Premier League:Die Leistung mit dem Wow-Effekt

Lesezeit: 4 min

Mit offenen Armen aufgenommen: Trainer Jürgen Klopp herzt Zugang Diogo Jota, der das dritte Tor gegen den FC Arsenal erzielte. (Foto: Jason Cairnduff/AP)

Der FC Liverpool gewinnt 3:1 gegen Arsenal und Trainer Jürgen Klopp das Verbalduell mit dem TV-Experten Keane.

Von Sven Haist, Liverpool

Auf diesen Angriff war Roy Keane nicht vorbereitet. In seiner Rolle als Fernsehexperte bewertete der frühere Kapitän des Rekordmeisters Manchester United - dessen Spielweise einst so gefürchtet war wie heute seine Analysen - die bisherigen Saisonspiele des FC Liverpool. Trotz der makellosen Bilanz von drei Siegen zum Start in die Premier League sparte Keane im Studio des Senders Sky Sports nicht mit Kritik am Erzrivalen. Während er das 2:0 beim FC Chelsea noch als "gut gemacht" einstufte, seien die Leistungen der Mannschaft von Trainer Jürgen Klopp beim 4:3 gegen Leeds United und am Montagabend beim 3:1 über den FC Arsenal "sloppy" gewesen. Also nachlässig. Die Schlussfolgerung von Roy Keane: "Sie werden wissen, dass sie sich verbessern müssen."

Besonders die Einschätzung des Arsenal-Spiels brachte Klopp in Rage. Die Aussagen konnte er während der Verkabelung für sein Interview live im Stadion an der Anfield Road mithören, was Keane nicht ahnte - aber von Klopp harsch mitgeteilt bekam: "Habe ich das richtig verstanden, dass Herr Keane unsere Leistung nachlässig fand? Hat er das so gesagt?"

"Das war absolut herausragend. Nichts war nachlässig, absolut nichts", lobte Klopp seine Elf

Peinlich berührt versuchte Keane seine Bemerkung einzuordnen, aber da war es schon zu spät. Klopp setzte zu einer knapp einminütigen Standpauke an, die Keane derart in den Senkel stellte, dass man sie sich in Gänze zu Gemüte führen muss: "Hat er gesagt, dass wir heute eine nachlässige Leistung gezeigt haben? Ich möchte das nur wissen, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich das richtig verstanden habe. Vielleicht hat er über ein anderes Spiel gesprochen. Es kann nicht dieses Spiel gewesen sein. Tut mir leid! Das ist eine unglaubliche Beschreibung dieses Spiels. Das war absolut herausragend. Nichts war nachlässig, absolut nichts. Das war von der ersten Sekunde an dominant gegen ein Team, das hundertprozentig in Form ist ... Über dieses Spiel gibt es nichts Schlechtes zu sagen. Das war das Gegenteil von nachlässig ... Wir sind noch früh in dieser Saison, aber diese Leistung war ein absolutes Wow."

Klopps Konter erinnerte an die unverwechselbaren Wutanfälle der britischen Trainerleitfigur Sir Alex Ferguson, der einst zusammen mit Keane bei United sieben Meisterschaften und 1999 die Champions League gewann. Auf der Insel gibt es für Fergusons Kabinenansprachen einen eigenen Begriff: "Hairdryer Treatment". Der Legende nach soll Ferguson in der Kabine bei seinen Wutanfällen so laut geschrien haben, dass sich vom Luftzug die Haare der Profis wie mit einem Föhn trockneten. Bei Ansicht von Klopps Verärgerung war es vorstellbar, dass Keane die Luftzüge der Zurechtweisung bis ins Studio verspürte - sogar bis nach London, wo er sich aufhielt. Als der Sturm der Entrüstung vorüber war (und Klopp nicht mehr zugeschaltet war), gab Keane klein bei. Was blieb ihm anderes übrig? Diese Trainer seien halt "sehr empfindlich", schob er nach: "Man stelle sich mal vor, er hätte verloren."

Man soll sich eine Niederlage von Liverpool in der Liga vorstellen? In Anfield noch dazu? Wo zuletzt Crystal Palace im April 2017 ein Spiel gewinnen konnte? Wenn schon Keane, der weder als Spieler, Trainer noch Experte je ein Blatt vor den Mund nahm, im Duell mit Klopp nicht mehr gegenhalten will: Wer soll dann den FC Liverpool überhaupt aufhalten in dieser Saison auf dem Weg zur Titelverteidigung?

Obwohl Liverpool mit Aufsteiger Leeds sowie den Londoner Spitzenklubs Chelsea und Arsenal ein respektables Startprogramm zu stemmen hatte, steht der Meister schon wieder ganz oben. Selbst der frühe Rückstand gegen Arsenal durch Alexandre Lacazette (25.) war schon wenig später nach Toren von Sadio Mané (28.) und Andrew Robertson (34.) in eine Führung verwandelt. Am Ende erzielte der aus Wolverhampton für circa 45 Millionen Euro geholte Portugiese Diogo Jota - gedacht als Back-up für Mané - im ersten Ligaspiel für Liverpool auch gleich sein erstes Tor. Es war das 400. Tor des Klubs unter Klopp in der Premier League. Vermutlich hätte sich der Deutsche sogar selbst einwechseln können, und auch ihm wäre wohl wie selbstverständlich ein Treffer gelungen. Bei zuletzt fünf Ligaheimsiegen in Serie gegen Arsenal hat Liverpool die Gäste insgesamt mit 18:4 Toren abgefertigt. "Wahrscheinlich haben sie den besten Standard, den wir seit vielen Jahren gesehen haben", sagte Arsenals Trainer Mikel Arteta.

Die erdrückende Überlegenheit Liverpools lässt sich am besten an der Positionierung der Spieler auf dem Rasen erklären. Wie kein anderer Trainer der oberen Kategorie - nicht Pep Guardiola bei Manchester City, erst recht nicht José Mourinho bei Tottenham Hotspur - weist er seine Profis an, sich konsequent vor ihre Gegenspieler zu stellen und sie so nie zur Ruhe kommen zu lassen. Oft war Liverpool mit vier eigenen Spielern im gegnerischen Strafraum, bisweilen sogar in Überzahl - bei Ballbesitz des FC Arsenal wohlgemerkt. Ein kalkuliertes Risiko. Denn Klopp kennt seine Sicherheiten: Wird die attackierende Reihe Liverpools mal mit einem hohen Pass überspielt, wartet hinten ein kopfballstarker Abwehrchef - der niederländische Weltklasseverteidiger Virgil van Dijk. So bleibt den Attackierenden Zeit zurückzukehren. Diese intensive Spielweise kann sich Liverpool aufgrund des besten Kaders der Liga erlauben. Und weil man eine ordentliche Vorbereitung absolvieren konnte, nachdem Liverpool in der Champions League schon im Achtelfinale ausgeschieden war.

Fehlen wird dem FC Liverpool allerdings eine Weile lang sein neues Mittelfeldass Thiago: Der vom FC Bayern gewechselte 29-jährige Spanier ist positiv auf das Coronavirus getestet worden und hat sich umgehend in Quarantäne begeben.

Zum Ende der Sendung wurde Roy Keane gefragt, ob er glaube, dass Liverpool wieder Meister werde. "Ja!", sagte er - und schob süffisant nach: "Ich muss das sagen, nachdem Klopp mich angemacht hat."

© SZ vom 30.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: