Gesichtern an, dass ihr Mitleid mit uns habt", sagte Klopp zu den Reportern, "aber ihr braucht euch keine Sorgen zu machen. Uns geht es gut. Wer am Ende der Saison oben sein will, muss mit härteren Situationen als heute umgehen können.

Harte Situationen? Damit meinte der deutsche Coach auch die Referees. Bei Liverpool hat es sich nämlich unter Klopp eingebürgert, dass Punktverluste stets mit dem Schiedsrichter nachbesprochen werden. Abgesehen vom FA-Cup-Aus in Wolverhampton, das von einem Videoassistent überwacht wurde, ist diese Gewohnheit in jedem der vier vergangenen Spiele ohne Sieg zu beobachten gewesen. Je nach Vorkommnissen machte Klopp für das Stolpern seiner Mannschaft die Anzahl an Unterbrechungen (beim 1:2 in Paris) verantwortlich, die Bewertung eines Foulspiels des letzten Mannes beim Gegner (1:2 bei ManCity), die Auslegung eines Strafraumzweikampfs (Leicester) - und am Montagabend sogar das eigene, von Sadio Mané regelwidrig erzielte Abseitstor zum 1:0.

Klopps Theorie dazu ging nämlich so: "Wenn ich als Mensch weiß, dass ich in der ersten Halbzeit einen großen Fehler gemacht habe, möchte ich die Kluft nicht vergrößern. Und Referees sind eben Menschen." In "50:50-Situationen", so Klopp, sei deshalb danach immer Freistoß für West Ham gepfiffen worden.

All diese Klagen zeigen allerdings auch die aktuellen Befindlichkeiten beim FC Liverpool. Kurz vor dem Duell mit Bayern München im Achtelfinale der Champions League gehen Klopp die Leute aus, die Hälfte seiner Stammspieler befinden sich wegen Verletzungen in Behandlung. Das frühe Aus im FA-Cup hatte Liverpool zuletzt auch einen unrhythmischen Spielkalender beschert - mit bis zu elf Tagen ohne Einsatz. Diese eigentlich zur Erholung gedachte Phase, unterbrochen von einem Team-Kurztrip nach Dubai, änderte nichts am Eindruck: Liverpool ist angeschlagen!

Neben den länger verletzten Alex Oxlade-Chamberlain (Kreuzbandriss) und Joe Gomez (Unterschenkelbruch) meldeten sich Rechtsverteidiger Trent Alexander-Arnold, der im Mittelfeld für die Balance zuständige Georginio Wijnaldum (beide Knieprobleme), Dejan Lovren sowie Kapitän Jordan Henderson (beide muskuläre Probleme) ab. Nach dem 1:1 gegen West Ham betonte Klopp, der gerne mal mit Unpässlichkeiten seines Personals kokettiert, dass auch Milner und Virgil van Dijk lädiert sind. Durch diese Absenzen musste man die rechte Hälfte der Viererkette neu aufstellen - und das ganze Mittelfeld.

Aus der Bestbesetzung mit Milner, Henderson und Wijnaldum konnte Klopp auf keinen im Zentrum des Spiels zurückgreifen, weil Milner hinten rechts benötigt wurde. In der Winterpause hatte Liverpool den Ersatzmann Nathaniel Clyne an Bournemouth abgegeben, um Unzufriedenheit im Kader vorzubeugen. Und die für knapp 100 Millionen Euro gekauften Naby Keita (aus Leipzig) und Fabinho (Monaco) sind noch nicht in der Lage, den Energiefluss im Team aufrechtzuerhalten. Im Herausspielen von Torchancen verschleppte Liverpool das Tempo mit einer Reihe von Fehlpässen und Missverständnissen.

In der Liga zügelt sich Liverpool in dieser Saison oft, um nicht zu viel Substanz zu lassen. Aber ganz ohne Krafteinsatz geht es halt auch gegen das mittelklassige West Ham nicht. Dies wurde beim Verteidigen gegnerischer Standards erkennbar. Fast ohne Widerstand ließen sich die Reds austricksen, eine banale Freistoßvariante genügte Michail Antonio zum 1:1 (28.); schon gegen Leicester musste Liverpool das Gegentor nach einer Ecke hinnehmen.

Ganz am Schluss hätte der eingewechselte Divock Origi die Leistung kaschieren können, als sich ihm die Möglichkeit auftat, das Siegtor zu erzielen - aus Abseitsposition. Der Treffer hätte trotzdem gezählt.

© SZ vom 06.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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