Premier League:Danke, Bruder

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Küsschen, Küsschen: Jürgen Klopp (li.) und David Wagner lernten sich als Spieler beim FSV Mainz 05 kennen und sind bis heute gut befreundet - auch nach der Niederlage von Huddersfield gegen Liverpool. (Foto: Dave Howarth/dpa)

Trotz schwacher Leistung schlägt Liverpool Aufsteiger Huddersfield 3:0 - und Jürgen Klopp bleibt eine Diskussion erspart.

Von Sven Haist, Liverpool

Der erste und letzte Weg im Stadion führte David Wagner zu Jürgen Klopp. Anders als bei der Umarmung vor Anpfiff wollte Wagner seinen besten Freund nach dem Spiel gar nicht mehr loslassen. Vor den Augen seiner Familie drückte er ihm gar einen Kuss auf die Wange.

Ohne Bitterkeit akzeptierte Wagner die Niederlage an der Anfield Road, ihm tat sie ja nicht weh. Der Aufsteiger Huddersfield Town hält sich im gesicherten Tabellen-Mittelfeld der Premier League auf, der Ligaerhalt ist das einzige Saisonziel. Auf sich selbst aufmerksam gemacht hatte Wagner auch schon mit dem Erfolg über Manchester United in der Vorwoche. Und ein erneuter Coup dieser Größenordnung, so viel war vor dem Duell zwischen Favorit Liverpool und Außenseiter Huddersfield klar, würde seinen langjährigen Weggefährten in Not bringen. Klopp erlebt zurzeit die sportlich schwierigste Situation seiner zweijährigen Amtszeit auf der Insel.

Wie das bei Freunden so ist, konnte Klopp sich dann aber auf Wagner, seinen Trauzeugen, verlassen. Das 3:0 (0:0) erspart ihm eine Diskussion, in der es erstmals um seine persönliche Zukunft als Trainer in Liverpool gegangen wäre. Teilweise ignorierten die Spieler am Samstag seine Anweisungen, es wirkt, als nerve sie das schroffe Verhalten ihres Vorgesetzten am Seitenrand. Nach dem Spiel klopfte sich Klopp demonstrativ vor den Fans auf die linke Brust. An der Stelle ist Liverpools Vereinsemblem abgebildet. "Ich konnte hören, dass die Leute die erste Halbzeit nicht gut fanden", sagte Klopp.

Das Publikum an der Anfield Road hatte sich während des Spiels wohl aus Protest über den enttäuschenden Saisonverlauf ungewohnt ruhig verhalten. Die Maßnahme erwies sich als ziemlich perfide: Hudderfields Anhänger nutzten nämlich die Gelegenheit, um Stimmung zu machen gegen Liverpools Trainer. Für jeden hörbar hallte es durch Anfield, dass David Wagner besser sei als Jürgen Klopp. Tabellarisch liegt Liverpool jetzt um vier Punkte vor Huddersfield.

Klavan fällt um, Henderson flankt ins Aus

Die unangenehme Gemengelage auf den Tribünen verstärkte Liverpools Nervosität. Beim Geradeauslaufen verlor Innenverteidiger Ragnar Klavan das Gleichgewicht - und fiel auf den Boden. Klavan war kurzfristig für den verletzten Dejan Lovren nachgerückt. Von der Mittellinie aus flankte Kapitän Jordan Henderson den Ball an die Eckfahne. Und sekundenlang griff niemand Huddersfields Torwart Jonas Lössl an, als der mit dem Ball am Fuß auf die Rückkehr seines Mitspielers wartete, der wegen Nasenblutens behandelt wurde.

Wütend winkten einige Zuschauer auf der Haupttribüne mit ihren Händen die Reds nach vorne. Ihnen entging nicht, dass Liverpools Auftritt kaum Torgefahr enthielt, wenig Kreativität und gleich gar keine Energie. Anfangs erinnerten die Spieler mit ihrer Laufschnelligkeit auf dem Platz an Fußgänger beim Spaziergang.

Die Atmosphäre entspannte sich erst mit den Toren. Beim dritten Treffer durch Georgino Wijnaldum (75.) ballte Klopp wieder in üblicher Manier seine Fäuste. Das hatte er vorher nur nach dem Halbzeitpfiff getan - und im Sprint umgehend die Kabine aufgesucht. Eine wohl richtungsweisende Ansprache stand an - und die zeigte positive Wirkung. Eine verunglückte Kopfballabwehr nutzte Daniel Sturridge (50.) zur befreienden Führung, kurz darauf erhöhte Roberto Firmino (58.) für Liverpool.

Dabei verschmäht Klopp Sturridges Fähigkeiten geradezu, obwohl der in der Saison 2013/14 zu Liverpools gefürchtetem Angriffsdreizack um Luis Suárez und Raheem Sterling gehörte. In 29 Einsätzen gelangen Sturridge 21 Tore, fast wäre Liverpool damals Meister geworden. Um in der Gegenwart in die Startelf zu rücken, muss der Mittelstürmer auf verletzungsbedingte Ausfälle hoffen. Am Samstagnachmittag fehlten Flügelflitzer Sadio Mané und Spielmacher Philippe Coutinho.

Wie labil der Zustand des FC Liverpool im Herbst 2017 ist, offenbarte ein zweifelhafter Elfmeterpfiff (42.). Während Henderson und Linksverteidiger Alberto Moreno den Blickkontakt mit Klopp suchten, schnappte sich Mohamed Salah den Ball. Klopp schien nicht zu wissen, ob er eingreifen und einen anderen Schützen bestimmen sollte. Mit James Millner hätte ja einer der besten zur Verfügung gestanden. Schließlich griff Klopp ein, indem er nicht eingriff. Und Salah scheiterte an Huddersfields Torwart. Den Nachschuss schoss der aufgebrachte Henderson am Tor vorbei.

Die zwischenzeitliche Hilflosigkeit Liverpools, einen defensiv eingestellten Gegner zu überlisten, überlagerte das erste deutsche Trainerduell in Englands Eliteliga. Im Stadionheft richtete der Hausherr Klopp die Hälfte seines Vorworts an Wagner, den er als "seinen Bruder" willkommen hieß. Die Beziehung der beiden, die sich als Spieler beim FSV Mainz 05 kennenlernten, war dem Fernsehsender Sky UK gleich eine Dokumentation wert. Auf der Pressekonferenz waren Klopp und Wagner schließlich bemüht, der Öffentlichkeit nicht noch weitere Einblicke in ihr Privatleben zu bieten. Das große Familientreffen begann hinter den Kulissen.

© SZ vom 29.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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